Drahtproduktion von Weltrang

Das Sauerland ist voll auf Draht

Blick in das Deutsche Drahtmuseum in Altena.
Blick in das Deutsche Drahtmuseum in Altena: So wurde früher Draht hergestellt © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Von Katrin Boers · 21.01.2016
Drähte sind überall: In jedem Auto, im Handy, in Zahnspangen, im Überseekabel, in Teebeutelklammern. Die hochwertigsten deutschen Drähte werden im Sauerland hergestellt und in alle Welt verkauft. Angst vor der Billigkonkurrenz aus Asien hat man dort nicht - aus gutem Grund.
Stefan Szkudlapski ist mit dem Auto im sauerländischen Altena und Umgebung unterwegs, um einige Drahtziehereien und Draht verarbeitende Betriebe zu besuchen. Er arbeitet für das "Netzwerk Draht". In ihm haben sich Firmen zusammengeschlossen, um ihre Interessen zu bündeln, sich besser zu vernetzen und gemeinsam auf sich aufmerksam zu machen.
Stefan Szkudlapski: "Wenn man sich den Gürtel anschaut, ist da Draht drin. In Haarnadeln haben wir Draht, im Schmuck ist Draht. Überall ist Draht."
In jedem Auto, Handy, Kugellager, Flugzeug und sogar in Zahnspangen und in der Spirale für die Frau – überall ist Draht drin. Überseekabel, Teebeutelklammern, Piercings und die kleinen Werkzeuge für Wurzelkanalbehandlungen beim Zahnarzt – sie alle bestehen aus Draht. Die Liste ließe sich unendlich so fortsetzen, erklärt Stephan Sensen. Er ist Museumsleiter des Deutschen Drahtmuseums in Altena:
Stephan Sensen: "Ohne Draht gäbe es die moderne Zivilisation überhaupt nicht. Jeder technikunterstützende Bereich ist auf Draht angewiesen."
Draht ist so wichtig, dass er sein eigenes Museum hat. Im Sauerland steht die Wiege des Drahtes, es gilt als Zentrum des Deutschen Drahtgewerbes seit vielen hundert Jahren. Er ist mehr als Blumendraht oder Maschendraht:
"Draht ist in jedem Fall längenbetont. Muss nicht im Querschnitt rund sein, ist es aber meistens. Es können aber auch ganz andere Profile sein, eckige, oder sehr komplizierte und bis zu einem Durchmesser von etwa 5 cm sprechen wir von Draht."
Bis heute wird Draht noch gezogen
Er kann aus verschiedenen Metallen sein, je nach Anwendung und Verwendungszweck. Hergestellt wird er seit 900 Jahren nach dem gleichen Prinzip, egal ob mit Muskelkraft oder mit modernen Maschinen: Draht wird gezogen.
Joachim Brüninghaus: "Wir machen, ich sag immer aus kurzem dicken langen dünnen Draht. Das ist eigentlich das, was hier passiert."
Das ist das Geschäft von Joachim Brüninghaus: Aus dickem Draht dünnen machen. Ganz praktisch funktioniert es immer auf die gleiche Weise: dicker Draht kommt an der einen Seite in den Ziehstein. Dieser verjüngt sich innen. Durch Zugkraft wird der Draht hindurch gezwungen und kommt auf der anderen Seite dünner und länger wieder heraus und zwar ohne, dass Material verloren geht.
Das Drahtmuseum liegt mitten im hügeligen Altena, das zum Rheinischen Schiefergebirge gehört und etwa 30 Kilometer südlich von Dortmund liegt. Die Lage zu Füßen der alten Burg Altena am Fluss Lenne war früher von unglaublichem Vorteil für die Drahtproduktion, klärt Stephan Sensen:
Stephan Sensen: "Also, hier waren alle Grundstoffe da und auch die Energieträger, die man brauchte. Allen voran die Wasserkraft, über die steilen Gebirgsbäche, die dann die Wasserräder der Drahtziehereien antrieben. Um 1725 gab es allein in Altena, einschließlich der heute eingemeindeten Ortsteile Dahle und Evingsen, 101 Drahtziehereien. Das war quasi monostrukturell-wirtschaftlich geprägt. Hier wurde fast nur Draht gezogen. Die Wasserkraft war da, das Eisenerz kam hier aus der Region, es wurde auch in der Region verhüttet und die Wälder waren da, um Holz zu Holzkohle zu verarbeiten."
