Dresden geht Kunstwerken auf die Spur

Hartwig Fischer im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Dresden soll nach dem Willen des neuen Generaldirektors der Staatlichen Kunstsammlungen bei der Provenienzerkundung von Kunstwerken seine Vorreiterrolle stärken. Hartwig Fischer kündigt dafür den Aufbau eines Kompetenzzentrums an.
Liane von Billerbeck: Von heute Abend an ist in Dresden ein Neuer Herr über zwölf Museen: Hartwig Fischer wird neuer Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Seit 2006 hat er das Museum Folkwang in Essen geleitet.

Unter seiner Leitung wurde dort der preisgekrönte Neubau gebaut und gefeiert. Vorher war Fischer mehrere Jahre in der Schweiz tätig. Er beerbt Martin Roth, der nach zehn Jahren an der Elbe nun an die Themse wechselt, wo er das Londoner Victoria and Albert Museum leitet. Welche Pläne der neue Generaldirektor für die staatlichen Kunstsammlungen Dresden hat, das wollen wir jetzt erfahren. Hartwig Fischer, ich grüße Sie!

Hartwig Fischer: Guten Tag, Frau von Billerbeck.

Billerbeck: Gratulation erst einmal. Sie übernehmen ja einen Museumsverbund, der, kann man sagen, gut organisiert und international auch gut aufgestellt ist. In den zehn Jahren unter Martin Roth wurde das Residenzschloss wiederhergestellt, das Albertinum umgebaut. Haben Sie also gar nichts mehr zu tun?

Fischer: Ja, Martin Roth und die Kolleginnen und Kollegen hier haben wirklich eine großartige Arbeit gemacht. Sie haben sehr viel getan, und es gibt sehr viel zu tun. Die Bauten sind weit fortgeschritten im Schloss, das ist richtig. Aber es ist keineswegs abgeschlossen. Und wir sind kurz davor, die Generalsanierung des Semperbaus, der Sempergalerie zu beginnen. Also, das Bauen verlässt mich nicht, es begleitet mich weiter. Darauf freue ich mich sehr.

Billerbeck: Einiges von Ihren Plänen haben Sie ja schon verkündet. Sie wollen, so hieß es, die einzelnen Sammlungsbereiche stärker vernetzen. Wie soll denn das passieren?

Fischer: Nun, es ist in der Tat so, dass die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden über eine unglaubliche Vielfalt und Qualität von Sammlungen verfügen, die von der Antike bis in die Gegenwart reichen, von Europa bis in die entlegensten Winkel der Welt. Zum Teil sind es Sammlungen wie die ethnographische Sammlung, die erst vor Kurzem zu diesem Verband hinzugestoßen sind. Und ich glaube, das ist eine ganz wichtige Arbeit, unter dem großen Dach der Staatlichen Kunstsammlungen diese einzelnen Museen und Sammlungen in einen wirklichen und nachhaltigen Dialog zu bringen. Und ein Mittel, das zu tun, wird sein, ein großes gemeinsames Forschungsprojekt auf den Weg zu bringen, an dem alle sich beteiligen können gemäß ihren Möglichkeiten und gemäß ihren spezifischen Sammlungsbeständen. Und aus solch einem Projekt werden sich weitere ergeben, Ausstellungen zum Beispiel, internationale Kooperationen. Es wird sicher auch eine verstärkte Kommunikation über das Netz geben. All das hängt damit zusammen.

Billerbeck: Sie haben eben ein Stichwort erwähnt, das wahrscheinlich die meisten auch unserer Hörer nicht unbedingt mit den Dresdner Kunstsammlungen verbinden würden, nämlich das Stichwort Gegenwartskunst. Denn Dresden verbindet man doch eher mit den Alten Meistern. Wie soll da die Gegenwartskunst punkten?

Fischer: Ja nun. Die Alten Meister sind sicher eine Stärke der Sammlungen hier in Dresden, aber die Gegenwartskunst hat immer auch eine starke Rolle gespielt und es ist der Bereich in unseren Sammlungen, den wir beim Sammeln am dynamischsten ausbauen können, und das werden wir sicher auch tun. Das wird sich auch im Ausstellungsprogramm widerspiegeln.

Billerbeck: Sie haben es erwähnt, es soll mehr Forschung geben. Das klingt gut, aber allein: Wie soll das laufen?

Fischer: Nun, in den Kunstsammlungen wird bereits geforscht, zum Teil auf sehr hohem Niveau, zum Teil seit vielen Jahren. Und es gilt jetzt, auch die anderen Bereiche an dieses Niveau heranzuführen und das koordiniert zu tun.

Billerbeck: Das klingt nach einem Defizit. Wo liegt das?

Fischer: Nein, es ist nicht wirklich ein Defizit. Sondern es geht darum, Potenziale zu heben, die da sind, und sie für das Gesamte der Staatlichen Kunstsammlungen fruchtbar zu machen. Und ich glaube, das ist wirklich eine große Chance hier in Dresden. Es ist sozusagen, nun, nicht Humboldt-Forum, nennen wir es Leibniz-Forum, durch eine solche Arbeit möglich.

Billerbeck: Das Humboldt-Forum hat eine lange unselige Vorgeschichte, wie Sie wissen. Ich weiß nicht, ob das der gute Bezug ist, aber – kommen wir zu einem anderen Stichwort, das Sie auch erwähnt haben, nämlich das Stichwort Provenienzforschung, also die Herkunftsforschung von Kunstwerken. Die Kunstsammlungen Dresden seien dazu berufen, das nationale Kompetenzzentrum dafür zu werden. Warum sehen Sie das ausgerechnet bei Ihnen in Dresden an der Elbe.

Fischer: Weil hier in Dresden ganz besondere Anstrengungen unternommen wurden, um die Provenienz der einzelnen Sammlungsstücke zu klären. Und das ganz systematisch in den letzten Jahren. Dabei sind enorme Kenntnisse zusammengekommen. Ich denke, dass Dresden da tatsächlich eine Vorreiterrolle hat, und insofern kann man die leicht zu einer tatsächlichen, zu einem Kompetenzzentrum ausbauen.

Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, Hartwig Fischer ist mein Gesprächspartner, der heute Abend als neuer Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ins Amt eingeführt wird. Immer wieder wird in der Museumslandschaft ja diskutiert, welche Aufgaben Museen in der Gegenwart und in der Zukunft haben werden. Wo liegen die Ihrer Meinung nach heutzutage?

Fischer: Nun, ich glaube, die Museen sind eigentlich ein Ort, an dem Menschen durch die Begegnung mit Kunstwerken sich selbst begegnen. Sich mit sich selbst auseinandersetzen können, zur Selbsterkenntnis und zur Selbstständigkeit geführt werden. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum Museen in den letzten 200, 300 Jahren eine so zentrale Position in unserer Gesellschaft gefunden und bewahrt haben. Kunstwerke sind verdichtete Formen der Selbsterkenntnis, der Auseinandersetzung mit der Welt. Und sich mit Kunstwerken auseinanderzusetzen heißt, daran teilzunehmen, sich daran zu beteiligen. Und ich glaube, das ist eine und bleibt eine große Aufgabe der Museen.

Billerbeck: Trotzdem wissen wir, dass ein Teil, ein durchaus beträchtlicher Teil der Gesellschaft davon nichts weiß, daran nicht teilnimmt. Wie kann es gelingen, neue Interessenten zu gewinnen?

Fischer: Zunächst muss man sagen, es gehen mehr Menschen ins Museum als ins Fußballstadion, und ich denke, das ist schon einmal eine ganz gute, ein ganz gutes Ergebnis. Es sind weit über 100 Millionen im Jahr in Deutschland alleine. Insofern, denke ich, ist das Museum eine hochpopuläre Institution. Aber natürlich haben alle Museumsleute den Ehrgeiz, noch mehr Menschen ins Museum zu bringen, ihre Arbeit mit einer noch größeren Zahl zu teilen und das, was sie hier tun, zu vermitteln. Das geschieht, indem man die Sammlung wunderbar präsentiert, indem man Ausstellungen macht, indem man heranführt, indem man vermittelt, aber natürlich auch, indem man Marketing und Werbung macht.

Billerbeck: Sind Sie also mehr Manager als Bewahrer der Kunst.

Fischer: Museumsleute sind Multitasker. Die müssen vieles gleichzeitig machen. Sie müssen forschen, sie müssen gut organisieren können, Ausstellungen machen, publizieren und natürlich müssen sie auch Marketing machen, ganz klar.

Billerbeck: Und sie müssen Sponsoren aus der Wirtschaft gewinnen. Da haben Sie Erfahrungen aus Essen, denn der Neubau, der wäre ja ohne die Krupp-Stiftung in Essen nicht möglich gewesen, vom Folkwangmuseum. Sind die auch in Dresden unerlässlich, und wie sind da die Kontakte?

Fischer: Es gibt ein gutes Netz von Förderern, keineswegs übrigens nur in der Wirtschaft, sondern auch bei Stiftungen des Landes und des Bundes und auch bei internationalen Partnern. Ganz sicher wird das eine wichtige Aufgabe sein, dieses Netz weiter auszubauen, denn die Finanzierung der Museen heute setzt sich zusammen aus der öffentlichen Trägerschaft, den Einnahmen, die die Museen generieren und den Drittmitteln, die sie von anderen akquirieren.

Billerbeck: Herr Fischer, meinen Sie, dass Ihre Arbeit in Dresden leichter wird als in Essen, weil Dresden ein besonderes, ein besonders enges Verhältnis zu seinem kulturellen Erbe hat?

Fischer: Ja, das ist sicher richtig, dass die Kunstsammlungen hier in Dresden eine ganz zentrale Rolle spielen, übrigens nicht nur in Dresden. Die Kunstsammlungen haben ja auch Museen in Leipzig, nämlich die ethnologischen und die ethnographischen Sammlungen und in Herrnhut. Und sie reichen weit zurück in die Geschichte. Und ich hab schon in den ersten Tagen gemerkt, wie stark die Menschen auf das achten, was hier geschieht. Wie viel sie auch davon wissen. Ich glaube allerdings, dass im Ruhrgebiet die Kultur auch eine wichtige Rolle spielt und dass sie gerade in den letzten Jahren durch die Kulturhauptstadt 2010 auch große Fortschritte gemacht hat. Dass das bedeutet, dass die Arbeit leichter wäre, das glaube ich nicht.

Billerbeck: Zehn Jahre war Ihr Vorgänger Martin Roth im Amt. Stellen wir Ihnen jetzt zum Schluss die Frage, die man gern in Bewerbungsgesprächen stellt: Wo sehen Sie sich und die Kunstsammlung Dresden in zehn Jahren?

Fischer: Ich sehe die Kunstsammlungen in zehn Jahren als einen weltbekannten Museumsverband mit einem hochattraktiven Programm, mit starker Ausstrahlung, mit starken Partnerschaften in allen Kontinenten und im Inneren als eine hervorragend arbeitende, auf Dialog orientierte Gemeinschaft.

Billerbeck: Mit Hartwig Fischer an der Spitze?

Fischer: Das werden wir sehen.

Billerbeck: Hartwig Fischer war das, neuer Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Heute Abend wird er ins Amt eingeführt. Alles Gute für Sie und ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Fischer: Gern geschehen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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