Dorothee Bär über Frauen in der Politik

"Die Quote ist eine Krücke, die aber notwendig ist"

Moderation: Dieter Kassel · 15.08.2017
Im künftigen Bundestag werden weniger Frauen sein als im aktuellen. Noch immer haben Politikerinnen es nicht leicht, Karriere im Parlament zu machen. Wie Männerklüngel funktionieren und warum die Frauenquote wichtig ist, sagt uns die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär.
Politikerinnen sind nichts Besonderes mehr. Aber: Knapp 100 Jahre nach dem Erhalt des Wahlrechts sind Frauen in der Politik noch immer unterrepräsentiert. Nur 37,1 Prozent der Mandate im Bundestag gehen aktuell an Frauen und nach den Umfragen sinkt der Anteil nach dem 24. September auf 32 Prozent und damit deutlich unter den Bevölkerungsanteil von mehr als 50 Prozent. Aber warum ist das so?
Es gebe nicht genug Frauen, die sich für ein Direktmandat zur Verfügung stellten, sagt die CSU-Politikerin Dorothee Bär, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium und Mutter dreier Kinder. Das Pendeln zwischen Bundeshauptstadt und ihrer eigenen Heimat Bayern sowie viele Termine am Wochenende seien mit Familie meist nicht gut vereinbar.

Freizeit muss man "wahnsinnig verteidigen"

Die CDU/CSU-Fraktion bildet das Schlusslicht beim Frauenanteil. Auf die Frage, ob nicht auch der Ehemann zugunsten einer Karriere seiner Frau zu Hause bleiben könne, sagte Bär: Sie plädiere grundsätzlich dafür, Familien "nicht reinzureden", wie sie ihren Alltag gestalteten und sei sehr dafür, dass beide Ehepartner berufstätig sein könnten.
Bär räumte ein, dass die Politik familienfreundlichere Strukturen brauche. Sie selbst habe sich nach der Geburt des ersten Kindes angewöhnt, "darauf zu bestehen – wenn es nicht notwendig ist und kein Termin ist, der von Haus aus schon vorgegeben ist – zumindest den Sonntagabend freizuhaben. Das klappt selbstverständlich nicht immer – im Sommer so gut wie nie. Aber auch im Winter muss man das wahnsinnig verteidigen und seinen Ortsverbänden sagen: Ihr müsst keine Jahreshauptversammlung an einem Sonntagabend abhalten".

Immer noch bekommen Frauen Sprüche zu hören

Dort einen Kulturwandel herbeizuführen, brauche sehr viel Zeit. Zum Thema "Männerklüngel" sagte Bär:
"Sagen wir mal so: Zumindest wird schon versucht – wenn eine Frau noch keine Kinder hat – ihr nahezulegen, dass man sie erst ernst nehmen kann, wenn sie denn welche hat. Und wenn sie dann welche hat, kann man sie auch nicht mehr ernst nehmen, weil – dann hat sie ja Kinder."
Sprüche wie "Oh, Gott – denk doch auch mal an dein Kind", seien an der Tagesordnung, wenn man als Frau überlege für bestimmte Ämter zu kandidieren. Wenn sie sich mit Kolleginnen austausche, berichteten die von ähnlichen Situationen – egal welcher Partei sie angehörten.
Zum Thema Frauenquote, die auch ihre eigene Partei eingeführt habe, sagte Dorothee Bär:
"Für mich ist es einfach eine Krücke, die aber notwendig ist und damals auch ganz dringend notwendig war."
Lange Zeit habe es bei der Besetzung von Ämtern in ihrer Partei geheißen, es gebe nicht genug Frauen, um die Positionen mit ihnen zu besetzen. Doch nach Einführung der Quote habe es plötzlich so viele Bewerberinnen gegeben, dass Frauen durchaus auch Frauen – und nicht nur Männern – bei der Besetzung von Ämtern unterlegen seien.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Wir haben eine Bundeskanzlerin in Deutschland, eine Verteidigungs- und viele andere Ministerinnen, wir haben Ministerpräsidentinnen in den Ländern, wir haben weibliche Parteivorsitzende, aber insgesamt nimmt der Anteil der Frauen im Bundestag und im Landtag tendenziell ab. Ich habe mich darüber mit der CSU-Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär unterhalten und sie gefragt, ob es da nicht vielleicht sogar einen Zusammenhang gibt: Wir haben schon so viele Frauen, muss man doch eigentlich gar nicht mehr nachzählen inzwischen?
Dorothee Bär: Ja, es ist schon oft so, dass es dann heißt: Na ja, ihr habt doch schon eine Kanzlerin, was wollt ihr denn eigentlich noch? Also, die Sprüche gibt es natürlich auch. Und da gibt es natürlich auch einige, die meinen, man bräuchte jetzt endlich mal eine Männerquote. So was ist natürlich schon immer mal auch Gesprächsthema.
Kassel: Wenn man sich den jetzigen Bundestag anguckt, dann muss man schon Unterschiede feststellen: Die Partei Die Linke und die Grünen haben sogar ganz knapp mehr Frauen als Männer im Moment im Bundestag. Dann aber geht es bergab, und zwar in dieser Reihenfolge: Die SPD folgt – die schafft nicht mehr annähernd die Parität –, dann folgt die CDU und ganz am Schluss folgt Ihre Partei, die CSU. Tut die sich immer noch mit Frauen besonders schwer?

