"Drei Prozent wäre gerechter als fünf Prozent"

24.09.2013
Der Berliner Rechtswissenschaftler Ulrich Battis fordert die Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde. Die Stimmen von sieben Millionen Menschen hätten bei dieser Bundestagswahl überhaupt keine Auswirkungen: "Das ist doch schwer vereinbar mit dem Grundsatz der Demokratie."
Korbinian Frenzel: Das war früher ein schöner kleiner exotischer Ausflug, wenn man am Wahlabend noch mal kurz die Ergebnisse der "Sonstigen" angeschaut hat: ÖDP, Graue, Tierschützer. So was fand sich da, Gesamtgewicht an Stimmen vielleicht fünf oder sechs Prozent, wenn es hoch kam. Dieser Wahlsonntag hat auch in dieser Hinsicht alle Maßstäbe verschoben: 15,7 Prozent sind diesmal an Parteien gegangen, die es nicht in den Bundestag geschafft haben. Das ist nicht wenig, das bedeutet nämlich, dass knapp sieben Millionen Bürger gewählt haben, ohne dass ihre Stimme irgendeine Rolle im künftigen Bundestag spielen wird. Das kann man nicht einfach übergehen, darüber muss man zumindest mal nachdenken. Wir tun das mit Ulrich Battis, er ist emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Humboldt-Universität Berlin. Einen schönen guten Morgen.

Ulrich Battis: Einen schönen guten Morgen, Herr Frenzel.

Frenzel: Herr Battis, ist das ein Ausreißer, oder ist das ein Trend, dass immer mehr Stimmen unter den Tisch fallen durch die Fünf-Prozent-Hürde?

Battis: Nun, einen Ausreißer würde ich das nicht nennen. Es ist bisher nicht zu solch großen Ausschlägen gekommen, aber ob es nun wirklich einen Trend zu mehr kleineren Parteien gibt oder nicht, ich glaube, das kann niemand im Moment sicher beantworten. Aber feststellen kann man doch, dass insgesamt die Parteienvielfalt, also die Vielfalt der Parteien, die eine Chance haben, nicht nur wenige Stimmen zu bekommen, dass die eher zunimmt. Insofern könnte ein ähnliches Ergebnis wieder kommen.

Frenzel: Was machen wir damit? Brauchen wir eine Reform des Wahlrechts? Müssen wir an die Fünf-Prozent-Hürde heran?

Battis: Nun, die Fünf-Prozent-Hürde war ja immer umstritten. Sie gilt als eine sogenannte Lehre aus Weimar. Wir haben jetzt eine Republik, die doch sehr stabil ist seit 60 Jahren, über 60 Jahren, und wir haben ja auch die Fünf-Prozent-Klausel schon abgeschafft auf Gemeindeebene, auf Landesebene zum Teil, und auch das Bundesverfassungsgericht – und das halte ich schon für wichtig – hat ursprünglich die Fünf-Prozent-Klausel bei der Europawahl gebilligt und sie dann kürzlich verworfen und man könnte auch hier daran denken, dass man zumindest auf drei Prozent, wie das in einigen anderen Ländern bei uns auch ist, wenn man darauf zurückging. Vor allen Dingen, finde ich, sollte man eins nicht vergessen, was Sie anfangs angesprochen haben. Sieben Millionen Menschen, deren Stimme überhaupt keine Auswirkung hat, das ist doch schwer vereinbar mit dem Grundsatz der Demokratie.

Frenzel: Nun könnte man sagen, diese sieben Millionen, die werden wissen beim nächsten Mal, ich schaue ganz genau und entscheide mich dann vielleicht für eine Partei, bei der ich weiß, dass sie sicher drin ist. Das hat ja eine politische Funktion, das hat eben auch die Funktion, dass wir keine Zersplitterung des Parteiensystems haben. Ist das nicht jenseits von Weimar ein Wert an sich, dass die Parteien eher dem Allgemeinwohl verpflichtet sind als Partikularinteressen?

