Dramaturg zu Abstandsregeln am Theater

"Irgendwann wird es absurd"

06:55 Minuten
Das Theaterstück "Wut" von Elfriede Jelinek in der Regie von Martin Laberenz 2017 im Deutschen Theater in Berlin mit (von links) Andreas Doehler, Anja Schneider, Linn Reusse, Sabine Waibel, Sebastian Gruenewald
Könnten hier 1,5 Meter Abstand gehalten werden? Szene aus "Wut" von Elfriede Jelinek am Deutschen Theater in Berlin, ein Bild aus besseren Theaterzeiten (2017). © picture alliance / dpa / Eventpress Hoensch
Robert Koall im Gespräch mit Axel Rahmlow · 25.04.2020
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"Ich glaube nicht, dass man die Schraube der Einschränkungen immer enger ziehen kann", sagt der Dramaturg am Düsseldorfer Schauspiel, Robert Koall. Die Möglichkeiten, im Theaterbetrieb Abstandsregeln sinnvoll einzuhalten, hält er für sehr begrenzt.
Axel Rahmlow: Die Politik diskutiert weiter zusammen mit dem ganzen Land darüber, wann was wie in der aktuellen Coronakrise gelockert werden kann. Auch am Theater ist es eine große Frage: Wie viele Menschen können dort eigentlich guten Gewissens auf einer Bühne stehen? Und was müssen vielleicht für Konsequenzen gezogen werden?

Das möchte ich diskutieren mit Robert Koall. Er ist der Chefdramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus. Herr Koall, heute wäre bei Ihnen das neue Stück des Schriftstellers Ferdinand von Schirach, "Gott", geplant gewesen. Könnten Sie sich das als Inszenierung mit Corona-Abstand vorstellen?

Robert Koall: Ja. Das ist auf jeden Fall eine Inszenierung, die man sich auch unter den gegebenen Umständen vorstellen würde können. Das ist eine Gesprächssituation, eine Sitzungssituation. Und es wurde tatsächlich auch an "Gott" weitergeprobt - digital, über Videochat. Robert Gerloff, der Regisseur, hat sein Ensemble digital versammelt. Aber wann wir es werden zeigen können, das wissen wir auch noch nicht.

"Das schreckliche Wort der Corona-Ästhetik"

Rahmlow: Bei "Gott" wäre es möglich, bei anderen Stücken wird es höchstwahrscheinlich irgendwann zu eng auf der Bühne, oder?

Koall: Ja, es ist ein bisschen absurd. Natürlich können wir die geltenden Regeln im Moment im Publikum irgendwie versuchen herzustellen. Wir könnten auch versuchen, bei neu entstehenden Inszenierungen sie irgendwie mit einzuplanen, das schreckliche Wort der Corona-Ästhetik macht ja jetzt die Runde.

Aber für unser Repertoire, also für die Stücke, die wir bislang im Spielplan hatten, das zu entwickeln, also nachträglich zu gucken, welche Szenen müssen wir auf Abstand bringen? Welchen Chor müssen wir auseinander ziehen? Welche Liebesszene funktioniert nur noch über Distanz? Da wird es ja irgendwann absurd.

Rahmlow: Corona-Ästhetik, haben Sie sich da schon für sich selber Gedanken gemacht, wie die bei Ihnen aussehen könnte, müsste?

Koall: Es ist ja relativ simpel, also ganz pragmatisch, wie kriegt man Abstand zwischen die Leute? Die 1,50 Meter, die in der Öffentlichkeit gelten, die sind auf der Bühne natürlich auch schnell aufgehoben. 1,50 Meter gilt für zwei ruhig aneinander vorbeigehende Personen, nicht für Menschen, die sich mit gestützter Stimme und vielleicht erhöhter Lautstärke auf der Bühne gegenüberstehen, da müsste das schon ein bisschen mehr sein.

Ja, man überlegt natürlich: Kriegen wir da irgendwie eine Distanz rein? Macht man Stücke, die aus Textflächen bestehen, die man am Mikrofon nach vorne sprechen kann? Aber das sind natürlich alles seltsam hilflose Versuche nach Surrogaten für etwas anderes, was man eigentlich haben will.

