Dr. Phob. Schräublelocker, Facebook und der Überwachungsstaat

Gerhard Seyfried im Gespräch mit Ulrike Timm · 22.10.2010
Nach zehn Jahren gibt es einen neuen Comic vom legendären Team Harmonian Anarchists, Gerhard Seyfried und Ziska Riemann. "Kraft durch Freunde" heißt es, eine Satire einmal verquer durch die Medienlandschaft und den facebook-Wahn.
Ulrike Timm: In den 1970ern oder 80ern gab es in Westberlin kaum eine WG-Klotür ohne Anarchozwerg mit Bombe und nur wenige Wohnungstüren ohne die Bullen, die bitte draußen bleiben müssen oder das Signal Pop Stolizei. Gerhard Seyfried, Zeichner und Erfinder dieser wunderbaren Anarchozwerge, machte aber weiter und schrieb militärhistorische Romane, zum Beispiel über den Boxeraufstand in China. Jetzt, nach zehn Jahren gibt es einen neuen Comic vom legendären Team Harmonian Anarchists, Gerhard Seyfried und Ziska Riemann. "Kraft durch Freunde" heißt es, eine Satire einmal verquer durch die Medienlandschaft und den facebook-Wahn. Und Gerhard Seyfried ist unser Gast im Studio, schön, dass Sie da sind!

Gerhard Seyfried: Danke!

Timm: Herr Seyfried, hatten Sie Sehnsucht nach dem Cartoon, nach dem Comic?

Seyfried: Ja, wir alle beide, Ziska auch! Wir hatten, Ziska macht Filme und so, und wir hatten nach zehn Jahren wirklich mal Lust bekommen, wieder einen Comic zu machen.

Timm: Was ist schöner am Zeichnen als am Schreiben?

Seyfried: Es ist mehr Arbeit, es bringt weniger ein! Es ist lustiger, das ist wichtig.

Timm: Und wieso dieses Thema: facebook, Freundschaftsnetze über die ganze Welt, Überwachungsstaat, wie kam es dazu?

Seyfried: Ja das ist, was halt jetzt so in der Luft liegt auch für uns. Wir sind ja, arbeiten ja auch seit über zehn Jahren mit Computern und sind im Internet und so. Und dann haben wir gedacht, wir schauen mal in diese facebook-Geschichten rein, was da los ist. Und das hat uns dann quasi inspiriert zu diesem Comic.

Timm: Und das war das erste Thema nach zehn Jahren, was Sie so gereizt hat, dass Sie dachten, jetzt den Stift wieder in die Hand zum Zeichnen?

Seyfried: Es ist nicht ganz so einfach. Unser jetziger Verleger hat uns auch vor zwei Jahren angesprochen, ob wir nicht mal einen Comic wieder machen wollten. Dann haben wir uns überlegt, worüber, dann fiel uns das, ja gut dann fiel uns diese ganze Internetwelt ein, Datenmissbrauch, all diese Geschichten. Und dann kam die Idee, wie das wäre, wenn man ein Handy hätte, das wie ein Trabant mit einem mitschwebt und alles registriert ständig, ohne Pause, und schamlos weitergibt.

Timm: "Kraft durch Freunde" – sehr wichtig natürlich, dieses N –, das lässt einen kleinen Moon über die Stirn der Menschen tanzen, ein Moon ist so ein Kommunikationsding, Sie haben es eben kurz beschrieben, das jedes Handy und jeden iPad in den Schatten stellt, das einen überwacht und nicht nur verbindet. Und der Comic ist Satire aber auch auf all die Freunde, die man sich mit facebook macht. Sie selbst sind aber auch im Netz bei facebook, ist das ein Widerspruch?

Seyfried: Na ja wir sind aus Recherchegründen reingegangen, so fing das an. Das hat uns mal interessiert, weil viele Bekannte drin waren. Und als wir auf die Idee kamen, wir machen was darüber, dann mussten wir da natürlich auch rein, mal reinschnuppern, wie das ist. Jetzt sind wir immer noch drin und es ist … Es ist zwiespältig, es macht Spaß, wir haben besseren Kontakt mit Kollegen im Ausland, als wir vorher hatten, weil es einfach einfacher ist; aber es ist auch irgendwie bedrohlich, wie mit den Daten umgegangen wird, es wird wirklich Schindluder mit den Daten getrieben, die werden verkauft an, es geht um Anzeigen und so was. Man muss sehr aufpassen, was, welche Informationen man diesen Netzwerken gibt.

