Dreieinhalb Generationen europäischer Kulturgeschichte

Die Familie Hörbinger zählt zu den großen Schauspieler-Dynastien im deutschsprachigen Raum. Mitglieder der Familie standen auf der Bühne am Wiener Burgtheater, waren auf der Kinoleinwand zu sehen oder wirkten bei Fernsehfilmen mit. Georg Markus wirft mit seiner Familien-Biographie einen Blick auf den weit verzweigten Kulturclan.
Vor allem taucht dieses Buch tief ein in eine selbst für die gewieftere und halbwegs erfahrene Theaterkundschaft sehr, sehr ferne und fremde Zeit: mit dem biographischen Zugriff auf dreieinhalb Generationen europäischer Kulturgeschichte. Und die Jüngeren, die womöglich bestenfalls mal eine junge, hübsche Schauspielerin namens Mavie Hörbiger auf dem Fernsehbildschirm oder etwa einen einigermaßen begabten Komiker namens Christian Tramitz im Kino gesehen haben, als Teil vom Team vom "Schuh des Manitu" zum Beispiel, werden vielleicht gar nichts wissen von der Geschichte der weitläufigen Familie, auf deren Schultern diese Jung-Stars stehen. Und selbst Udo-Jürgens-Fans haben eine kleine Portion mitbekommen vom Generaltalent der Hörbigers: "Merci Cherie" und viele andere Hits stammen aus der Feder von Thommy Hörbiger.

Das ist der Sohn von Paul Hörbiger, der Inkarnation des Wiener Volksschauspielers, 1894 als dritter von vier Brüdern aber noch in Budapest geboren, wo der Vater Hanns am Bau der U-Bahn mitgewirkt hatte, einer der ersten in Europa. Mavie wiederum ist Thommys Tochter, Christian Tramitz der Sohn von Thommys Schwester Monika. Attila Hörbiger, zwei Jahre jünger als Paul, ebenfalls noch des Ungarischen mächtig und lange in den Fußstapfen des älteren Bruders auf dem Weg in den Schauspielerberuf, heiratet nach langer Liebe die Kollegin und Fleischhauerstochter Paula Wessely, 1907 geboren und in ihrer größten Zeit eine der herausragenden, wenn nicht die wichtigste Schauspielerin "alter Schule", zugleich aber spätestens durch die Mitarbeit am Nazi-Propaganda-Film "Heimkehr" unrettbar verstrickt in den faschistischen Terror; zusammen haben sie drei Töchter, die sämtlichst zu Schauspiel-Prominenz gelangt sind: Elisabeth (die den Namen der Großmutter "Orth" annahm) bis heute und vor allem für Inszenierungen von Andrea Breth im Ensemble des Burgtheaters, Christiane Hörbiger, nach großen Erfolgen auf der Bühne heute eine der immer wieder erstaunlichen und darum hoch geschätzten Darstellerinnen in Kino und Fernsehen (vom "Erbe der Guldenburgs" bis zu "Schtonk"), und Marie Theresa, kurz: Maresa, die auch Theaterkarriere machte und heute so etwas wie die Nachlassverwalterin ist im Hörbiger-Haus in der Wiener Himmelsstraße. Alle Töchter haben Söhne: Cornelius Obonya, Sascha Bigler, Manuel Witting. Und alle sind wiederum Teil vom Fach: als Schauspieler oder Regisseur.

Es gibt noch ein paar echte Theater-Dynastien im deutschsprachigen Raum: zeitgleich zu den Hörbigers die Familie Thimig; später neben vielen anderen die verzweigte Sippe des gerade verstorbenen Schweizer Meisterregisseurs Benno Besson, das Kölner Haus Millowitsch, die Familie Neutze in Hannover oder die Hamburger Theater-Sippe mit dem Namen Maertens. Spross Michael, Star an der Wiener "Burg", in Zürich und am "Berliner Ensemble", hat sinnigerweise gerade Mavie Hörbiger geheiratet: Clan trifft Clan.

