Dreikönigstreffen

"Debatten im Bundestag sind ärmer geworden"

Michael Theurer, der Landesvorsitzende der baden-württembergischen FDP, spricht am beim Landesparteitag
Michael Theurer, der Landesvorsitzende der baden-württembergischen FDP, sprach gestern beim Landesparteitag in Stuttgart. © Picture Alliance / DPA / Bernd Weissbrod
Moderation: Gabi Wuttke · 06.01.2014
Michael Theurer, Europaabgeordneter und neuer FDP-Chef in Baden-Württemberg, distanziert sich deutlich vom früheren Führungspersonal seiner Partei. Die FDP habe sich thematisch "verengen lassen". Es gehe jetzt darum, liberale Antworten auf Veränderungen in der Welt zu liefern.
Gabi Wuttke: Es ist wieder so weit, heute ist Dreikönig und die FDP sitzt zusammen wie immer an diesem Tag. Dabei ist alles anders, seit sie am 22. September zur außerparlamentarischen Opposition wurde und seitdem versucht, mit neuem Personal Vertrauen zurückzugewinnen.

Zu den Neuen in gewisser Weise gehört auch Michael Theurer, der Europaparlamentarier führt nämlich erst seit zwei Monaten die Liberalen in Baden-Württemberg. Und er forderte für seine Partei auch gestern in Stuttgart einen ganzheitlichen Ansatz.

Guten Morgen, Herr Theurer!
Michael Theurer: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Ohne die FDP würde man Liberalismus noch freiheitlich denken. Stimmen Sie dieser Kritik zu?
Theurer: Na ja, also, die Freie Demokratische Partei hat natürlich in ihrer Geschichte Höhen und Tiefen gesehen und wir müssen auf aktuelle Entwicklungen schon auch eingehen. Ich nehme zum Beispiel viele Menschen wahr, die in Deutschland den Staat nicht als Bedrohung, sondern als Garant für Freiheitsrechte ansehen. Und da hat vielleicht die FDP in der Vergangenheit den Fehler gemacht, dass wir zu staatskritisch waren.

Es geht jetzt für die FDP darum, die Freiheitsfragen neu zu definieren und damit auch liberale Antworten auf Veränderungen in der Welt zu liefern. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, denken Sie nur mal an den demografischen Wandel oder auch an die Globalisierung.
Wuttke: Wie viel Staat darf's denn für Sie sein?
Theurer: Ich glaube, es geht vor allen Dingen darum, dass wir den Staat moderner machen. Wir stoßen ja beim Staat, wenn wir die öffentlichen Ausgaben anschauen, an Grenzen, der Staat ist hoch verschuldet, nicht nur in anderen europäischen Ländern, sondern eben auch in Deutschland. Und da ist die Grundidee der Liberalen, zu sagen, setzen wir auf die Eigeninitiative des Menschen, schon die richtige.

Wir wissen, wir sind davon überzeugt, Arbeitsplätze entstehen in der Wirtschaft, und das ist die entscheidende Frage. Wir glauben, dass zum Beispiel die liberale Mittelstandspolitik die bessere Sozialpolitik ist, weil wir Unternehmen brauchen, die Risiken tragen und die Arbeitsplätze schaffen.
Wuttke: Und wo ist da der Staat?
"Große Frage des 21. Jahrhunderts ist die Bildungsfrage"
Theurer: Der Staat muss Rahmenbedingungen setzen. Und das ist zum Beispiel auch ein Thema, dem sich die FDP zuwenden muss, das Thema Leistungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit. Ich bin zum Beispiel der festen Überzeugung, dass jeder Mensch, egal welcher Herkunft, welchen Geschlechts, welcher Ethnie, welcher Religion, Chancen haben muss, und die große Frage des 21. Jahrhunderts ist die Bildungsfrage.

Also, egal ob man aus der Mietskaserne in Stuttgart-Hallschlag oder Berlin-Lichtenberg kommt oder aus einem besseren Wohnviertel, der Staat muss zum Beispiel dafür sorgen, dass jeder Mensch eine faire Chance hat.
Wuttke: Ich schließe aus dem, was Sie sagen, heute würden Sie zumindest nicht mehr sagen, dass die Verkäuferinnen bei Schlecker ja gar nicht so schlecht rausgekommen sind?
Theurer: Also, damals hat der damalige Bundesvorsitzende ja von einer Anschlussverwendung gesprochen. Das ist also eine Formulierung, die ich absolut nicht teile, die auch nicht dem gerecht wird, was die Mitglieder der FDP zum Beispiel empfinden. Wenn ich die Mitglieder im Landesverband Baden-Württemberg anschaue, da ist auch niemand dabei, dem es gleichgültig ist, wenn er selber oder jemand anderes arbeitslos wird. Also von dem her, es geht einfach auch darum, dass wir deutlich machen, dass wir da mitfühlen.

