Drei Quadratmeter Privatsphäre

Bernd Johannes im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 04.11.2011
Sechs Männer waren 520 Tage in einem Container, um für den Flug zum Mars zu üben. Bernd Johannes hat mit ihnen psychologische Experimente durchgeführt und findet, dass die "mentale Frischheit" der Kandidaten erstaunlich sei.
Liane von Billerbeck: Kurz vor unserer Sendung haben wir mit Dr. Bernd Johannes gesprochen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der mit seinen Kollegen für die psychologischen Untersuchungen und Experimente während dieses Projektes Mars 500 beschäftigt war. Ich grüße Sie!

Bernd Johannes: Einen schönen guten Tag!

von Billerbeck: Ein Spiegelei zum Frühstück hat sich der Kommandant gewünscht, welche Wünsche der Männer wurden denn sofort erfüllt?

Johannes: Also heute sind sie jetzt um 14 Uhr russischer Zeit rausgekommen, und Gott sei Dank sahen sie alle recht gut aus, aber das erste Frühstücksei wird es wahrscheinlich erst morgen geben.

von Billerbeck: Sahen alle ganz gut aus? Was konnten Sie da sehen? In welchem Zustand ist man denn, nachdem man über 500 Tage eingesperrt war auf engstem Raum?

Johannes: Ich war zutiefst beeindruckt, mit welcher Freude sie rausgekommen sind, wie sie alle sozusagen in ihren Ansprachen, die sie gehalten haben, zum Ausdruck gebracht haben: Der erste Schritt ist getan, sie sind bereit, neue Schritte zu unternehmen, damit der Mensch zum Mars fliegen kann. Die haben alle sich gegenseitig gelobt und waren stolz darauf, mit fünf solchen tollen Mitstreitern da 520 Tage verbringen zu können. Sie sahen physisch sehr fit aus, sie sahen alle ein bisschen blass aus – ist bei der fehlenden Sonne auch kein Wunder, und über ihre, ja, sagen wir mal mentale Frischheit war ich echt erstaunt.

von Billerbeck: Wie viel Platz hatte denn jeder einzelne dieser sechs Forscher, wenn er sich mal zurückziehen wollte, so ganz für sich allein?

Johannes: Na, jeder hat schon seine kleine Kajüte, aber die hat eine Grundfläche von knapp drei Quadratmetern. Ist nicht allzu sehr viel, aber man muss sagen, wenn man nicht mehr hat, reicht einem das, dass man überhaupt eine Tür zumachen kann. Es gab ja früher Studien, wo diese Kajüten nicht vorhanden waren.

von Billerbeck: Und da hat man dann festgestellt, man muss diesen Rückzugsraum haben, auf so einer langen Strecke?

Johannes: Na ja, sagen wir mal so, man hat festgestellt, dass zumindest auch die europäischen Gäste dieses Zusammenleben in einem Mannschaftsraum im Vierstock-Bett vielleicht nicht so toll finden.

von Billerbeck: Aha, die Europäer sind da empfindlicher?

Johannes: Die haben einen höheren Bedarf an kulturellem Niveau oder sind nicht in der Lage, sich so weit zurückzuschrauben, dass sie mit einfacheren Lebensverhältnissen klarkommen.

von Billerbeck: Nach welchen auch psychologischen Kriterien wird denn so eine Besatzung ausgewählt?

Johannes: Ja, es gibt schon so ein paar Kriterien, die sich herausgeschält haben, worauf man achten soll. Aber Ausnahmen bestätigen immer die Regel.

von Billerbeck: Welche Kriterien waren das?

Johannes: Zum Beispiel ist es ungünstig, wenn man jemanden da rein setzt in die Isolationskammer, der so Sensation Seeking macht, der immer surfen gehen muss oder in die Alpen, in die Berge klettern muss et cetera. Wer solche Hobbies hat, die sehr weitebedürftig sind, die haben es natürlich schwerer, sich dann in so einer beengten Gegend wohl zu fühlen. Es gab mal einen Kandidaten halt, der solche Eigenschaften zeigte und deshalb meiner Meinung nach ein höheres Risiko auszuhalten hatte als andere, und der hat das wunderbar gemeistert, also Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ruhige Kandidaten, teamfähige Kandidaten braucht man, das heißt, man braucht nicht den toughen Einzelkämpfer, sondern jemanden, der in der Lage ist, mit anderen gemeinsam ein Ziel anzustreben. Und der wichtigste Punkt, glaube ich, den man sehen muss, ist, die müssen alle eine ureigene Motivation haben, da rein zu gehen. Nur so auf Befehl, nur so auf Weisung von außen, geht so was nicht. Die müssen so was Eigenes wollen.

von Billerbeck: War es ein Zufall, dass das sechs Männer waren?

Johannes: Nein, das war kein Zufall. Es gibt sehr unterschiedliche Erfahrung bei gemischten Mannschaften, es gibt sehr positive, es gab aber auch gerade in der letzten Vergangenheit hier ein paar negative Erfahrungen, …

von Billerbeck: Welche?

Johannes: … und da hat man einfach das Risiko, dass Männer sich um Frauen streiten, ausgeschaltet und gesagt: OK, dann werden wir für dieses erste wichtige, bahnbrechende Experiment, was solche Dauer hat, halt einen Risikofaktor weniger haben.

von Billerbeck: Aber es hätten doch auch sechs Frauen sein können?