Timm: Aber wenn Sie jetzt noch drin sind, dann haben Sie ja nicht nur geschnuppert, dann hat das ja auch einen Reiz.

Seyfried: Ja. Es hängt auch mit dem Comic zusammen, wir haben unseren Comic natürlich auch ein bisschen, ja unsere Fans miterleben lassen, wie der Comic entsteht, übers facebook, indem wir kleine Teaserbilder reingemacht haben, oder haben auch Seiten mit unseren Comicfiguren gegründet …

Timm: Das heißt, die ganzen facebook-Benutzer, die ihre 925.000 Freunde dort jeden Tag treffen, die haben gleichzeitig dann geguckt, wie sie freundlich gesagt verarscht wurden?

Seyfried: Ja, kann man so ausdrücken.

Timm: Schön! Dieser Comic "Kraft durch Freunde", der gipfelt ja in einem totalen Überwachungsstaat, er ist weiß Gott nicht nur lustig. Und dieser Überwachungsstaat wird letzten Endes von den banditi brutali glücklicherweise aufgehackert. Da gibt es den Minister, der alles steuern möchte, Dr. Phob. Schräublelocker, und einen karrieregeilen Vorstandsvorsitzenden, der natürlich nur rein zufällig an Verteidigungsminister zu Guttenberg erinnert. Wie viel empörte Post bekommen Sie nach solchen Geschichten?

Seyfried: Bisher überhaupt nichts Empörtes. Wir bekommen viel Post, aber empört war niemand bis jetzt. Im Gegenteil.

Timm: Das heißt, die entscheidenden Leute lesen Sie nicht?

Seyfried: Tja ich würde das auch nicht vermuten, dass die Leute unsere Comics lesen.

Timm: Würde Sie das amüsieren, wenn Sie Reaktionen, bierernste Reaktionen bekommen etwa aus dem Büro Dr. Phob. Schräublelocker oder von Figuren, die Sie zeichnen, und die dann doch erkennbar sind?

Seyfried: Wir würden so was mit Interesse entgegensehen, sagen wir mal so. Mit Vergnügen!

Timm: Wie finden Sie eigentlich immer diese schönen Ausdrücke? Früher haben Sie mal eine Deutschlandkarte gemacht von Krankfurt über Lynchen und Ziel bis Berlin-Pest … Wie entstehen solche Namen?

Seyfried: Wenn ich das wüsste, hätte ich das besser im Griff. Das kommt einfach. Es ist eine blöde Leihangewohnheit seit der frühen Kindheit, so kann man das sagen.

Timm: Also Sie spielen genau so gern mit Sprache, wie Sie zeichnen.

Seyfried: Ja, sehr gerne.

Timm: Wollen Sie denn zukünftig auch wieder pendeln zwischen Roman und Comic, oder …

Seyfried: … ich bin schon im nächsten Roman.

Timm: Aha!

Seyfried: Ja!

Timm: Das heißt, der Comic bleibt ein Ausflug und wird jetzt zum Hobby?

Seyfried: Ja mal sehen, wir warten jetzt mal ab, wie sich das Ding verkauft, das ist natürlich auch wichtig. Wir können das ja nicht als Hobby machen nebenher, dazu ist es zu viel Arbeit. Und Ziska ist wieder in einem Filmprojekt, ich hab den nächsten Roman unter Vertrag, und wenn sich es einigermaßen anständig verkauft, dann würden wir gerne noch einen Comicband machen. Aber wie gesagt, es ist viel Arbeit, dauert lange und muss mit unseren anderen Projekten irgendwie …

Timm: … ein Comic ist mehr Arbeit als ein Roman?

Seyfried: Ja und nein. Also man muss diese ganzen Zei…, es ist wie einen Film machen. Es muss, diese ganze Optik da, die Kameraeinstellung, wie die Geschichte abläuft, die Dramaturgie ist anders und so. Also es ist wirklich wie Film, nur dass man es alleine macht und ohne Budget.

Timm: Das heißt, man arbeitet voll auf eigenes Risiko, aber das tut man ja bei einem Roman in der Regel auch.

Seyfried: Ja, ja.

Timm: Also wie legen Sie los, wenn Sie ein Comic machen oder wenn Sie ein Buch machen, ist das ganz verschieden, oder sind das verschiedene Arbeitstechniken oder gibt es Gemeinsamkeiten?