Im Mittelalter erlebte die Region einen großen Boom. Das Kettenhemd wird zum Verkaufsschlager und kurbelte die Drahtproduktion extrem an:
"Zu Beginn, im Mittelalter, war sicherlich die Initialzündung das Kettenhemd, der Kettenpanzer für die Rüstung der Ritter. Aber man brauchte Draht natürlich als Befestigungselemente, als Grundstoff für Werkzeuge und für Waffen und für allerlei Gerät, was sich daraus entwickelte."
Sehr nachgefragt war der Draht, weil es in der Region gutes Eisen gab: Osemund-Eisen. Es galt als besonders rein, weich und zäh. Nach dem 30-jährigen Krieg brach für den Draht aus Altena eine besonders erfolgreiche Zeit an. Von hier aus ging unglaublich viel Draht in alle deutschen Landen.
Kunstwerke aus Draht in der Ortsmitte
Noch heute ist Altena von der Drahtindustrie geprägt. Auch wenn es viele Firmen nicht mehr gibt, sieht man noch viel Draht im Ort. Es gibt Kunstwerke aus Draht in der Mitte von Kreisverkehren und entlang der Lenneuferstraße. Direkt am Fluss, der sich durch Altena schlängelt, stehen viele lebensgroße Bäume aus Draht. Sie sind beleuchtet und der Draht wird in ein sehr schickes Licht gesetzt.
In den engen Talstraßen Altenas sieht man aber nicht nur Kunst, sondern auch das Arbeitsmaterial Draht. Auf dem Hof direkt an der schmalen Nettetalstraße stapelt sich aufgespulter Draht der Firma Brüninghaus. Riesige Ringe mit einem Meter Durchmesser türmen sich. Der Vorrat reicht für die nächsten 14 Tage. Für mehr ist kein Platz da. Platz ist ein Luxus, den es in Altena kaum gibt, berichtet Firmenchef Joachim Brüninghaus auf der Straße vor seiner Firma. Hier fahren die Autos und LKW direkt an der Hauswand vorbei:
"Ja, das sind auch hier Hallen, die wir erst vor einigen Jahren haben bauen können, nachdem wir vorhandene Bebauung abgerissen haben, um uns hier aufwärts ein bisschen auszudehnen. Was wir natürlich auch machen, soweit das technisch möglich ist, wir gehen, soweit wie eben machbar, in den Berg hinein, sprengen teilweise, um auch so ein bisschen noch Tiefe zu gewinnen. Aber das ist natürlich sehr aufwändig und wenn man sich überlegt, man kauft ein Haus, man reißt es ab, man geht in den Berg rein und wenn man danach die Quadratmeterpreise rechnet, dann wirds einem eigentlich schwindelig."
Draht, Altena und der Märkische Kreis im Sauerland gehören eng und untrennbar zusammen – über die geografische Lage wird aber immer wieder neu nachgedacht. Markus Giese von der Firma Künne in Hemer weiß, wie viel man einer besonderen Lage auch verdankt:
Markus Giese: "Man hat hier eine sehr gewachsene Infrastruktur. Lieferanten, sonstige Partner, die man ideal halt in greifbarer Nähe hat für alles Mögliche. Für uns auch wichtig, wir liegen hier direkt am Wasser. Wasser ist nach wie vor ein ganz wichtiger Faktor für uns. Zwar nicht mehr so sehr als Energiequelle, wie das vielleicht früher mal der Fall war, aber die vielen Maschinen, die wir hier halt betreiben, sind eben auch alle wassergekühlt, das heißt also, wir können uns da auch des Wassers aus dem Fluss bedienen."
Um 1600 wurde zum ersten Mal Stahldraht gezogen und das mit großer Wahrscheinlichkeit im Sauerland. Seit 300 Jahren verarbeitet die Firma Künne nun schon Stahldraht, doch manchmal kommt auch der Geschäftsführer an seine Grenzen:
Markus Giese: "Unter logistischen Aspekten ist das hier grundsätzlich eine Katastrophe! Kann man gar nicht anders sagen. Das war früher mal alles kein Problem, was Logistik, innerbetrieblicher Transport und solche Themen halt anbelangte. Heute sind das Faktoren, weil dadurch werden Produktionszeiten verlängert, dadurch muss mehr Aufwand betrieben werden."
Viele Firmen sind pleite gegangen
Es ist schwierig, genaue Zahlen über die Drahtindustrie zusammenzustellen, da die Firmen sehr unterschiedliche Produkte herstellen und weiterverarbeiten. Außerdem gehören die Firmen zu verschiedenen Fachverbänden. Deren Zusammensetzung und Organisation hat sich im Laufe der Jahre obendrein immer wieder verändert.
1946 wurde die Stahldraht-Vereinigung gegründet, parallel dazu die Eisendraht-Vereinigung. Wenig später beschäftigten die Firmen über 18.000 Mitarbeiter - bundesweit. Über Zweidrittel der insgesamt 230 Firmen saßen im Sauerland und im Bereich Hagen, etwa 90 kamen allein aus Altena und den Nachbarorten. Im Bundesverband Draht - einem übergeordneten Zusammenschluss - waren 1965 330 Unternehmen mit etwa 40.000 Mitarbeitern organisiert. Mitte der 1980er Jahre arbeiteten nur noch etwa 15.000 Menschen in dem Bereich.
Viele Firmen haben in den vergangenen Jahren gekämpft - und verloren. Sind pleite gegangen, wurden zusammengelegt oder wanderten ab. Da es immer weniger Firmen gab und sie oft sowohl Eisen- als auch Stahldraht verarbeiteten, wurden die Vereinigungen 1995 zur Eisendraht- und Stahldraht-Vereinigung zusammengelegt. Traurige Bilanz: Von einst über 260 Unternehmen sind nur noch 30 übrig geblieben. Heute arbeiten geschätzt weniger als 3000 Menschen in der gesamten deutschen Drahtindustrie.
Eines der gängigsten Produkte aus Draht ist der Nagel. Kam früher fast jeder Baumarkt-Nagel aus Altena, war das nach der Wende vorbei. Die ausländische Konkurrenz wurde in den 1990er Jahren immer stärker. Billige Drahtprodukte aus Asien oder aus Osteuropa drängten in den Markt. Ein elementares Problem für die Drahtindustrie in Altena. Zu allen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass Drahtziehen und die Weiterverarbeitung teure Angelegenheiten sind, weiß Claus Hegewaldt von der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer:
"Weil wir hier auch in gewisser Weise einen kapitalintensiven Betrieb haben. Wir haben entsprechende Maschinen und Anlagen. Ich hab sehr viel Materialeinsatz und natürlich durch die technologischen Veränderungen bei den Maschinen, dass ich im Grunde, sag ich mal, mit weniger Personal größere Ausbringungsmengen herstellen kann."
Heute stoßen die Firmen etwa die dreifache Menge von 1946 aus. Die starke Modernisierung vieler Betriebe sorgte automatisch dafür, dass auch weniger Personal gebraucht wurde. Das bestätigt Jens Mittendorf von der Firma Diehl. Zu dem Konzern gehören auch die Sundwiger Messingwerke in Hemer, eine Firma mit Tradition und langen Firmengeschichte:
Jens Mittendorf: "Ich sag mal, als wir damals gegründet wurden, vor 317 Jahren, als SundwigerMessingwerk, da hatten wir, ich weiß nicht, 700 bis 1000 Leute. Das war ja damals noch vor der Industrialisierung. Das waren Bleche, die da hergestellt wurden. Da wurden Tabakdosen hergestellt. Und auf der anderen Seite, die Frauen, die brauchten Fingerhüte, die ebenfalls aus diesen Blechen hergestellt wurden und Nähnadeln aus Drähten. Das war damals die Vertriebsidee für unsere Gründerväter."
Preisdruck aus Fernost
Heute arbeiten für das Werk in Hemer 300 Mitarbeiter. Sie verarbeiten überwiegend Kupfer- und Bronzedraht weiter. Statt Tabakdosen und Nähnadeln fertigt die Firma heute für die Automobil- und Eisenbahnindustrie. Auch sie ist den Anfragen des Marktes unterworfen und hat sich angepasst:
"Das wurde natürlich von außen, vom Kunden getrieben und dann gibt es natürlich auch einen Preisdruck, der auch irgendwo vorgegeben ist und dem muss man sich dann stellen, in dem man entweder eine besondere Qualität herstellt, die der Wettbewerb nicht kann oder dass man es eben besonders günstig produziert."
