Drakonische Strafen für kleine Vergehen

Obamas Problem mit dem strauchelnden Justizsystem

US-Präsident Barack Obama schaut sich im Gefängnis von El Reno in Oklahoma die Zelle mit der Nummer 123 an.
Als erster US-Präsident hat Barack Obama ein Gefängnis besucht. © afp / Saul Loeb
Von Marcus Pindur |
US-Präsident Barack Obama hat einen Guantanamo-Häftling begnadigt. Doch Guantanamo ist nicht das einzige problematische Gefängnis, Amerikas Haftanstalten sind hoffnungslos überfüllt. Der Präsident muss das Justizsystem reformieren - und die Zeit drängt.
Das El Reno Gefängnis in Oklahoma ist in vielerlei Hinsicht durchschnittlich. 1300 Gefangene, mittlere Sicherheitsstufe, zu fast 50 Prozent überbelegt. Die meisten Insassen sitzen wegen kleinerer Drogenvergehen ein, müssen aber teilweise drakonische Strafen verbüßen. Das sei nicht richtig, meinte Barack Obama Anfang Juli bei seinem Besuch dort.
"Hier sind junge Leute, die Fehler gemacht haben. Fehler, die sich nicht viel von denen unterscheiden, die ich in meiner Jugend begangen habe, und die viele von Ihnen auch begangen haben."
Es war der erste Besuch eines amerikanischen Präsidenten in einem Gefängnis. Mit dieser Geste wollte Obama die Notwendigkeit einer Reform des amerikanischen Justizsystems und des amerikanischen Gefängniswesens unterstreichen.
19 Jahre Haft für Drogenhandel
Derzeit warten 15.000 Antragsteller auf die Reduzierung ihrer Haftstrafen. Sie haben vor Jahren deutlich höhere Strafen erhalten, als es der heutigen Gesetzeslage entspricht, und haben deshalb einen Anspruch auf vorzeitige Entlassung – wenn sie nicht gewalttätig waren. Dana Bowerman sitzt im Bundesgefängnis in Bryan, Texas ein. Sie bekam für den Handel mit Metamphetamin als nicht Vorbestrafte im Jahr 2001 19 Jahre Haft aufgebrummt, 10 Jahre mehr, als sie heute bekommen würde. Dana erinnert sich noch genau an den Tag ihrer Verurteilung.
"Wenn Du da stehst und der Richter gibt dir 235 Monate Gefängnis und Deine Mutter weint... Das war schon hart."
Jetzt kann Dana Bowerman mit einer Verkürzung ihrer Haftstrafe rechnen. Die Gesellschaft müsse unterscheiden zwischen dummen Jugendfehlern und schweren Gewaltverbrechen, erklärte Obama vor der Jahresversammlung der größten schwarzen Bürgerrechtsorganisation, der NAACP. Ein weiteres Problem sei, dass ethnische Minderheiten offensichtlich strenger gerichtet würden als andere Bürger.
"Schwarze Amerikaner und Latinos stellen 30 Prozent unserer Bevölkerung, aber 60 Prozent der Gefängnisinsassen. Einer von 35 männlichen Schwarzen und einer von 88 Latinos sitzt derzeit im Gefängnis. Dagegen sitzt nur einer von 214 Weißen Männern im Gefängnis."
Das Problem ist kaum noch zu übersehen. Die USA stellen fünf Prozent der Weltbevölkerung, aber 25 Prozent der Gefängnisinsassen. Seit 1980 hat sich die Zahl der Einsitzenden von 500.000 auf 2,2 Mio mehr als vervierfacht. Und die unproportionale ethnische Zusammensetzung der Gefängnisbevölkerung wird zunehmend als eine tiefe gesellschaftliche Ungerechtigkeit empfunden.
Der Besuch im El-Reno-Gefängnis ist Teil einer Initiative Obamas zu einer breiten Strafrechtsreform, die auch von vielen Republikanern getragen wird, so zum Beispiel vom Gouverneur von New Jersey und Präsidentschaftsaspiranten Chris Christie. Er will auch die Haftbedingungen ändern.
"Wenn wir schon Leute ins Gefängnis stecken, dann müssen wir ihnen etwas Sinnvolles zu tun geben, sie sollten nicht nur den ganzen Tag fernsehen. Wir sollten zum Beispiel darauf dringen, dass sie einen Highschool-Abschluss nachholen, damit ihre Chancen nach der Freilassung besser sind."
Der Highschool-Abschluss eröffnete eine ganz neue Perspektive
Stanley Richards saß selbst immer wieder im Gefängnis, zuletzt wegen Raubüberfalls. Jetzt hilft er entlassenen Strafgefangenen bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Für ihn hat der Highschool-Abschluss eine neue Perspektive eröffnet.
"Ich bin mein ganzes Leben vorher im Gefängnis ein- und ausgegangen. Erst während meiner letzten Haftstrafe konnte ich meinen Highschool-Abschluss nachmachen und dann auch einen College-Abschluss erwerben. Das hat meine Sicht auf die Welt und meine Chancen völlig verändert im Vergleich zu der Zeit davor, die ich auf der Straße und im Knast verbracht habe."
Mehrere Reformgesetzentwürfe werden derzeit im Kongress beraten. Fast alle Präsidentschaftskandidaten haben sich für Reformen ausgesprochen. Große Arbeitgeber wie Target, Home Depot und Walmart wollen in Zukunft auf ihren Einstellungsformularen auf die Frage verzichten, ob der Bewerber vorbestraft ist.
Problematisch sind vor allen Dingen gesetzlich vorgeschriebene lange Mindeststrafen auch für nicht-gewalttätige Drogenvergehen. In einigen Bundesstaaten gab oder gibt es Regelungen, die bei dreimaliger Verurteilung wegen kleiner Mengen Drogen langjährige Haftstrafen vorsehen. In vielen Fällen wurden diese Regelungen bereits wieder abgeschafft. Denn die USA sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten sicherer geworden. Die Zahl der Verbrechen ist im Vergleich zu 1990 von 750 pro 100.000 Einwohnern auf derzeit 375, also um die Hälfte, gefallen.
Doch der Kongress muss sich erst noch auf die Reform einigen. In der verbleibenden Zeit bis zur nächsten Wahl im November 2016 wird dies nicht leicht. Und die nennenswerte Absenkung der Zahl der Insassen in den amerikanischen Gefängnissen wird auch danach noch einige Jahre brauchen.
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