Die Frage ist halt, wie kommen wir zu Arbeitsplätzen. Und hier sind wir anders etwa als Linke oder Sozialdemokraten der Meinung, der Überzeugung, wir wissen, dass Arbeitsplätze eben in der Wirtschaft entstehen, deshalb brauchen wir günstigere Rahmenbedingungen zum Beispiel für Existenzgründer und deshalb brauchen wir auch günstigere Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sind.
Wuttke: Also, Sie wollen Vertrauen zurückgewinnen einerseits, aber die FDP auch öffnen für eine breitere Wählerschicht jenseits des schmalen Grats, den Sie bislang gegangen sind. Aber, Herr Theurer, auch Sie singen ja trotzdem das Hohe Lied des verantwortungsbewussten Liberalismus. Wie immer, wenn es der FDP schlecht ging, hat sie sich ja darauf besonnen, hat es dann aber irgendwie wieder aus den Augen verloren, zumindest mit den Hauptprotagonisten dieser Partei. Man könnte den Eindruck haben, dass das neoliberale Denken sich in Ihre Partei so als ganz fieser Virus eingeschlichen hätte. Ist für Sie die FDP Opfer oder Täter?
Schnüffelei geht überhaupt nicht
Theurer: Also, richtig ist, dass die FDP sich hat verengen lassen in der Außenwahrnehmung, wahrscheinlich auch selber verengt hat auf Steuersenkung, auf den Homo oeconomicus. Aber wir denken natürlich das Ganze breiter und wir wollen auch wieder mit weiterem Horizont wahrgenommen werden. Vielleicht hat es diese Krise gebraucht, aber ich bin der festen Überzeugung, dass jetzt schon die Debatten zum Beispiel im Deutschen Bundestag ärmer geworden sind ohne FDP und dass wir etwas zu sagen haben, nämlich liberale Antworten. Und die müssen wir nach außen stellen, zum Beispiel eben auch in den Bürgerrechten, etwa bei dem NSA-Skandal. Wir sind der Meinung, dass die anlasslose Schnüffelei überhaupt nicht geht, wir verstehen auch nicht, dass man jetzt wieder die Vorratsdatenspeicherung ins Gespräch bringt, die wir ablehnen.
Wuttke: Aber Herr Theurer, Sie können es im Augenblick im Bundestag nicht sagen, es ist einfach so. Meine Frage noch mal: Ist die FDP Täter oder Opfer?
Theurer: Na ja, also, wir sind eine Partei mit fast 70.000 Mitgliedern. Das ist natürlich ein gruppendynamischer Prozess, wahrscheinlich beides, um Ihre Frage zu beantworten. Und darauf wollte ich eigentlich mit meiner Antwort raus: Wir müssen unsere Tradition wiederbeleben und da haben wir eine ganze Reihe, etwa auch eine ökoliberale Tradition, die ganz in den Hintergrund getreten ist. Und dafür jedenfalls trete ich und auch jetzt einige Erneuerer in der FDP ein.
Wuttke: Sie haben diese Ökoliberalen ja mal gegründet. Ist es jetzt Zeit, dass Ihre Partei an diesem Ansatz Gefallen finden könnte, oder andersherum gefragt: Birgit Homburger, Ihre Vorgängerin in Baden-Württemberg, die scharrt ja mit den Hufen, politisch wieder oben mitzumischen. Wie stark sind die Kräfte, die verhindern könnten, dass die FDP einen neueren Weg einschlägt?
Theurer: Wir haben jetzt zunächst mal eine neue Parteiführung gewählt in Baden-Württemberg und auch im Bund und wir hatten einen guten Parteitag gestern mit einer Aufbruchstimmung, wir brauchen auch diejenigen, die bisher mitgewirkt haben, wir sind in derselben Partei. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen kann, dass wir mit einem weiteren Horizont aufgestellt werden, und gerade in dem Thema Ökoliberale haben wir auch was zu sagen. Also, Umweltschutz durch Technik war immer das Thema der FDP, aber wir haben es nicht deutlich genug ins Schaufenster gestellt.
Wuttke: Hier ganz deutlich gesagt, Michael Theurer, liberaler Europaabgeordneter und Chef der baden-württembergischen FDP im Interview von Deutschlandradio Kultur. Herr Theurer, besten Dank und einen schönen Tag!
Theurer: Ja, vielen Dank, einen schönen Tag wünsche ich!
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