Man wird das eine Zeit lang schaffen können. Uns werden da auch schon ein paar Ideen kommen, was das für Stücke, was das für Ästhetiken sein können, aber es ist halt immer nicht das, wo man eigentlich hin will, was man eigentlich tun will.

"Das große Monolog-Festival möchte ich nicht"

Rahmlow: Vielleicht eine Alternative: Es gibt ja auch eine ganz große Menge an Stücken, die nur für eine Person geschrieben worden sind. Es gibt welche von Samuel Beckett, es gibt Goethes "Faust" oder Shakespeares "Sommernachtstraum" als Ein-Mann-Adaption. Ist vielleicht die Coronazeit die Zeit der Theatermonologe.

Koall: Joa …

Rahmlow: Das klingt nicht so begeistert.

Koall: Ja, was soll ich dazu sagen? Natürlich kann man einen Monolog machen auf der großen Bühne für 120 Leute unten im Publikum, weil nur jeder dritte Platz und jede zweite Reihe besetzt ist. Ja, vielleicht ist das eine von vielen Möglichkeiten, in der Zeit des Virus, damit umzugehen. Was ich mir nicht vorstellen kann und auch nicht möchte, dass jetzt das große Monolog-Festival einsetzt und wir immer nur einen Menschen auf der Bühne sehen, der einsam und allein seinen Text da verwaltet für einige wenige. Ich glaube, da muss man andere Ideen haben, um die Regeln einzuhalten und gleichzeitig aber trotzdem das Theater lebendig zu halten.

Rahmlow: Was haben Sie denn für Ideen? Wir haben schon darüber gesprochen, dass einer Ihrer Schauspieler jetzt per Videoschalte dazukommen müsste. Könnte man mehrere Leute mit Bildschirm auf die Bühne transportieren, ist das noch Theater?

Koall: Das kann man auch machen. Das wurde ja auch vor dem Virus schon gerne gemacht und auch super gemacht. Ich glaube aber, dass sich nicht alles jetzt über die Kamera lösen lässt.

Ich habe in meinem Leben schon einige Inszenierungen gesehen, sagen wir von Texten von Elfriede Jelinek, die so funktionieren, dass sie über eine gewisse Statik und eine Lebendigkeit des Textes aber und eine Musikalisierung eines Textes laufen.

Da war nicht nur ein Mensch auf der Bühne, sondern waren viele Menschen auf der Bühne. So etwas wird man machen können, natürlich. Und wir überlegen tatsächlich auch, was den Spielplan angeht.

Es gab schon Spielplan-Entscheidungen, die wir getroffen haben, die wir revidiert haben, weil wir gesagt haben: Diesem Stoff kann man nicht gerecht werden. Das ist grotesk, aber diesem Stoff kann man nicht gerecht werden mit den zurzeit geltenden Regeln, mit Distanz, mit Abstand, mit reduziertem Personal, das ist mit diesem Stoff nicht möglich.

"Dann ist Theater nicht mehr möglich"

Rahmlow: Noch eine Möglichkeit: Mundschutz für die Schauspielerinnen und Schauspieler? Oder vielleicht Trennwände?

Koall: Ja, dann ist es irgendwann kein Theater mehr. Das ist tatsächlich die Frage, mit den derzeit geltenden Beschränkungen, Einschränkungen kann man noch irgendwie umgehen. Ich finde es jetzt schon an der Kante.
Sollte es da noch Mundschutz geben und sollte es noch weitergehen mit den Beschränkungen, dann wird man irgendwann neu reden müssen und fragen: Ist das Theater, das wir wollen, das uns vorschwebt, unter diesen Umständen noch möglich? Ich glaube nicht, dass man die Schraube der Einschränkungen immer enger ziehen kann, jedenfalls nicht angewandt auf das Theater. Dann ist es irgendwann tatsächlich nicht mehr möglich, glaube ich. Nicht mehr sinnvoll.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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