Drei Syrer berichten

"Nur hier können wir friedlich sprechen"

Syrische Männer suchen nach einem Luftangriff am 10. September 2016 in der nordwestsyrischen Stadt Idlib in den Trümmern nach Opfern.
Der Alltag in Syrien: die Folgen eines Luftangriffs. © AFP / Omar haj kadour
Von Amloud Alamir  · 20.09.2016
Unsere Autorin hat in Deutschland ein Gespräch beobachtet, das in Syrien unmöglich wäre: Drei syrische Kämpfer sprechen Tacheles. In der Heimat kämpften die Männer auf verfeindeten Seiten - bei der "Al Nusra-Front", der "Freien Syrischen Armee" und für das Assad-Regime.
Khalid zeigt auf sein rechtes Bein. Es ist entzündet und muss operiert werden. Doch für die OP fehlt noch die Genehmigung, sagt er. Eigentlich heißt Khalid anders, er möchte seinen richtigen Namen nicht nennen. Denn er hat mit der "Al-Nusra-Front" gekämpft, sagt er. Sie wird von den Vereinten Nationen und der EU als Terrorgruppe eingestuft. Khalid ist Anfang 30 und kommt aus Idlib – einer größeren Stadt in Nordsyrien. Dort sei er verletzt worden. Durch einen Luftangriff – von russischen Kampfjets, ist er sich sicher. Danach sei er mehrfach operiert worden, Schrauben wurden eingesetzt, aber der letzte Eingriff misslang.
Khalid: "Ich hatte mich operieren lassen und eine halbe Stunde nachdem ich aus der Narkose erwacht war, musste ich das Krankenhaus wegen bevorstehender Luftangriffe verlassen. Ich ging vom Krankenhaus nach Hause. Da kam ein Kampfflugzeug und griff nur 500 Meter von mir entfernt an. Ich konnte nicht weglaufen, mein Bein war noch frisch verbunden. Einige Leute flohen, andere blieben bei mir."
Khalid habe vor dem Krieg mit seinen Eltern Kartoffeln und Weizen angebaut und davon gelebt. Als Reaktion auf die Angriffe, sagt er, kaufte er sich Waffen und schloss sich der salafistischen "Al-Nusra-Front" an.
Khalid: "Ich habe mich jeder Gruppierung angeschlossen, die gegen das Regime kämpft. Hauptsache sie kämpften gegen das Regime, egal wer – denn dieses Regime tötet uns."
Als sich im Sommer die "Al-Nusra-Front" offiziell von Al-Qaida lossagte und umbenannte, war Khalid bereits in Deutschland, um medizinische Hilfe für sein Bein zu suchen.

In Syrien hätten sie sich bekriegt

Draußen vor einem Café spricht er über seine Geschichte. Ein anderer Syrer – Fadi – mischt sich in das Gespräch ein, diskutiert mit. In Syrien wäre das unmöglich gewesen. Khalid und Fadi? Hätten sich bekriegt. Denn Fadi sei Sympathisant der Freien Syrischen Armee gewesen, kurz FSA.
Er meint, "Al-Nusra" sei verantwortlich für die Katastrophe in ihrem Land. Die Kämpfer würden Gedanken und Ideen verbreiten, die nicht in die syrische Gesellschaft passten.
Fadi versucht seine Emotionen zu kontrollieren als er erzählt, wie er seinen Laden und all sein Hab und Gut verlor.
Fadi: "Die Al-Nusra-Front hat Zivilisten und Nicht-Zivilisten schlecht behandelt. Das kann jeder bestätigen. Sie haben die Menschen vertrieben und getötet.
"Die Nusra?"
"Ja, die Al-Nusra-Front."
Deswegen sei er auch geflohen.
Fadi: "Ich weiß nicht, wohin das in Syrien führen soll. Es ist, als wären wir in einem Tunnel und wissen nicht, was da drin ist. Es ist dunkel. Wir sind wieder in der Vorzeit angekommen. Unsere Religion ist der Islam, die Religion der Vergebung und der Liebe…. Aber es ist nichts mehr davon übrig."
Über 100 Verwandte habe er im Krieg verloren, sagt er. Sie hätten für die "Freie Syrische Armee" gekämpft. Die war besonders am Anfang des Krieges die Hoffnung der gemäßigten Kräfte, um Präsident Assad zu stürzen. Fadi ist sich sicher: Der FSA seien die religiösen Ansichten der Menschen egal. Im Gegensatz zum Assad-Regime, dass die Bevölkerung bewusst spalte und zwischen den Glaubensrichtungen nur unterscheide, damit es an der Macht bliebe.
Fadi: "Wenn die Freie Syrische Armee Orte vom Assad-Regime befreite, hatte sie keine Probleme damit, wenn eine Person Alawit, Christ, oder Sunnit war. Wir haben in Syrien 50 Jahre lang nie darüber gesprochen, wer Sunnit, Alawit oder Schiit ist. Ganz egal. Wir wollen in Frieden zusammenleben. Aber das Assad-Regime versucht jetzt, uns gegeneinander aufzuhetzen. Wir waren wie eine Familie. Aber jetzt tötet der Bruder sogar seinen eigenen Bruder."

In Daraa begann der Krieg

So einfach ist es nicht, wirft der dritte Syrer in der Runde ein: Kais al Rifai. Er ist Zahntechniker und stammt aus Daraa – einer mittelgroßen Stadt im Süden Syriens.
Dort begann im Februar 2011 der Krieg, als Kinder regimekritische Parolen an das Schulgebäude malten, ins Gefängnis kamen und der Protest der Eltern das ganze Land in Aufruhr versetzte.
Jeder, der seit dem gegen den Präsidenten zur Waffe griff, sei ein Verräter, meint Kais.
Und die Rebellengruppen seien gesteuerte Marionetten von anderen Ländern und hätten nur das Ziel, die Gesellschaft zu spalten und Syrien zu zerstören.
Kais: "Ich fühle mich nicht vertreten durch die Oppositionskräfte, auch nicht durch die Freie Syrische Armee. Das ist alles Lüge. Selbst wenn mein Haus durch Bombardierungen zerstört würde: Aus Anstand würde ich keine Waffe in die Hand nehmen und gegen meine eigenen Landsleute kämpfen. Wenn mir Unrecht geschieht, entschädigt mich Gott. Es gibt viele ehrenhafte Menschen, die auch meiner Meinung sind und einfach das Land lieben. - Selbst wenn mich jemand töten wollte, so würde ich meine Hand nicht gegen ihn erheben."
Alle drei sehen sich als Opfer des Krieges. Kais glaubt, dass eine Macht außerhalb Syriens ihre Finger im Spiel hat. Der Sympathisant der "Freien Syrischen Armee" Fadi glaubt, dass das Assad-Regime für die jetzige Lage verantwortlich ist und selbst die Terrormiliz IS erschaffen hat. Und Khalid? Der laut eigenen Angaben immer noch Ansichten der "Al Nusra-Front" teilt?
Er will erst wieder zurück, wenn Frieden herrscht, sagt er.
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