Dramatische Ereignisse undramatisch dargebracht

16.07.2008
Der eine Bruder ist Kommunist, der andere Faschist. Als sich einer von ihnen in Todesgefahr befindet, rettet ihn der andere, und das Ganze wiederholt sich wenige Jahre später andersherum. Erst als der jüngere Bruder, mittlerweile ungarischer Außenminister, 1949 zum Tode verurteilt wird, kann der Bruder nichts mehr für ihn tun. Der Faschist ist in die Bundesrepublik geflohen, und bei den Leuten, die mit seinem Bruder einen spektakulären Schauprozess inszenieren, wäre sein Wort nichts wert: Es sind die eigenen Genossen des Todgeweihten.
Im Leben von László und Endre Rajk spiegelt sich die ganze Dramatik des Jahrhunderts. Als Ungarn nach dem Trianon-Vertrag 1920 zwei Drittel seines Staatsgebiets an Rumänien, die Tschechoslowakei und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen abtreten muss, verlieren die Eltern von László und Endre ihre siebenbürgische Heimat und ihren Wohlstand. Dank eines beruflich erfolgreichen Bruders, der sich für seine Geschwister einsetzt, kann László studieren und lernt in Frankreich die kommunistische Bewegung kennen. Er tritt in die Kommunistische Partei Ungarns ein, die im Untergrund arbeitet, wird mehrmals verhaftet, kämpft im Spanischen Bürgerkrieg, überlebt die Internierung in Frankreich und wird 1944 in Ungarn von den mit Hitler verbündeten Pfeilkreuzlern verhaftet.

Endre dagegen bleibt in Ungarn, wird Leiter einer Landwirtschaftsgenossenschaft und steigt 1944 zum Staatssekretär der Pfeilkreuzler-Regierung auf. Als er von der Anklage gegen László auf Landesverrat hört, tritt er vor Gericht für den Bruder ein, den er acht Jahre lang verschwiegen hat. Lászlós Fall wird daraufhin an ein Zivilgericht verwiesen, was angesichts der näher rückenden Roten Armee die Rettung bedeutet. Der Gerettete wird wenige Monate später dafür sorgen, dass sein in den Westen geflohener Bruder nicht auf der Liste auszuliefernder Kriegsverbrecher erscheint.

Bis in die nahe Vergangenheit verfolgt der britische Journalist Duncan Shiels, lange Zeit Korrespondent in Budapest, den Lebensweg weiterer Familienmitglieder: Júlia, die Witwe des hingerichteten László Rajk, engagiert sich im regimekritischen Petöfi-Kreis und erreicht 1956, dass ihr Mann exhumiert und mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt wird, das zum Wetterleuchten des kurz darauf ausbrechenden ungarischen Aufstands wird. Ihr Sohn László jun. ist nach 1977 in der Opposition tätig und hilft, das Regime zu beseitigen, das der Traum seines Vaters war.

Die Ereignisse des bewegten Jahrhunderts gibt Shiels recht verlässlich wieder, auch wenn sich die deutsche Übersetzung von Klaus Binder zuweilen ungeschickt liest: Künstler reagieren mit einem "Kaleidoskop schöpferischer Ideen" auf die Krisen Ende der zwanziger Jahre, Juden geraten unter den Pfeilkreuzlern "noch mehr in Lebensgefahr" als vorher schon.

Shiels blendet zwischen den zahlreichen Ereignissen und seinen Helden hin und her. Er versucht nicht zu erklären, was diesen Rajk zum Kommunisten, jenen aber zum Faschisten werden lässt. Er schildert auch nicht, was beide in ihren Ämtern taten und welche Positionen sie vertraten. En passant nur fällt der Satz, László sei ein Opfer der von ihm aufgebauten Geheimpolizei geworden. Alle Figuren bleiben flach.

Von einem "Drama der Rajks" zu sprechen, mag nicht unberechtigt sein. Doch ist Shiels kein Dramatiker. Die Zeitgeschichte spielt bei ihm einer Familie übel mit, die in schlimmen Zeiten eben zusammenhält.

Rezensiert von Jörg Plath

Duncan Shiels: Die Brüder Rajk, Ein europäisches Familiendrama
Aus dem Englischen von Klaus Binder
Mit einem Vorwort von György Konrád und mit einem Nachwort von László Rajk jun.
Paul Zsolnay Verlag 2008
352 Seiten, 24.90 Euro