Seyfried: Das ist verschieden. Bei den historischen Romanen ist es so, dass ich ein historisches Gerüst oder Skelett zugrunde legen kann, an dem entlang ich die Romanhandlung wachsen lasse. Das ist vorgegeben. Beim Comic ist das anders, da müssen wir uns die Geschichte vorher ausdenken so im Groben erst mal, ungefähr wissen, was das werden soll, und dann fangen wir an, das zu skizzieren, machen, verfeinern das immer mehr, durchdenken das immer mehr und machen ein Storyboard genau wie beim Film.

Timm: Was haben Ihre Fans eigentlich gesagt, dass Sie längst umgestiegen sind oder zumindest auch sich als Romanschriftsteller von militärhistorischen Romanen etabliert haben? Das ist von den Anarchozwergen des linksliberalen Berlins doch ein ganzes Stück entfernt?

Seyfried: Ja, das macht mir aber auch Spaß. Für mich ist das eine schöne Abwechslung, ich hab ja auch … Ja mich interessieren auch ernsthafte Dinge, also nicht immer nur Blödelei. Und das ist, ich finde das einen großen Glücksfall, dass ich beides machen kann.

Timm: Das heißt, Sie mögen sich auch nicht fassen lassen, in eine Ecke stellen lassen.

Seyfried: Nein!

Timm: Für Ihre historischen Romane haben Sie ja viel recherchiert, sind praktisch noch Hobbyhistoriker obendrauf geworden. Was vermuten Sie denn werden Historiker in 100 Jahren sagen, wenn sie Comics wie "Invasion aus dem Alltag" oder eben "Kraft durch Freunde" sehen?

Seyfried: Sie werden sagen, zum Teufel, das ist ja alles schon vorausgesehen worden, warum kam es dann so?!

Timm: Der Comic als die eigentliche Geschichtsschreibung?

Seyfried: Ja, es ist auch eine Form der Geschichtsschreibung. Es ist tatsächlich so, dass Geschichtsschreibung sich durch mein ganzes Werk zieht bisher, von den Comics angefangen, praktisch die Studentenbewegung mit protokolliert habe seit den 60ern.

Timm: Ich meinte das auch gar nicht nur komisch, aber was sagt denn der Comic über die Zeit, vielleicht plastischer als eine politische Reportage oder auch ein Geschichtsbuch, was man sehr ernsthaft recherchiert? Was sagt der Comic, was die vielleicht nicht erzählen?

Seyfried: Ja im Comic kann ich mehr überliefern, als es ein trockenes, historisches Werk machen würde. Also es geht im Comic um Feeling, um Stimmungen, um die Optik der Leute, wie sie aussehen, um die Witze, die im Gange sind, um die … Das sind alles Sachen, die im Geschichtsbuch keinen richtigen Platz haben. Man kriegt aus einem Geschichtsbuch kein richtiges Gefühl für die Zeit, wie das war und … Besonders das aus einem komischen Blickwinkel zu betrachten, das ist etwas Schönes, was man normalerweise nicht hat.

Timm: Müssen Sie eigentlich in guter Stimmung sein um gut zeichnen zu können, oder ist das Handwerk und egal?

Seyfried: Nein, es ist schon eine Stimmungsfrage auch. Also wenn es mir richtig dreckig geht, dann klappt das auch nicht mit dem Arbeiten und so.

Timm: Und dann findet man keine Namen, keine skurrilen …

Seyfried: Ja … Humor ist auch immer stark von der Laune abhängig oder von der Situation, die einen umgibt, aber es ist eigentlich glücklicherweise alles sehr harmonisch und angenehm.

Timm: Und jetzt möchten Sie in der Zukunft hin und her hüpfen zwischen dem militärhistorischen Roman und den zeitkritischen Comics? Ist das der Wunsch?

Seyfried: Ja also ich denke nicht in Wünschen, aber irgendwie ist das das, was ich vorhab, ja.

Timm: Dann muss ich Sie fragen mit einem Ihrer Comictitel, "wo soll das alles enden"?

Seyfried: Tja wenn ich das wüsste, dann könnte ich mir die ganze Arbeit sparen!

Timm: Bis dahin schauen wir Ihnen gerne weiter zu! Gerhard Seyfried war das, der Berliner Cartoonist und Romanschriftsteller. Gerade ist nach zehn Jahren Pause sein neuer Comic herausgekommen, "Kraft durch Freunde". Herzlichen Dank für Ihren Besuch im Studio!

Seyfried: Ich danke Ihnen