Rüdiger Dolinski: "Aber wieder auch ein typisch Altenaer Problem: Die Firma Berg wollte sich vergrößern, und das Ganze ist in die Hose gegangen."
Rüdiger Dolinski war immer gerne Drahtzieher. Der 73-Jährige Mann aus Altena war es über 50 Jahre lang. Er weiß aber auch nur zu gut, welche Probleme die Branche hatte – er selber wurde nach über 40 Jahren arbeitslos, als die Firma Berg in Altena dicht machte. Firmen gehen pleite und die Modernisierung tut ihr übriges. Für Altena wurde das zu einem elementaren Problem: Die Stadt wird immer kleiner – sie schrumpft.
Stephan Sensen: "Früher gabs vielleicht an einem Drahtzug über die Schichten verteilt, wenigstens vier Arbeiter oder mehr. Heute ist das so, dass sie in den Firmen gerade im Feindrahtbereich eine Person haben, die für etliche Maschinen zuständig ist. Dadurch arbeiten auch wesentlich weniger Leute in den Firmen und das ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass die Einwohnerzahl von Altena von Ende der 60er Jahre von ungefähr 32.000 Einwohner auf heute 17.500 sich verringert hat."
Stefan Szkudlabski: "Die Menschen gehen halt dorthin, wo die Arbeit ist."
Britta Hölper: "Zusätzlich dazu hat man natürlich noch die Problematik, dass die jungen Leute nach der Schule alles wollen, außer im eigenen Ort zu bleiben, um da eine Ausbildung zu machen."
Britta Hölper. Sie ist eine der wenige Frauen im Drahtgeschäft und Geschäftsführerin der Firma Möhling in Altena. Den familiengeführten Betrieb gibt es seit 1843 und er ist der zweitgrößte Arbeitgeber in Altena. Es begann im 19. Jahrhundert mit der Produktion von Ketten, heute arbeitet Möhling zum Großteil für die Automobilindustrie und liefert Teile an, die zum Beispiel bei Autositzen und in der Fenster- und Elektroindustrie zum Einsatz kommen. Das Geschäft läuft, aber auch ihre Firma hat Probleme, Nachwuchs zu finden:
"Es ist sehr, sehr schwierig. Die Jugendlichen heute träumen von Jobs an Computern, vielleicht noch Automechaniker, aber das ist so das Höchste der Gefühle. Und man erwartet von dem Job des Industriemechanikers, wir bilden Produktions- und Betriebstechniker aus, erwartet man eben einen computergesteuerten, sauberen Arbeitsplatz, aber es ist einfach eine sehr handwerkliche Arbeit."
Früher haben die Arbeiter oft Finger verloren
Die Arbeit im Drahtgeschäft ist immer noch keine ganz leichte, keine ganz saubere und keine leise. Das bestätigt Joachim Brüninghaus in seiner eigenen lauten Werkshalle:
"Wir haben hier Stäube, wir haben Fette, aber es ist mittlerweile doch auch ein sehr sicherer Arbeitsplatz, dass insofern mittlerweile, die früher häufigen Unfälle, doch minimiert sind. Früher war es häufig so, dass ein Drahtzieher ja mindestens einen Finger sich mal irgendwann abgezogen hat und immer Probleme hatte, wenn er dann 10 Bier bestellen wollte und er kriegte nur 9, weil ja der eine Finger fehlte."
Auch Drahtzieher Rüdiger Dolinski fehlt der halbe Zeigefinger der linken Hand. Der 73-Jährige selber hat dazu immer einen lockeren Spruch auf den Lippen und erzählt, wie die Arbeitssicherheit zu seiner Zeit war:
"Ich hab 51 Jahre lang in meinem Leben Draht gezogen, ich kenn mich so ein bisschen aus. Die Maschine, auf der mir das passiert ist, war eigentlich mit einem Schutzgitter versehen, hat man aber abgebaut, weil es einfacherer war, dran zu arbeiten. Da ist der Draht gerissen und ist mir über meinen Allerwertesten geschlagen oder ein Stückchen Finger verloren oder was auch immer."
Heute ist der Arbeitsschutz ein ganz anderer. Vor abgerissenen Fingern braucht sich kein Interessent mehr zu fürchten. Aber Britta Hölper nimmt noch lange nicht jeden. Sie weiß genau, welche Azubis sie möchte:
"Die besten Azubis sind die, die mit 14 ein Mofa hatten und die mit ihrem Papa das Auto zusammen- und auseinander geschraubt haben und die Kaffeemaschine von ihrer Mutter immer reparieren, wenn die kaputt geht. Also, man muss schon eine Leidenschaft fürs Schrauben einfach haben."
Und ein Gefühl für den Draht. Die Menschen sind es, die die Firma Möhling am Standort Altena halten. Gewachsene und geballte Kompetenz findet sich hier:
"Das sind auch Dinge, die sich von Generation zu Generation weitertragen, also, wir haben wirklich Mitarbeiter bei uns in der Belegschaft, deren Väter und Großväter und teilweise auch Urgroßväter schon bei uns gearbeitet haben und die Affinität mit Draht zu arbeiten und sich ja, in die Kaltumformung rein zu fuchsen, das liegt den Leuten hier einfach."
Spezialisierung zu Mikroschrauben
Auch Joachim Brüninghaus will mit seiner Firma in Altena bleiben. Er baut um, vergrößert sich. Trotzdem stößt die Firma im Tal an ihre Grenzen – also muss eine andere Lösung her, um zukunftsfähig zu bleiben. Deshalb verkleinert sich Brüninghaus – und zwar so:
"Wir sehen unser Heil eigentlich darin, in Richtung dünnere Abmessungen zu expandieren, wir brauchen dann wesentlich weniger Platz und es tut sich eigentlich auch ein kleiner, aber feiner Markt im Bereich der Mikroschrauben auf."
Kleinere Teile brauchen weniger Platz und weniger Material. Diese Mikroschrauben werden zum Beispiel von der Uhren- und Brillenindustrie gebraucht. Aber nicht nur die Teile werden bei Brüninghaus kleiner – auch die Aufträge in gewisser Weise und das ist gar nicht so schlecht:
"Das andere ist, nicht auf Menge zu gehen, sondern Spezialitäten zu machen. Und auch Klein-Serien zu machen. Viele unserer Kunden benötigen manchmal nur geringe Stückzahlen von Teilen, die sie produzieren wollen und damit auch geringe Mengen Draht und da sind wir eigentlich auch mal bereit, nur 500 oder 200 Kilo zu fertigen."
Kleinere Chargen und speziellere Aufträge können eine Lösung sein, um am Markt zu bleiben. Besonderen Service und gute Betreuung schätzen auch die Kunden der Firma Möhling. Einfach nur billig reicht nicht immer und so erzählt Britta Hölper nicht ohne ein kleines Lächeln im Mundwinkel, dass sie schon durchaus die Erfahrung gemacht hat,
"...dass Kunden, die abgewandert sind, aus Preisgründen, in Asien ihre Produkte kaufen, dann doch relativ reumütig auch wiederkommen, weil eben die Stabilität der Qualität und die Zuverlässigkeit da doch nicht so groß geschrieben wird, wie das in Deutschland der Fall ist."
Besondere Qualität, ganz spezielle Produkte, eine Nische finden – das hat auch die Firma Stamm in Iserlohn gemacht. "Keiner zieht feiner" ist ihr Firmenmotto und wenn man dem technischen Leiter Christof Ablas so zuhört, ahnt man, wie fein die Produktion tatsächlich ist – auch das ist Draht:
"Wir sind spezialisiert auf Feinstdrähte, das heißt Drähte bis 0,013 Millimeter. Das menschliche Haar hat 0,07 Millimeter. Aus diesen Drähten, aus den Feinstdrähten, werden Gewebe hergestellt für die Mikroelektronik oder Abschirmung für Flugzeuge. Frauen haben Knitterblusen an, in diesen Knitterblusen befinden sich 35-Mü-Drähte, damit die Blusen immer schön knittrig bleiben. Und eben ganz, ganz spezielle Drähte für Musiksaiten, hochwertige Musiksaiten, sprich Violinen, wo dann eine Violinensaite sicher um die 1500-2000 Euro kostet."
David Garrett schwört auf Iserlohner Draht für seine Violinen-Saiten
Star-Geiger David Garrett schwört für seine Violine auf Saiten aus Iserlohner Draht. Mit dem Draht der Firma Stamm werden zum Beispiel auch die Displays von Handys oder Tablets "bedruckt", um Touchscreen-Funktionen möglich zu machen. Außerdem liefert Stamm Feinstdrähte für die Produktion von besonders hochwertigem Papier, das für Geldscheine gebraucht wird. Präzision ist da extrem wichtig. Bei diesem Draht ist Sauberkeit so wichtig wie in der Medizin:
"Wenn es da Reklamationen gibt, dann unterhalten wir uns relativ schnell über eine Viertel bis eine halbe Million. Und Flusenbildung aus den Kartons, die sich da auf den Spulen bilden, können Streifen im Gewebe sein deswegen ist auch allein schon unsere Verpackung für dieses Produkt was ganz anderes."
Deshalb hat Christof Ablas auch keine schlaflosen Nächte wegen der Konkurrenz.
"Also, ich sag jetzt mal, weltweit gesehen, gibt es für diesen Draht fünf Firmen, die das könnten. Das Problem ist ja die Verunreinigung dieser Gewebe. Man muss sich vorstellen, in einem Topf, wo 20 Tonnen drin sind, dürfen keine Verschmutzungen sein, die größer sind als 0,005 Millimeter. Und das ist das Problem."
Viele der Firmen in der Drahtindustrie sind mittelständische Familienunternehmen. Die konservativen Traditionen haben manchen Neuanfang und die Ausrichtung auf veränderte Bedingungen verhindert. Manche Sauerländer Unternehmer haben den Absprung nicht geschafft oder in sehr kleinen Dimensionen gedacht. Allerdings kann es manchmal auch nicht schaden, konservativ zu sein, findet Stefan Szkudlapski vom Netzwerk Draht.
"Das hat sich auch gezeigt, in der letzten Krise, 2008, 2009, das beispielsweise die gesamten Familienbetriebe hier keine großen Entlassungen durchgeführt haben, sondern wirklich ihre Mitarbeiterstämme, auch dank der Kurzarbeit, gehalten haben. Es ist halt ein familiäres Denken. In einer relativ überschaubaren Gemeinschaft, auch miteinander zu leben und leben zu müssen letztendlich."
Das Netzwerk Draht versucht, die mittelständischen Unternehmen miteinander und mit der Zukunft zu vernetzen. Auch Markus Giese gehört dazu.
"Der Sauerländer an sich neigt eigentlich nicht so wirklich zum netzwerken. Ja, also, jeder hat in seinem Kämmerchen vor sich hin gewurschtelt, weil irgendwo immer noch der Gedanke an Rivalität, an Wettbewerb vorhanden ist, wobei das immer weniger ist. Also, es gibt eben nicht mehr 230 Drahtziehereien in Deutschland, es gibt vielleicht in Deutschland gerade noch mal 12. Die sind eigentlich sowieso schon jeder für sich schon relativ speziell und jeder hat so seine Kernkompetenzen und so weiter und insofern ist dieses Denken in den alten Barrieren eigentlich völlig überflüssig geworden."
"Unsere Mitarbeiter sind nicht durch Maschinen zu ersetzen"
Umdenken dauert - aber Kompetenz, Qualität und Knowhow helfen auch in Zukunft, Draht aus Altena und Umgebung in die Welt zu schicken. Die Wiege des Drahtes steht in Altena. Zu Grabe wird er hier nicht getragen, im Gegenteil. Flugzeug- und Raumfahrttechnik braucht ihn ebenso sehr wie die Auto- und Kommunikationsindustrie.
An der Zukunft des Drahtes wird in Altena gearbeitet:
Stefan Szkudlapski: "Sie finden nirgendwo in Europa oder vielleicht nicht mal in der ganzen Welt so eine hohe Konzentration an Kompetenz in Sachen Draht wie gerade in der Region Südwestfalen, Märkisches Sauerland."
Britta Hölper: "Unsere Mitarbeiter sind nicht durch Maschinen zu ersetzen. Wir haben unsere Kaltumformungsmaschinen, die Weiterbearbeitungsmaschinen, aber das ist nichts, was man durch Computer steuern kann und von daher ist das eine krisensichere Geschichte. Und ja, wir bieten jetzt bald seit 175 Jahren unseren Mitarbeitern ein sicheres Zuhause."
Rüdiger Dolinski: "Die Altenaer Drahtindustrie hat ein über viele Jahrhunderte gesammeltes Knowhow. Drahtziehen kann man in Asien, in Afrika und überall, aber nicht diese Qualitäten. Weil Draht nicht gleich Draht ist. Das trifft genau auf Altena zu und deshalb lebt die Altenaer Drahtindustrie auch noch."
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