Drehscheibe zwischen Ost und West

Moderation: Martin Sander |
Die Warschauer Buchmesse versteht sich als Drehscheibe zwischen Ost und West. Die Literaturagentin Aleksandra Markiewicz sieht ein wachsendes Interesse an junger deutscher Literatur in Polen. Gleichzeitig nutzen polnische Autoren zunehmend die Möglichkeit, in Polen in deutschen Verlagen zu veröffentlichen.
Sander: Aleksandra Markiewicz, Sie waren Jahre lang Leiterin einer Außenstelle des deutschen Börsenvereins in Warschau, wenn man so will der Frankfurter Buchmesse, und jetzt sind Sie Literaturagentin für deutsche und polnische Verlage. Die Warschauer Buchmesse versteht sich ja traditionell als Drehscheibe im Buchhandel zwischen Ost und West. Aber was heißt das eigentlich heute?

Markiewicz: Die Warschauer Buchmesse will sich als Drehscheibe zwischen Ost und West behaupten. Man könnte fragen, wie viel Anspruch und wie viel Wirklichkeit das ist. Ich würde eher sagen, mehr Anspruch als Wirklichkeit. Das ist mehr eine Bemühung, eine richtig internationale Messe zu werden, eine Drehscheibe zwischen den östlichen Buchmärkten und den westlichen. Es kommen immer mehr internationale Verlage, aber im Grunde genommen sind die internationalen Verlage irgendwie die Kulisse, denn für die polnischen Verlage ist das eine einmalige Gelegenheit die Neuerscheinungen zu zeigen, sich mit dem Partner zu treffen, sich an verschiedenen Seminaren zu beteiligen und vor allem ihre Bücher zu verkaufen. Das ist eine richtige kommerzielle Messe, wo die ganze Zeit Bücher verkauft werden. Und das ist das Hauptziel der polnischen Verlage: möglichst viele Bücher zu verkaufen.

Sander: Nun sieht man trotzdem viele internationale Verlage, auch aus den östlichen Nachbarländern, aus der Ukraine, aus Weißrussland, aber auch viele Verlage aus Deutschland. Wie ist das denn? Wie groß ist etwa das Interesse polnischer Verlage und des polnischen Publikums an deutschsprachiger Literatur?

Markiewicz: Mit Sicherheit gehört diese Warschauer Buchmesse zu den wichtigsten in dieser Region, und für die deutschen Verlage ist das zuerst mal die Möglichkeit, ihr Programm hier zu zeigen und zweitens die Möglichkeit, mit polnischen Verlagen, über den Lizenzverkauf zu sprechen, häufig auch ukrainische, russische oder tschechische Verleger zu treffen und auch über Geschäfte zu reden.

Sander: Hat sich das Interesse an der deutschsprachigen Literatur eher abgeschwächt oder eher gesteigert, und was für Tendenzen interessieren da besonders?

Markiewicz: Das Interesse ist da, es wird immer größer. Ganz bewusst auch jüngere deutsche Autoren werden immer häufiger herausgegeben. Ich habe gestern eine Autorin getroffen, Malin Schwerdtfeger, ihr Roman ist vor kurzem auch in einem Warschauer Verlag erschienen. Ein Roman, der zwischen Polen und Deutschland spielt, also etwas ganz Wichtiges auch für das polnische Publikum.

Ich hab vor kurzem auch einen sehr spannenden Jugendroman in Polen vermittelt: "Die Mitte der Welt" von Andreas Steinhöfel. Es sind nur wenige Beispiele, aber das entwickelt sich tatsächlich konsequent, und ich merke jetzt als Agentin, wenn man Verlage richtig betreut und richtige Angebote macht, auch Angebote, die irgendwie mit dem Programm des polnischen Verlags stimmen, dann wird man erfolgreich und ich kann das wirklich ganz deutlich aus meiner Praxis jetzt bestätigen.

Sander: Es ist ja auch so, dass deutsche Verlage seit den neunziger Jahren verstärkt nach Polen drängen. Wenn wir uns hier umschauen auf der Messe, dann sehen wir einen der größten Stände, das ist die polnische Filiale von Bertelsmann. Wie groß ist denn der Einfluss der deutschen Verlage, des deutschen Verlagskapitals in Polen. Und hat man nicht vor der Macht dieser Verlage manchmal Angst?

Markiewicz: Das stimmt sicherlich. Diese Stimmungen oder diese Missstimmung am Anfang dem deutschen Kapital gegenüber, die war deutlich. Das hat sich mittlerweile geändert, man hat auch Vorteile festgestellt. Und die Position des polnischen Bertelsmann ist seit Jahren schon ganz stark. Der polnische Bertelsmann wurde zu einem sehr anerkannten Verlag, hat auch eine ganz spannende Verlagspolitik, in dem zum Beispiel ganz viele polnische Autoren herausgebracht werden, einigermaßen wurde dieser deutsche Verlag zu einem polnischen Verlag in dem Sinne, dass so viele polnische Autoren von so großer Bedeutung in dem Verlag ihre Bücher veröffentlichen können, zum Beispiel Janusz Głowacki, wirklich einer der wichtigsten Stimmen zur Zeit, auch unbekannte, neue Autoren. Und nun haben sie diesen Verlag als ihren Verlag in Polen gefunden, werden auch sehr gefördert, werden sehr "promoted".

Sander: Ist diese Stärke ausländischer Buchverlage in Polen ein Zeichen der Schwäche polnischer Verlage?


Markiewicz: Einerseits ja, andererseits nicht unbedingt, denn diese Prozesse, die kommen doch in der ganzen Welt vor. Und das zeigt auch, dass sich die Lage insgesamt wirtschaftlich, politisch insoweit stabilisiert hat, dass man auch dieses Risiko eingehen will, in Polen zu investieren und hier seine Geschäfte zu machen, was nur von Vorteil sein kann für Polen.

Sander: Nehmen wir doch mal die umgekehrte Blickrichtung ein. Vor fünf Jahren gab es ja einen fulminanten Gastauftritt Polens auf der Frankfurter Buchmesse. Hat das die Situation der polnischen Literatur in Deutschland verändert?

Markiewicz: Aus meiner Sicht nicht richtig. Selbstverständlich viele Titel sind geblieben. Inwieweit sie gelesen werden ist eine andere Frage. Dann wurden aber die Übersetzungen aus dem Polnischen immer weniger. Und die letzten Jahre konnte man schon ganz deutlich sehen, dass das Interesse deutlicher weniger wurde. Letzte Zeit wiederum, als ich mich selbständig gemacht habe und richtig als Agentin jetzt agiere und auch über polnische Autoren rede, merke ich ein größeres Interesse.

Andrzej Sapkowski, einer der wichtigen polnischen Autoren, wird zum Stern im Programm von DTV, wird im Herbst dieses Jahres auf der Frankfurter Buchmesse Ehrengast dieses Verlags. Und da ist dieser Titel von ihm, "Narrenturm", der zum ersten Titel im Verlagsprogramm von DTV in diesem Herbst wird.

Das Interesse wächst, aber auch das Spektrum wächst. Man fragt nach unterschiedlichen Titeln, sowohl Unterhaltungstitel, aber auch ganz seriösen Romanen. Ich bin mir sicher, dass in der polnischen Literatur für die deutschen Leser noch sehr viel zu entdecken ist.

Sander: Frau Markiewicz, vielen Dank für dieses Gespräch.