Drei Männer buhlen um eine reiche Frau

Balzacs Roman "Modeste Mignon" liefert ein feinsinnig gestaltetes Gesellschaftsporträt Frankreichs des 19. Jahrhunderts. Es steckt voller Seitenhiebe auf die Pariser Literaturszene.
"Modeste Migon" ist die Geschichte eines Liebesduells: ein veritabler Kampf mit allen denkbaren Waffen, den drei Männer um die Gunst der göttlichen Modeste aus Le Havre austragen. Von Balzac, dem Berserker der französischen Literaturgeschichte, 1844 innerhalb weniger Wochen niedergeschrieben, handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem französischen Alltagsleben in der Provinz, der zugleich den Aufstieg und Fall einer alten Familie zum Gegenstand hat.

Und wie in beinahe allen Balzac-Romanen aus der "Menschlichen Komödie" geht es natürlich auch um Geld, das den Motor allen Bestrebens bildet. Modeste ist nämlich die einzige Tochter des südfranzösischen Grafen Mignon de La Bastie, eines verdienten Veteranen der napoleonischen Kriege und erfolgreichen Geschäftsmannes, der seine Reichtümer in der großen Konjunkturkrise von 1826 verlor und sich auf der Suche nach neuen Einkunftsquellen nach Übersee begeben hat. Seinem treuen Gefährten Dumay hat Mignon das Versprechen abgenommen, die Unschuld seiner Tochter zu bewachen.

Aber Modeste ist eine gebildete junge Frau mit einem Hang zur Romantik. Von den Gedichten eines gewissen Canalis entzündet, beginnt sie dem Pariser Modeschriftsteller Briefe zu schreiben, auf die sie sogar Antworten erhält, bis sich das Ganze zu einem Liebestaumel auswächst. Die Sache hat nur einen Haken: die Briefe stammen gar nicht von dem mit allen Wassern der Pariser Salonkunst gewaschenen Canalis, sondern von seinem bescheidenen, herzensguten und begabten Sekretär Ernest de La Brière ... Dies stellt sich aber erst bei der Rückkehr des alten Vaters heraus, der tatsächlich sein Glück im Ausland gemacht hat.

Und schon entbrennt ein Wettkampf um seine schöne, kluge und märchenhaft reiche Tochter. Die beiden Rivalen, der echte Dichter und der vermeintliche Dichter, geben sich im Hause Mignon de la Bastie ein Stelldichein, zu dem sich noch ein Oberstallmeister und schwächlicher Repräsentant des alten Adels hinzugesellt: der Herzog d'Hérouville. Es kommt, wie es kommen muss, aber die Irrläufe, Umwege, Verzwicktheiten und Verzettelungen sind so köstlich, dass man gern einen Moment lang mit Modeste tauschen wollte.

"Modeste Mignon" steckt voller komödiantischer Maskenspiele und Seitenhiebe auf die Pariser Literaturszene und ihre Protagonisten. Der geschickt komponierte Roman, der durch die Übersetzung von Caroline Vollmann neuen Glanz gewinnt, liefert ein sprachlich und psychologisch feinsinnig gestaltetes und überaus unterhaltsames Gesellschaftsporträt und wartet außerdem mit zahlreichen autobiografischen Elementen auf. So sind Balzac der soziale Aufstiegswillen Canalis' und seine Mitgiftjägerschaft nicht unbekannt.

Johannes Willms macht in seinem schönen Nachwort darauf aufmerksam, dass sich auch hinter Ernest de La Brière ein idealisiertes Alter Ego Balzacs verbirgt und Modeste eine jüngere Ausgabe seiner angebeteten Gräfin Hanska ist, die der französische Schriftsteller nach unendlichen Wirren und Verzögerungen schließlich kurz vor seinem Tod 1850 ehelichen sollte. Balzac imaginiert in seinem Roman also den glücklichen Verlauf der eigenen Lebensgeschichte. Nicht zuletzt geht es in "Modeste Mignon" auch um die Verführungskraft der Worte. Am Ende übertrifft die Literatur meistens doch das Leben.

Besprochen von Maike Albath

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Honoré de Balzac (1799-1850) ist der Titan unter den französischen Romanciers, der wie kein anderer die französische Gesellschaft zwischen der Revolution und der Julimonarchie porträtierte und ihren Strukturen und Typologien auf den Grund ging. Die "Menschliche Komödie" umfasst rund 90 Romane und Erzählungen. Dennoch ist Balzac in Deutschland längst nicht so bekannt, wie er es eigentlich verdiente, was vor allem an Goethes gestrengem Urteil liegt. Meyers Großes Konversationslexikon von 1904 sprach sogar von dem "empörenden Naturalismus" seiner Schilderungen des "weiblichen Herzens".


Honoré de Balzac: Modeste Mignon
Aus dem Französischen von Caroline Vollmann,
Manesse Verlag, Zürich 2009, 576 Seiten, 24,95 Euro