Johannes: Tja, sicher, es gibt aber eine ganze Reihe von organisatorischen Problemen mehr bei Frauen als bei Männern. Das soldatische, das Teamleben ist halt den Männern von der Kindheit eher antrainiert, sodass tatsächlich solche Männerteams in der Regel leichter laufen als Frauenteams.

von Billerbeck: Über 500 Tage eingesperrt in einer auf der Erde simulierten Station, die einen Flug zum Mars gemacht haben. "Mars 500" heißt das Projekt, das Dr. Bernd Johannes vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt mit betreut hat. Er ist heute mein Gesprächspartner. Der russische Kommandant hat eben Beitrag in Radiofeuilleton, Deutschlandradio (MP3-Audio) in diesem kleinen Beitrag gesagt, es gab keine Spannungen. Da fragt man sich natürlich: Kann das sein, Männer aus unterschiedlichen Ländern, die monatelang zusammen hocken, auf nur wenigen Quadratmetern, und es gibt keinen Konflikt?

Johannes: Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt. Natürlich wird es Unterschiede in der Wahrnehmung von Situationen, in der Beurteilung von Situationen gegeben haben, die auch zu Meinungsverschiedenheiten geführt haben. Was die Jungs aber wunderbar verstanden haben, ist, miteinander Dinge auf einer Diskussionsebene auszutragen und nicht gegenseitig verschiedene Meinungen übel zu nehmen. Das haben die tatsächlich während und wahrscheinlich auch vor der Studie schon angelernt, sodass sie tatsächlich im Umgang miteinander ein hervorragendes Beispiel gegeben haben, dass so was möglich ist. Und das war einer der wesentlichen Erfolge dieser Studie, dass wir eben bewiesen haben, dass eben auch aus sehr verschiedenen Kulturkreisen Menschen, wenn sie denn richtig motiviert und trainiert werden, über so lange Zeit miteinander arbeiten und fliegen können.

von Billerbeck: Hätte man dann auch von außen vermitteln können, wenn da solche Konflikten existieren?

Johannes: Im Prinzip schon, aber das ist ja eins der Probleme dieser Marsstudie gewesen, dass es ein Kommunikations-Delay, eine Kommunikationsverzögerung gegeben hat, die in jeder Richtung 20 Minuten betrug. Das heißt, wenn man sich austauschen wollte, dann hat man die Antwort nach einer Stunde, und eine Stunde kann deutlich viel zu lange sein, wenn es um akute Probleme geht.

von Billerbeck: Wie geht man denn aber nun mit solchen Gefühlen wie Sehnsucht und Trauer um? Was beispielsweise, wenn es in einer Familie einen Todesfall gibt? Sagen Sie das den Mitgliedern dieser Expedition dann oder ist da vorher ausgemacht worden, das sagen wir euch erst hinterher?

Johannes: Das wird sehr individuell gehandhabt, das ist Gott sei Dank nicht eingetreten, soweit ich weiß. In der Raumfahrt ist jetzt so was schon vorgekommen, und das wird dann wirklich sehr individuell gehandhabt, hängt von der aktuellen Situation des Probanden ab, von seiner grundsätzlichen Einstellung dazu, also da gibt es keine pauschale Antwort, und man wird niemanden belügen, das ist mit Sicherheit der Fall, aber es kann schon auch vorkommen, dass man irgend so eine schlechte Nachricht nach hinten verzögert, bevor man sie mitteilt, das muss man wirklich von Fall zu Fall entscheiden, da gibt es keine Pauschalantwort.

von Billerbeck: Nun haben Sie ja die Mitglieder der Expedition überwacht, in so einer klaustrophobischen Situation, aber wie macht man das, ohne die Beziehungen innerhalb des Teams zu stören oder zu beeinflussen?

Johannes: Das war genau der Ausgangspunkt unserer Überlegungen: Wie kann man eine Gruppendynamik erfassen, Monitoring über längere Zeit, ohne diese Struktur selber zu beeinflussen? Wenn ich jemanden dazu bringe, über sich und seine Beziehung zu anderen nachzudenken und einen Fragebogen zu beantworten, dann nimmt man darauf Einfluss, weil man sich vielleicht durch gewisse Fragen erst bewusst wird, ach, na den kann ich eigentlich gar nicht gut leiden.

Und wir haben gesagt: OK, wir versuchen zu messen, was messbar ist. Und man kann natürlich die Zeit messen, registrieren, die jeweils zwei Versuchsteilnehmer miteinander, zusammen verbringen. Man nimmt an, dass die Kandidaten, die sich mehr mögen, dann auch mehr Zeit miteinander verbringen, und die, die sich halt nicht so mögen, ja, dass die sich mehr aus dem Wege gehen. Und dann haben wir natürlich einen Datensatz, der relativ kontinuierlich über den langen Zeitraum auch eine Veränderung, eine Dynamik dieser Struktur wiedergibt, was so ein einzelner Fragebogen nicht hergibt.

von Billerbeck: Sie sind selber in so einer Situation schon gewesen, ich glaube, etwas über 100 Tage haben Sie in so einem Container verbracht. Sind Sie mit den Kollegen, mit denen Sie darin zusammen waren, noch befreundet, oder können Sie die nicht mehr sehen?

Johannes: Also das stimmt, ja, 1999 haben wir an so einer Studie teilgenommen für 110 Tage, und bis auf den Kandidaten, der leider in Leningrad wohnt, treffen wir anderen uns, und noch dieses Wochenende werde ich bei meinem Crewmate von der damaligen Zeit dort werde ich das Wochenende verbringen.

von Billerbeck: Doktor Bernd Johannes war das vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt über "Mars 500". Am heutigen Tag sind sechs Forscher nach über anderthalb Jahren aus dem Container ausgestiegen, mit dem auf Moskauer Boden der Flug zum Mars simuliert wurde. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Johannes: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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