Weibliche Weihnacht
Weihnachten ist ein Geburtsfest - und das ist Frauensache. Daran erinnert der Dresdner Kammerchor unter Leitung seines Gründers Hans-Christoph Rademann in seinem Programm mit dem Magnificat von Bach und zwei weiteren Mariengesängen unbekannter italienischer Meister, die Bach nachweislich rezipiert hat.
Maria - die Mutter des Propheten und Erlösers Jesus Christus - ist die eigentliche revolutionäre Gestalt der Bibel. Besang sie doch in ihrem Dankpsalm, dem Magnificat, nachdem sie von ihrer besonderen Schwangerschaft erfahren hatte, Gott als einen, der "stößt die Gewaltigen vom Stuhl, und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern, und lässt die Reichen leer." So übersetzte es Martin Luther, auch in modernerem Deutsch klingt es nicht weniger aufrührerisch.
Johann Sebastian Bach vertonte den Mariengesang in der lateinischen Fassung und überhaupt in einer Weise, die ihn als Komponisten ausweist, der sich um die Dienste am katholischen sächsischen Hofe bewirbt (ähnlich wie in seiner h-Moll-Messe). Eine revolutionäre Botschaft darf man darin nicht unbedingt vermuten. Das Strahlen der Jungfrau Maria diente ja seit dem Barock eher dazu, die Herrlichkeit der göttlichen (oder gottgewollten weltlichen) Ordnung zu preisen.
Dass der Leipziger Thomaskantor sich oft und gern mit italienischer Musik beschäftigt hat, ist bekannt, vor allem in der Instrumentalmusik. Dass er aber auch direkte Vorbilder in der Gattung "Mariengesang" rezipiert und bearbeitet hat, ruft dieses besondere Konzert in Erinnerung. Die frühbarockem Meister Francesco Bartolomeo Conti und Pietro Torri dienten Bach in dieser Hinsicht als Studienobjekte und lieferten Werke, die geeignet sind, das Repertoire für Advents- und Weihnachtsmusik zu erweitern.
Der Dresdner Kammerchor setzte mit diesem Konzert die Reihe von Festkonzerten zu seinem 30-jährigen Bestehen fort. In der aktuellen Situation Dresdens auf den eigentlichen Gehalt des Mariengesangs hinzuweisen, dass nämlich die Gott die "Niedrigen erhebt", kommt wiederum einem sehr engagierten Statement gleich.
Annenkirche Dresden
Aufzeichnung vom 11. Dezember 2015
Pietro Torri
Magnificat C-Dur
Francesco Bartolomeo Conti
"Languet anima mea" Kantate für Sopran, zwei Oboen ad libitum, Streicher und Basso continuo
Johann Sebastian Bach
Magnificat für Soli, gemischten Chor und Orchester D-Dur BWV 243
Dresdner Kammerchor
Dresdner Barockorchester
Leitung: Hans-Christoph Rademann