Battis: Ob nun alle Parteien, die klein sind, Partikularinteressen vertreten, das ist zunächst einmal eine steile These. Das würde ich so nicht unterschreiben. Natürlich gibt es, wenn Sie an die Partei der Biertrinker und ähnliche denken, die natürlich überhaupt gar nicht als Volkspartei zu bezeichnen sind, wenn Sie die anschauen, schon. Es ist völlig richtig, es ist ein Problem, aber ich finde, drei Prozent wäre gerechter als fünf Prozent.

Frenzel: Dann lassen Sie uns das mal konkret anschauen bei dieser Wahl, die Drei-Prozent-Klausel. Die hätte bedeutet, dass die FDP drin bleibt, wir hätten jetzt einfach Schwarz-Gelb. Philipp Rösler hätte wahrscheinlich einfach Parteichef bleiben können, alles wäre beim Alten geblieben, mehr oder minder. Hat diese Fünf-Prozent-Hürde nicht auch was Reinigendes? Ist das nicht die Katharsis unseres politischen Systems, dass man sagt: Das muss man wirklich schaffen, wenn man es nicht schafft, dann muss es auch Konsequenzen geben?

Battis: Das ist sicherlich richtig. Nur ich bin sicher, wenn die FDP mit 4,5 oder 4,7 jetzt reingekommen wäre, wäre Philipp Rösler auch nicht mehr da. Gucken Sie sich Herrn Hahn in Hessen an, der hat es ja nun so gerade noch geschafft und hat seinen Rücktritt schon angekündigt.

Frenzel: Ja gut. Aber nehmen wir mal den anderen Fall, die andere Partei, die dann reingekommen wäre, wenn wir Ihren Vorschlag der Drei-Prozent-Hürde aufnehmen. Das wäre die AfD. Können wir da nicht auch sagen: Na gut, das sind zwar viele Stimmen, da sind wir jetzt aber irgendwie politisch mit einem blauen Auge davon gekommen und die Parteien können jetzt daran arbeiten, dass es für eine solche Partei nicht eine derart hohe Zustimmung geben muss?

Battis: Ja, das kann man sicher so sehen. Aber andererseits kann man auch sagen, wir haben ja bisher eine ganz, ganz große Koalition in Europafragen, und ob das alles so jenseits von Gut und Böse ist, wie das dargestellt wird, das kann man doch mit guten Gründen auch bezweifeln. Ich finde, das ist schon ein Verdienst der AfD, dass sie das deutlich gemacht hat, dass es hier sehr wohl Alternativen gibt. Die Aussage der Kanzlerin vor einiger Zeit, der Euro sei ohne Alternative, ist sicherlich nicht richtig.

Frenzel: Wenn man es insgesamt betrachtet, funktioniert es in Deutschland mit der Repräsentation ja eigentlich ganz gut. Ich stelle mir gerade mal die Situation vor, diese sieben Millionen Wähler, die könnten ja jetzt auch in Berlin vor den Reichstag marschieren und sagen, wir sind nicht repräsentiert, das kann so nicht sein. Dieser Gedanke ist ja gar nicht so fern, wenn wir in andere Länder gucken, wo die politischen Verhältnisse etwas instabiler sind. Aber in Deutschland fühlen sich die Menschen doch insgesamt repräsentiert, oder täuscht mich da dieser Eindruck?

Battis: Nun, das ist eine Frage von Umfragen. Es ist doch so, dass bei Journalisten mehr grassiert die Mär von der Politikverdrossenheit. Ich persönlich würde das zwar nicht teilen, aber noch einmal: Dass man mit 43 Prozent der Stimmen – das hätte ja gereicht – die absolute Mehrheit im Parlament hat, das ist ein Zustand, der nicht gut ist, der einfach der Demokratie, dem demokratischen Wahlverfahren nicht gerecht wird.

Frenzel: Das sagt Professor Ulrich Battis von der Humboldt-Universität in Berlin und er plädiert für eine Drei-Prozent-Grenze. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Battis: Bitte schön. Auf Wiederhören.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema