Drehtürpatienten in der Psychiatrie

Immer wieder auf Station

27:44 Minuten
Illustration: Bunte Formen wirbeln um den Kopf einer Frau mit leicht gesenktem Kopf herum.
Einmal Psychiatrie - immer wieder Psychiatrie? Viele psychische Krankheiten kommen in Schüben, die immer wieder Krankenhausaufenthalte erfordern. © imago / James Boast
Von Eva Förster · 18.03.2021
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Trotz Therapie und Medikamenten landen viele psychisch Kranke immer wieder in stationären Einrichtungen. Auf Phasen zu Hause folgen Klinikaufenthalte - ein Teufelskreis. Neue Ansätze in der Begleitung psychisch Kranker könnten ihnen besser helfen.
"Das waren nicht nur Angstsymptome, Panikattacken, das war gleichzeitig auch Trauer und dann halt Schritt für Schritt auch depressive Symptome", sagt Katharina Groß. Seit 2004 leidet sie unter einer generalisierten Angststörung mit Panikattacken:
"Morgens kein Antrieb mehr, nur noch geweint den ganzen Vormittag. Das war mir alles zu viel an Symptomen, die ich selbst nicht mehr händeln konnte."
Bei ihrer ersten Panikattacke dachte die gelernte Apothekerin, sie müsse sterben. So schlimm sind die Symptome. Sie kommen wieder, regelmäßig. Für Katharina Groß beginnt ein nicht enden wollender Leidensweg. Sie konsultiert verschiedene Ärzte, Therapeuten, begibt sich ins Krankenhaus.

Auch körperliche Erkrankungen führen zum Drehtüreffekt

Drehtürpatienten werden diese Menschen genannt. Das klingt befremdlich. Sind die Betroffenen tatsächlich unheilbar erkrankt und dazu verdammt, immer wieder auf psychiatrische Stationen zu kommen? Wie können sie mit Hilfe der heutigen Psychiatrie besser leben? Was bedeutet Drehtürpatient konkret, frage ich Iris Hauth. Sie ist ärztliche Direktorin am Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee, einer Fachklinik für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik.
"Patienten, die mehrfach im Jahr die Klinik aufsuchen oder in die Klinik gebracht werden und stationären Aufenthalt benötigen", erklärt Hauth. "Und das ist bei vielen chronisch Kranken, auch bei körperlich Kranken ja der Fall."
Sie gibt zu bedenken, dass auch Erkrankungen wie Diabetes und Multiple Sklerose zu wiederholten Krankenhausaufenthalten führen können.
"Das Wort Drehtürpsychiatrie erweckt ja beim Zuhörer zunächst negative Emotionen. Also: Psychiatrien behandeln nicht qualitätsvoll, deshalb gehen die Patienten raus und rein und kommen immer wieder. Einmal in der Psychiatrie gewesen, kommt man immer wieder in die Psychiatrie. Das macht ja zunächst einmal Vorurteile, nicht nur den Kliniken gegenüber, sondern gegebenenfalls auch den Betroffenen gegenüber."
Und trotzdem gibt es den Begriff des Drehtürpatienten in der Psychiatrie. Entstanden ist dieser in den 1960er-Jahren in Zusammenhang mit der damals aufkommenden modernen Psychopharmakatherapie. Ich frage mich: Gilt dieser Begriff für alle psychisch Erkrankten? Oder gibt es Erkrankungen, die häufiger dazu führen, dass Betroffene immer wieder in klinische Behandlung müssen? Etwa bei einer Angststörung oder Depression wie bei Katharina Groß?
"Als mir die Ärztin daraufhin gesagt hat, dass es sich um eine Panikattacke handelt, wollte ich es erst gar nicht wahrhaben", sagt Groß. "Nicht glauben, dass es etwas Psychisches ist. Denn ich war immer noch felsenfest der Meinung, das muss irgendetwas Körperliches, Physisches sein."
"Etwas flapsig könnte man es so formulieren: ‚Nach der Depression ist vor der Depression‘. Auch wenn eine depressive Episode in der Regel entweder spontan oder mit geeigneter therapeutischer Hilfe wieder abklingt und vollständig ausheilt, bleibt ein ernstzunehmendes Rückfallrisiko", schreibt Hubertus Glaser von der Deutschen Gesellschaft für Gesundheit e.V. zum Thema Drehtürpatienten.

"Die Psychiatrie - kein Ort, an dem es mir gut geht"

"Mein Vater war Alkoholiker, hat mich in der Kindheit sehr viel geprügelt, und meine Mutter konnte die ganze Familiensituation nicht aushalten, ist in die Tablettensucht geflüchtet, mit der Depression, und die habe ich als Elfjähriger mit einer Überdosis Tabletten gefunden."
Ich telefoniere mit Reiner Ott. Er lebt zurzeit auf einem Campingplatz in Hamburg. Obwohl er eine Wohnung hat, gefällt ihm das Leben im Wohnwagen besser. Der 53-Jährige war schon häufig in der Psychiatrie. Deshalb bezeichnet er sich selbst als Drehtürpatienten. Er leidet an Depressionen und dem Messie-Syndrom. Schon zweimal hat Reiner Ott versucht, sich das Leben zu nehmen. Nach dem ersten Versuch kam er in die Psychiatrie am Vivantes-Klinikum in Berlin-Spandau:
"Nach so drei, vier Tagen habe ich da schon gemerkt, das ist eigentlich kein Ort, wo es mir gut geht, wo ich mich wohl fühle. Es wurde sich auch nicht wirklich für mich interessiert, und mein großer Wunsch war, hier raus und eigentlich nicht mehr leben."
Reiner Ott lebte damals in einer düsteren Wohnung in Berlin. Er hatte keine sozialen Kontakte und keine Arbeit. Heute geht es ihm gut. Nur ungern erinnert er sich zurück an diese schwere Zeit.
"Psychiatrie war für mich damals auch dieses Stigma, da kommen die ganzen Verrückten hin, die Alkoholiker. Da sind dann so Assoziationen entstanden wie ‚Einer flog übers Kuckucksnest‘, also es ist eh kein richtiger Ort und ich habe den auch so erleben müssen, bei meinem ersten Besuch, hier wird man nur verwahrt, eine reine Verwahrinstitution."

Von der Abschottung psychisch Kranker zur Integration

Auf der Suche nach Antworten zum Thema "Drehtürpatient" blicke ich zurück in die Geschichte der Psychiatrie. Diese ist lang und es gab immer wieder Versuche, sich der so genannten "Irren" und "Wahnsinnigen" zu entledigen. Der französische Philosoph Michel Foucault und Autor des Buches "Wahnsinn und Gesellschaft" schrieb über die Situation in den Psychiatrien im 18. Jahrhundert:
"Vor allem ist der Gesetzgeber in Bedrängnis geraten, der das Ende der Internierung herbeiführen musste und nun nicht mehr wusste, wo innerhalb des sozialen Raums er den Wahnsinn ansiedeln sollte, ob im Gefängnis, im Hospital oder in der Familienfürsorge."
Es gab Asyle und Arbeitshäuser für psychisch erkrankte Menschen, bisweilen wurden sie sogar Seefahrern mit auf ihre Schiffe gegeben. Anders als heute, wo man langfristig auf Integration von Patienten ins gesellschaftliche Leben baut, entledigte man sich damals der psychisch erkrankten Menschen. In der "Geschichte der Psychiatrie" von Heinz Schott und Rainer Tölle lese ich dazu:
"Absonderung und Reglementierung, die von den Psychiatern des 19. Jahrhunderts als Therapiemaßnahmen eingesetzt wurden, ließen die Kranken weiterhin Gefangene bleiben. Die Isolierung erfolgte in zwei Stufen: Unterbringung in einer fernab vom Wohnort gelegenen Anstalt. In der Regel in geschlossener Abteilung; und Isolierung innerhalb der Anstalt, nämlich in Spezialabteilungen."
Schwarz-weiß-Aufnahme von Michel Foucault in seinem Arbeitszimmer im Collège de France, Paris, 1970.
Mit seinem Buch "Wahnsinn und Gesellschaft" hat der Philosoph Michel Foucault die Psychiatriedebatte beeinflusst.© picture alliance / akg-images / Jacques Violet | akg-images / Jacques Violet
Berlin-Pankow. Ich betrete ein großes, dunkles Gebäude mit langen Fluren. Dort empfängt mich Detlev Gagel vom Sozialpsychiatrischen Dienst.
"Zu dem Drehtürpsychiatrieeffekt habe ich zwei Wahrnehmungen", sagt er.
"Eine ist: Wir haben vor Jahrzehnten eine Anstaltspsychiatrie gehabt, in großen Kliniken, meistens gemeindefern, die sich dann eines Tages als nicht mehr zeitgemäß erwiesen. Insbesondere in Zusammenhang mit der Psychiatrieenquete hat man das angeprangert, in der Folge gab es noch die Expertenkommission 1988, die Vorschläge zur Veränderung der psychiatrischen Versorgung gemacht hat. Dabei hat man sich dafür ausgesprochen, dass es sinnvoll wäre, lieber an Allgemeinkrankenhäusern kleine psychiatrische Kliniken aufzubauen und die Großkliniken in ihrer Bettenzahl abzubauen."
1970 wurde ein Psychiatrieenquetebericht, ein Bericht zur Lage der Psychiatrie in Deutschland beauftragt. Mit folgenden Anliegen, wie es bei Heinz Schott und Rainer Tölle heißt:
"Vier Hauptanliegen wurden herausgestellt: gemeindenahe Organisation, bedarfsgerechte Versorgung, Koordination der Angebote, Gleichstellung psychisch Kranker mit körperlich Kranken."
Letztere Idee ist nicht neu. Schon Wilhelm Griesinger, der im 19. Jahrhundert als Psychiater tätig war, wollte erreichen, dass psychisch Kranke wie physisch Kranke gesehen und behandelt werden.

Ein Drittel der Betroffenen sind suchtkrank

Im Alexianer St. Joseph-Krankenhaus in Berlin-Weißensee, der Fachklinik für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik kommen Menschen tags und nachts in die Notaufnahme. Menschen, die zum Beispiel zum ersten Mal eine Panikattacke haben. Studierende mit Prüfungsangst. Depressive. Hier werden sie beraten und die meisten können nach dieser Beratung wieder nach Hause gehen. Menschen mit schweren psychischen Krankheitsbildern hingegen müssen oft länger bleiben.
"Ich würde sagen, grob geschätzt sind etwa ein Drittel der Betroffenen suchtkrank, meint Detlev Gagel. "Ein weiteres Drittel hat eine schwere psychische Störung, im Sinne von einer paranoiden Schizophrenie oder auch einer affektiven Störung, also einer bipolaren Erkrankung, wenn die Betroffenen manisch und depressiv sind. Und das letzte Drittel verteilt sich auf leichtere psychische Störungen, geistige Behinderungen und auch seltene psychische Störungen."
Die Selbsteinweisung nehmen viele der Betroffenen als Befreiung wahr, erzählt Detlev Gagel weiter, weil sie so aus ihrer Krisensituation herauskommen. Der Alltag in der Klinik ist übersichtlich. Jeder Tag gleich strukturiert. Das gibt Halt.
Auch Katharina Groß ging für zwei Monate vollstationär in die Psychiatrie. Darauf folgten vierzehn Tage teilstationär, um sich nach und nach wieder an ihr Alltagsleben zu gewöhnen:
"Ich wollte natürlich, dass man mich intensiv betreut, damit es mir ganz schnell wieder besser geht. Aber ich habe ja gemerkt, auch da muss man mehrere Phasen durchlaufen, dass es einem besser geht. Auch da brauche ich Geduld mit der Erkrankung und mir selbst."

Experten für die eigene Krankheit werden

Geduld ist bei langwierigen Erkrankungen, deren Ursachen oft erst nach vielen Therapiestunden zutage treten, ein hohes Gut. Im Laufe der Behandlung sollen die Patientinnen und Patienten Experten für die eigene Krankheit werden. Dazu gehört auch, zu wissen, wann man wieder Hilfe braucht.
Das weiß auch Detlev Gagel, der Betroffene in seinem Büro empfängt, zu Hause besucht oder sogar auf der Straße unterwegs ist, wo er direkt helfen kann. Er kennt viele Menschen, auf die man den Begriff "Drehtürpatient" anwenden könnte:
"Ja, die Akten bei uns, die Dokumentationen zeigen, dass wir einen Teil der Betroffenen nur einmal sehen, andere Betroffene sehen wir immer wieder mal, das sind insbesondere solche, die in der Betreuung, therapeutische Wohngemeinschaft oder Beschäftigungstagesstätte sind. Es gibt Menschen, die sehen wir sehr häufig; ich habe Patientinnen hier, die nahezu wöchentlich kommen."
Detlev Gagel berichtet, dass gerade bei psychischen Erkrankungen, die mit einer längeren Krankheitsgeschichte verbunden sind, Offenheit wichtig ist. Auch um Vorurteile abzubauen, die mit langen Aufenthalten in Kliniken verbunden sind. Es gab eine Zeit, in der Menschen durchaus für dreißig Jahre in einer psychiatrischen Anstalt verschwanden. Sie kamen der Welt abhanden.
Historisches Gebäude der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charite. 
Früher wurden psychisch Kranke mitunter für immer weggesperrt, heute beträgt ein Klinikaufenthalt im Durchschnitt 24 Tage (Symbolfoto).© imago images / Steinach
"Noch vor 20 Jahren hatte man Aufenthalte von drei, vier, fünf Monaten im Durchschnitt. Heute liegt der Durchschnitt bei 24 Tagen", sagt Iris Hauth.
Und das ist gut. Die Normalität geht bei kürzeren Aufenthalten in der Klinik nicht verloren. Die Patientinnen und Patienten bleiben so besser eingebunden in den Alltag und ihr Leben jenseits der Erkrankung.
"Wir sind ja froh, dass wir keine Falltürpsychiatrie mehr haben, dass die Betroffenen also in die Klinik reingehen und nicht mehr rauskommen", sagt Detlev Gagel.
"Wir können im Moment tatsächlich konstatieren, dass es ein Rein und Raus ist. Ideal wäre ein Glastürphänomen, das heißt, dass man nachvollziehen kann, transparent betrachten kann, wie die Behandlung erfolgt, welche Möglichkeit der Entwicklung jede einzelne Person hat, und dass man eben auch den Wunsch nach Nichtbehandlung akzeptiert, aber trotzdem versucht, ein Hilfesystem zu etablieren, was den Betroffenen entgegenkommt."

Wiedereingliederungshilfe ist wichtig

Geholfen hat auch die moderne Pharmakologie, mit der Entwicklung von Medikamenten wie Neuroleptika und Antidepressiva etwa. Neben den Medikamenten entwickelte sich außerdem ein großes ambulantes Angebot aus Psychiatern und Psychotherapeuten, aus Tageskliniken und Institutsambulanzen. Vor allem die Wiedereingliederungshilfe ist für die Erkrankten, die oft lange Zeit fernab der Arbeit in Behandlung sind, wichtig.
"Das erste Mal war furchtbar, als es zum Weißen See gehen sollte, und so Schritt für Schritt haben wir uns dann mit meinem Therapeuten daran gewagt, dass ich wieder in die Außenwelt gehen kann", sagt Katharina Groß.
Reiner Ott ergänzt: "Ich hatte aber dort einen Sozialarbeiterkontakt gehabt, die mir auch sowas erzählt hatte, ja, es gibt auch sowas wie die Eingliederungshilfe, wo Sie mit einem Sozialarbeiter an Ihren Baustellen arbeiten können."
Reiner Ott wurden daher nicht nur Medikamente verordnet, sondern er konnte in Hamburg eine Wohnung mieten und auch beruflich wieder auf die Füße kommen. Medikamente sind häufig ein wichtiges Mittel zur Stabilisierung psychischer Erkrankungen, erklärt Iris Hauth. Etwa bei schweren Depressionen:
"Dann muss man natürlich auch sagen, dass es Krankheitsbilder gibt, wie zum Beispiel rezidivierende Depression, bipolare Störungen, die auch in Episoden wiederkommen. Das heißt, die Episode, die akute, ist abgeklungen, die Menschen werden entlassen, gehen ins ambulante Behandlungssetting und nach ein paar Monaten gibt es erneute Belastungen, und da wir wissen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr sensibel sind, kann so eine erneute akute Belastung dann auch wieder zur Verschlechterung der Symptomatik führen, in der die ambulante Behandlung nicht ausreicht."

Gefahr, dass Patienten Medikamente ohne Absprache absetzen

Eine Ursache für den sogenannten Drehtüreffekt ist, dass Menschen ihre Medikamente selbstständig absetzen.
"Bedauerlicherweise kommt es manchmal vor, dass Patientinnen und Patienten, die entlassen worden sind, ohne Absprache mit dem ambulant behandelnden Psychiater ihre Medikamente weglassen. Hintergrund ist, dass sie nicht ausreichend verstanden haben, nicht ausreichend aufgeklärt worden sind, dass über eine gewisse Zeit die Stütze durch Psychopharmaka hilfreich und notwendig sein kann. Und das ist dann oft ein Punkt, wenn das zu schnell abgesetzt wird, dass es auch zu Rückfällen der Symptomatik, zur Verstärkung der Symptomatik kommen kann. Und das erleben wir durchaus, dass dann Patienten kommen und berichten, wir wollen das Antidepressivum nicht mehr und jetzt geht es uns wieder schlechter und so schlecht, dass es auch in dem ambulanten Setting nicht mehr zu behandeln ist."
Ich treffe Sandeep Rout, Oberarzt am Vivantes-Klinikum für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Berlin-Neukölln. Das Klinikum ist Vorreiter bei "StäB", der Stationsäquivalenten Behandlung, einer ganz neue Behandlungsform, die Wiedereinlieferungen von Drehtürpatientinnen und -patienten verhindern soll.
"In der StäB-Behandlung haben wir ein multiprofessionelles Team, was aus Fachärzten, Assistenzärzten, Psychologen, Ergotherapeuten, Sozialarbeitern, Genesungsbegleitern besteht. Also ein ähnliches Berufsspektrum wie auch auf Station."

Das häusliche Ambiente hilft

Der Reiz von "StäB" besteht auch in der Kontinuität des Personals. Wer auf Station war und gut mit einem Arzt, Psychotherapeuten, einer Pflegerin oder einem Genesungsbegleiter zurechtkam, der wird sich auch gern zu Hause behandeln lassen. Das häusliche Ambiente hilft.
"Besuche finden nicht nur alleine statt, sondern auch mal zu zweit, auch mal zu dritt", sagt Sandeep Rout.
"Es gibt ja auch Patienten, die sind sehr ambivalent bezüglich ihrer Erkrankung oder bezüglich der Medikamenteneinnahme, auch misstrauisch gegenüber dem Krankenhaus. Es ist auch eine Besonderheit, dass wir als Gast in die Wohnung kommen, die Genesungsbegleiter sind da sehr hilfreich, die dann auch eine andere Perspektive in die Behandlung bringen."
Chefarzt des Vivantes-Klinikums in Berlin-Neukölln ist Olaf Hardt. Von ihm erfahre ich, welche Zielgruppe "StäB" anvisiert:
"Bestimmte Patienten erreichen wir auch nur damit. Also, wir haben immer wieder auch alleinerziehende Frauen, die so krank sind, dass sie in eine Klinik kommen müssten, die haben aber Kinder zu versorgen, die können nicht einfach ins Krankenhaus gehen. Denen können wir plötzlich eine intensive akute aufsuchende Behandlung, Psychotherapie, gegebenenfalls Medikamentierung, sozialarbeiterische Behandlung bieten."