Soviel generell zur Genealogie. Über "Die Hörbigers" hat der Wiener Boulevard-Autor Georg Markus ein Buch aus der Fan-Perspektive geschrieben; und noch in ausführlichen ausgebreiteten Details über den politischen Streit um das Mitläufer-, ja Mitmachertum von Paula Wessely und Attila Hörbiger (nicht von Paul, der war kurz vor Kriegsschluss sogar inhaftiert wegen Mitgliedschaft in einer Widerstandsgruppe) schwingt vor allem Verständnis und Verehrung mit. Position bezieht der Autor eher nicht gegenüber den Objekten der Verehrung – sammelt aber kluge Kommentare etwa von den Töchtern oder von Andre Heller. Brav hakt Markus Karriereschritt um Karriereschritt ab; und referiert die hymnische Verehrung eines Publikums, das (anders als heute) noch Theaterhelden hatte.

Aus dem Umfeld und eher vom Rande her entwickeln sich denn auch die interessantesten Aspekte des Schmökers:

Im sozialen Umfeld der "gottbegnaden Künstler" (600 von ihnen führten die Nazis auf einer Liste, sie genossen eine Art Narrenfreiheit): Paula Wessely war die erste Schauspielerin, die auf Bühne und Leinwand gleich erfolgreich war – beim Film allerdings pro Produktion vier Mal so viel verdiente wie in einem Jahr am Burgtheater.

Bei den künstlerischen Besonderheiten dieser Karrieren: Paul und Attila, und später auch Paula, waren nach ersten Erfahrungen in der böhmisch-tschechischen Provinz Teil von Max Reinhardts "Dream Team", das am Deutschen Theater in Berlin ebenso zu Hause war wie bei den Salzburger Festspielen, Reinhardts Gründung, und am Wiener "Theater in der Josefstadt"; an der benachbarten "Burg" allerdings herrschte derweil (und, so auf Nachfrage Claus Peymanns guter Haus-Geist Hermann Beil, bis 1984!) das "Vorhangverbot" – selbst die größten Stars haben ihr Publikum also in diesem Haus nie Beifall klatschen sehen. Wie konnten sie da ermessen, was die Propagandafilme der Nazis im Publikum anrichteten?

In der eigentlichen Familien-Geschichte: Paula war eine altkatholisch erzogene, von Ängsten getriebene und herb-harte Über-Mutter; und es war sowohl Vorteil als auch schwere Last für jedes Kind, mit dieser Mutter, und diesem Vater auch, selber auf die Bühne zu steigen. Zur Vertiefung: Das Fachblatt "Die Deutsche Bühne" hat übrigens gerade im März "Die Familie" zum Schwerpunkt gemacht; und auch Familiengeschichten wie diese gesammelt.

In der Art und Weise, wie Theater früher überhaupt "gemacht" und wahr genommen wurde: die "Burg"-Stars sprachen ja nicht, so rezitierten und deklamierten eher; und adressierten ihre Texte immer geradeaus ins Publikum, egal, was die Szene eigentlich erforderte; erst Fritz Kortner hat Maresa Hörbiger etwa beigebracht: "Sorg’ dafür, dass auf der Bühne auch Deine Zehen die des Partners anschauen – dann klingst Du natürlich!" Und die schreibende Zunft propagierte eine aus zeitgenössischer Sicht geradezu abstruse Vorstellung davon, was "echt" und was "wahrhaftig" sei. Da "singt die Seele durch die Worte" – doch es muss die blanke Künstlichkeit gewesen sein: und eine Lachnummer heute, wenn einer oder eine sich das traute!

So sind "Die Hörbigers" als Lektüre gerade dort besonders interessant, wo so sie besonders fremd und unzugänglich sind. Überdeutlich wird dann, wie grundsätzlich (und durchaus nicht zum Schlechten!) sich die Theater- und die Medien-Welt verändert hat zwischen Paul und Attila Hörbiger damals und Mavie heute.

Und wäre der Autor Georg Markus nicht auch und vor allem ein Klatsch- und Tratsch- und Anekdötchen-Erzähler, ein "Schmähtandler" auf gut Wienerisch, dann hätte dies auch kluge Studie über "Theater, Familie und Politik" werden können. Das sind "Die Hörbigers" zweifellos nicht – bestenfalls eine gut sortierte Fundgrube mit allem drin, was Sie schon immer wissen wollten, über die Familie mit dem großen Namen.

Rezensiert von Michael Laages

Georg Markus: Die Hörbigers
Amalthea Verlag 2006
352 Seiten, 24,90 Euro