Individueller krisenfokussierter Behandlungsplan

Menschen, die ihre Haustiere nicht allein lassen können, oder solche, die skeptisch der Institution Krankenhaus gegenüber sind, profitieren ebenfalls von "StäB". Die Zufriedenheit der Therapeuten, Patientinnen und Patienten ist, so die übereinstimmende Meinung von Olaf Hardt und Sandeep Rout, überdurchschnittlich hoch. Auch das St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee will daher in der zweiten Jahreshälfte eine "StäB"-Abteilung einrichten. Auf der Homepage der Vivantes-Kliniken heißt es:
"Seit April 2016 bieten wir gemeinsam mit der DAK eine neue Behandlungsmöglichkeit an. Im Rahmen eines Modellprojektes können Mitarbeiter der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Vivantes-Klinikum Neukölln DAK-Patientinnen und Patienten stationsersetzend behandeln. Eine stationsäquivalente Behandlung ist durch einen individuellen krisenfokussierten Behandlungsplan charakterisiert und kann neben einem intensiven ambulanten Behandlungsangebot auch eine aufsuchende Behandlung einhalten."
Das Modellprojekt mit der DAK ist zwar nicht mit "StäB" zu verwechseln. Aber wie "StäB" soll es dem Drehtüreffekt entgegenwirken, erklärt Olaf Hardt.
"Ganz vereinfacht formuliert kann man sagen, die Krankenkasse bezahlt uns für die Versorgung ihrer Patienten einen bestimmten Betrag und die Klinik ist frei zu machen, was sie will, solange die Patienten gut versorgt sind. Das heißt. Wechsel zwischen den Behandlungssektoren – stationär, tagesklinisch, ambulant, administrativ – sind überhaupt kein Problem."
Eine Frau mit langen blonden Haaren sitzt in einem großen Raum mit hohen Fenstern.
Das "Weglaufhaus" in Berlin ist eine Anlaufstelle für Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen und wird von Betroffenen geführt (Archivbild von 2007)© picture-alliance / ZB / Peer Grimm
Immer wieder spielt in meinen Gesprächen mit Psychiatern das Entlassungsmanagement eine große Rolle. Leider stellt die Schnittstelle von der Klinik zur ambulanten Szene der Psychiater und Psychologen oft eine schwer zu überwindende Hürde dar, weil niedergelassene Ärzte und Therapeuten extrem lange Wartezeiten haben.
"Wichtig, um nicht ungewollte Wiederaufnahmen zu erzeugen, ist natürlich ein gutes Entlassungsmanagement", betont Iris Hauth. "Das heißt, die Klinik mit den Ärzten, den Therapeuten muss rechtzeitig die Patienten auf die Entlassung vorbereiten, also schon im Verlauf der Behandlung gemeinsam überlegen, wer macht die psychiatrische Behandlung, wer macht die psychotherapeutische, was gibt es noch für unterstützende Maßnahmen, wie Einzelfallhilfe oder auch Unterstützung, um in den Arbeitsplatz zurückzukehren, und das muss gut vorbereitet werden."
Katharina Groß hatte in der ersten Klinik, in der sie auf Station kam, kein Glück:
"Ich bin nach zwei Wochen entlassen worden und auf keinen Fall geheilt. Ich war nach der Entlassung unzufrieden mit mir selbst, mit der Behandlung. Ich fühlte mich mit meiner Erkrankung nicht so ernst genommen auf dieser Krisenstation. Das wurde immer so abgehandelt, ach ja, das sind ja nur Ängste."

Wege aus dem Gedankenkarussell

Bei ihrer nächsten gesundheitlichen Krise ging die gelernte Apothekerin ganz gezielt auf die Suche nach einer Spezialklinik und wurde schließlich im St.-Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee aufgenommen. Das Programm dort überzeugte sie:
"Die Ergotherapie, die Sporttherapie haben mir sehr geholfen, wieder aus meinem Gedankenkarussell rauszukommen. Es gab Einzelgespräche, es gab Gruppengespräche, die ich auch sehr wertvoll fand, sich in der Gruppe über Ängste und Zwänge auszutauschen. Dann gab es Psychoedukationskurse, also, ich wurde gut über meine Erkrankung aufgeklärt."
Es gibt viele Momente, die die Behandlung psychisch kranker Menschen verbessern. Das Treffen mit anderen psychisch Erkrankten etwa, so wie es Katharina Groß beschreibt. Einem Menschen, der selber unter Ängsten und Zwängen leidet, muss man sich nicht von Grund auf erklären, man kann im Gespräch an Erfahrungen anknüpfen. Um nachhaltig zu behandeln und so auch Wiedereinlieferungen zu verhindern, werden auch Verwandte zum Gespräch gebeten. Und ich lerne von den Psychiatern, dass seit einiger Zeit auch so genannte Genesungsbegleiter eingesetzt werden. In der Zeitschrift "Sonntagsblatt" heißt es dazu:
"Genesungsbegleiter ist ein relativ neuer Beruf für Menschen, die selbst eine psychische Krankheit bewältigt haben und somit zu Experten darin geworden sind, wie es Patienten geht. Nach einjähriger Schulung können sie zum Beispiel sehr gut im sozialpsychiatrischen Dienst hilfreich vermitteln."

Vom psychisch Kranken zum Genesungsbegleiter

Reiner Ott hat nach seiner Odyssee durch zahlreiche Krankenhäuser im Rahmen der Wiedereingliederungshilfe in Hamburg die Ausbildung zum Genesungsbegleiter gemacht. Er nennt seine Tätigkeit inzwischen seine Berufung:
"Wir sind eine Begegnungsstätte mit einhundert Eingeschriebenen oder Klienten, die eine Bewilligung über Eingliederungshilfe haben, und haben dazu noch eine Begegnungsstätte, so eine Art Treffpunkt und ich bin eingesetzt bei einigen Klienten als Tandembegleitung, wo ich so mit dem Hintergrund, was ich eben so mitbringe, was Depression, Umgang mit der Depression, mit dem Messie-Syndrom, die Menschen da noch parallel zur Bezugsbetreuung begleite, aber auch habe ich Tätigkeiten rund um den Treffpunkt, dass ich eigene Gruppen anbiete, Recovery-orientierte Gruppen, wie kann ich mein Leben wieder in die Hand nehmen und selbstbestimmt mit weniger oder gar keiner, am besten ist es immer ohne Hilfesystem, alleine leben zu können und da begleite ich Menschen."
Um ihnen eine Perspektive zu geben, die sie aus dem scheinbar endlosen Drehtür-Kreislauf herausführt.

Ein von Betroffenen geführtes "Weglaufhaus"

Im Norden Berlins steht die "Villa Stöckle". Ein sogenanntes Weglaufhaus. Dort können Menschen, die sich in Krisen befinden, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, unterkommen – jenseits der Psychiatrie. Hier lernen die Menschen, das Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Das Haus, das vom Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt e.V. initiiert ist, wird von Betroffenen geführt.
Auch hier geht es darum: Bei einer psychischen Erkrankung ist Aufklärung besonders wichtig. Die Betroffenen müssen Spezialisten in eigener Sache werden. Sie müssen lernen, Symptome früh zu erkennen, als Warnsysteme, und sie müssen lernen, den Stress, der eine erneute Krankheitsepisode einläuten könnte, zu minimieren.
"Sobald dieser erschreckende Schwindel wiederkommt, weiß ich, das ist ein Alarmsignal von meinem Körper, ich muss jetzt was ändern", sagt Katharina Groß. "Sei es zu sagen, diese Aufgabe schaffe ich nicht in dieser Zeit oder muss wieder mehr Entspannungsübungen machen, also ich muss dann irgendwie handeln."

Die Erkrankten in die Behandlung einbinden

Experte in eigener Sache zu werden, bedeutet aber auch, akzeptieren zu lernen, dass sich trotz Psychotherapie, trotz Unterstützung durch Medikamente, eine psychische Erkrankung immer wieder verschlechtern werden kann.
"Die Gedanken kommen zwischendurch, dass es sich chronifiziert und manifestiert, wenn man nicht irgendwie die kleinen Schritte sieht, die schon wieder gehen. Für mich war es ein Riesenschritt, allein nach Hause zu kommen, allein zu Hause zu sein und das erste Mal wieder in den Supermarkt zu gehen. Und da habe ich gedacht, jetzt geht’s ja in die richtige Richtung."
Katharina Groß arbeitet inzwischen wieder in Vollzeit. Sie hat es geschafft, diesem Drehtür-Kreislauf zu entkommen, weil sie sich aktiv und selbstständig um ein Krankenhaus gekümmert hat, in dem neue Behandlungsschritte gegangen werden. Solche, die sich zum Ziel gesetzt haben, dem Phänomen Drehtürpatientinnen und -patienten aktiv entgegenzuwirken. Indem sie die Betroffenen intensiv in die Behandlung einbinden, sie eng betreuen, zu Hause - und bei Bedarf auch stationär. Aber immer in dem Wissen, gut aufgehoben und langfristig betreut zu sein.
"Ich habe große Angst und Sorge, dass ich nochmal in eine solche Krise geraten kann, und ich versuche alles, achtsam zu sein, Ausgleich zu finden. Nun hat mir aber die Vergangenheit gezeigt, dass es wieder passieren kann, und es beruhigt mich zu wissen, dass es hier diese Klinik gibt und dass ich hier dann wieder herkommen könnte."
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