"Es gibt nicht so viele Frauen, die sich zur Verfügung stellen"

Bär: Erstens mal ist natürlich Quantität nicht gleich Qualität, das muss man natürlich vorausschicken an der Stelle. Aber in der Tat ist es so, dass unsere Partei eigentlich alle Direktmandate gewinnt, und bei den Direktmandaten kann man natürlich auch niemandem vorschreiben, wer in den einzelnen Wahlkreisen nominiert wird. Es ist natürlich wesentlich leichter, eine Parität hinzubekommen wie bei den Grünen, die kein einziges Direktmandat gewinnen, da kann man das natürlich über die Listen ganz, ganz anders hinmauscheln, als das dann direkt vor Ort auch in der Bevölkerung gewählt wird. Deswegen sind diese Vergleiche auch nicht ganz brauchbar, deswegen hinken die ziemlich.
Kassel: Na ja gut, aber andererseits, Frauen machen ja etwas mehr sogar als die Hälfte der Bevölkerung aus, daraus schließe ich jetzt mal: auch etwas mehr als die Hälfte der Wähler. Wollen die Frauen keine Frauen haben in der Politik oder zumindest nicht in Bayern?
Bär: Sagen wir mal so, es gibt ja auch nicht so viele Frauen, die sich zur Verfügung stellen auf so ein Direktmandat. Das ist natürlich auch meistens in einer Lebensphase, wo Frauen auch mit ganz viel anderem beschäftigt sind und sich dann tatsächlich dazu entscheiden, gerade wenn man aus einem Bundesland kommt, wo der Reichstag nicht direkt neben dem Wahlkreis liegt, wenn ich gerade mitten in der heißen Phase des Lebens bin, wo ich auf der einen Seite meine Familie habe, wo ich Kinder habe, Beruf habe, Ehemann habe im besten Fall und dann auch noch Ehrenämter auszufüllen habe, und dann soll ich aber auch noch mal in Kauf nehmen, montags bis freitags von der Familie, von Mann und Kindern getrennt zu sein? Das muss man erst mal wollen! Und da studiere ich halt lieber Grundschullehramt und bin auch halbtags zu Hause, damit ich halt noch mehr Zeit mit Familie und Kindern verbringen kann, wofür ich absolutes Verständnis habe.
Kassel: Ich auch, aber das würde natürlich zwei Schlüsse nahelegen: Schluss a, die Politik muss familienfreundlicher werden, das muss ja vielleicht auch gar nicht sein, dass man immer morgens um sechs den ersten Termin hat und abends um elf den letzten; und b, ja, ich meine, was ist die Lösung, dann muss halt der Mann zu Hause bleiben und die Frau macht Karriere in der Politik. Umgekehrt ist das ja Alltag.

Um freie Sonntagabende kämpfen

Bär: Na ja, aber erstens mal, finde ich, sollte man da den Familien nicht reinreden. Ich halte auch sehr viel davon, dass auch beide Eltern berufstätig sein dürfen. Es ist auch nicht so, dass dann eben der andere komplett aufs Berufsleben verzichten kann. Weil, egal wer verzichtet, in der Regel geht es nicht so wahnsinnig gut, wenn einer sein ganzes Leben lang zurücksteckt. Also, weder die Frau muss sich finanziell vom Mann abhängig machen, noch umgekehrt. Und auf der anderen Seite, der erste Punkt, den Sie angesprochen haben, der ist natürlich ein ganz wichtiger, zu sagen, wir brauchen eine größere Familienfreundlichkeit. Ich habe zumindest nach der Geburt des ersten Kindes darauf zu bestehen, wenn es nicht notwendig ist, also es kein Termin ist, der von Haus aus schon vorgegeben ist, zumindest am Sonntagabend frei zu haben. Und das klappt selbstverständlich nicht immer, im Sommer so gut wie nie, aber auch im Winter muss man das wahnsinnig verteidigen und seinen Ortsverbänden sagen: Ihr müsst keine Jahreshauptversammlung an einem Sonntagabend abhalten, dafür gibt es Montag bis Samstag und auch alle Zeiten der Welt. Aber da eine Kultur zu ändern, das dauert schon sehr, sehr lange.
Kassel: Haben Sie auch manchmal das Gefühl, in welcher Partei auch immer, versuchen, Frauen in der Politik doch so ein bisschen auszugrenzen, dass es da auf Parteiebene, auf Fraktionsebene, vielleicht auf einer ganz anderen Ebene so einen Männerklüngel gibt, wo doch vieles beschlossen wird inoffiziell, was dann Männern Optionen gibt, die Frauen dann nicht haben?
Bär: Sagen wir mal so, zumindest wird schon versucht, wenn eine Frau keine Kinder hat, ihr erst mal nahezulegen, dass man sie erst ernstnehmen kann, wenn sie denn welche hat. Und wenn sie denn welche hat, kann man sie auch nicht mehr erstnehmen, weil, dann hat sie ja Kinder. Also, das ist schon etwas, womit man einfach auch rechnen muss, worauf man sich auch einzustellen hat. Oder, wenn dann plötzlich ein Kind da ist und man möchte dann doch für bestimmte Ämter kandidieren, wenn dann Sprüche kommen wie: Oh Gott, denk doch auch mal an dein Kind! Ja, dann weiß man, warum man dann plötzlich sich um sein Kind kümmern soll und warum das Kind plötzlich ein Thema ist. Ja, das wird natürlich versucht, aber da haben Sie auch schon mit der Frage recht, das ist ehrlicherweise, wenn ich mich da mit Kolleginnen unterhalte, völlig egal, welche Partei oder welche Fraktion, das ist in allen Fraktionen gleich.

"Ein Posten, den ich unbedingt wollte"

Kassel: Sie waren auch mal familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion. Da frage ich mich: Das war ja früher immer so, wenn Frauen mal was machen durften, dann durften sie Familien-, Sozial- und Sportministerin oder Staatssekretärin werden und Ähnliches. Und wir erinnern uns an den guten alten Gerhard Schröder, der gesagt hat: Dann sind sie halt zuständig für das ganze Gedöns. Ist das nicht vielleicht fast problematisch, würden Sie fast sagen, das hätte ich in meiner Karriere vielleicht sogar lassen sollen, diese Funktion damals? Was heißt damals, das ist noch nicht lange her.
Bär: Ja gut, es war vor sieben, acht Jahren, als ich mich um den Posten wirklich aktiv auch beworben habe. Das war in meiner kompletten politischen Zeit der einzige Posten, den ich bekommen habe, den ich unbedingt wollte und um den ich auch tatsächlich gekämpft habe, ob Sie es glauben oder nicht. Das war ja schon in der dritten Periode im Bundestag und die ersten beiden hätten Sie mich reinprügeln müssen in den Familienausschuss, aber in der dritten Periode mit damals beginnend 2009 einem dreijährigen Kind war mir ganz wichtig, diese Sprecherfunktion ausfüllen zu dürfen. Habe dann auch – weiß nicht, ob das was mit dem Amt zu tun hat oder nicht – als familienpolitische Sprecherin noch zwei Kinder bekommen, was tatsächlich schwieriger gewesen wäre, wenn ich nicht diese Position gehabt hätte, was die Sprüche betrifft. Weil, einer familienpolitischen Sprecherin zu sagen, jetzt kriegt die Kind zwei und drei, das traut sich dann doch kaum jemand. Jetzt so im Verkehrsministerium weiß ich nicht, ob da die Begeisterung so groß gewesen wäre.
Kassel: Jetzt können Sie drei Autos fahren, da hätte man jetzt Verständnis für, solange es keiner von Diesel ist.
Bär: Und jetzt fahre ich Radtouren!
Kassel: Frau Bär, aber eine ernste Frage noch zum Schluss, denn ich finde, man kann über das Thema ja fast gar nicht reden, ohne auch auf Chancen und Nachteile von Quoten zu kommen. Die CSU hat ja auch, ich glaube, 2010/2011, hat man fast vergessen, auch eine Quote beschlossen.
Bär: Ja.
Kassel: Wie sehen Sie das denn, ist eine Frauenquote in Parlamenten, in Parteien, auch in der Wirtschaft natürlich, eine Chance? Oder ist das eher auch wieder so eine Form von positivem Vorurteil?
Bär: Also, man kann da leidenschaftlich pro und leidenschaftlich contra argumentieren. Für mich ist das einfach eine Krücke, die aber notwendig ist und damals auch ganz dringend notwendig war. Bei uns hieß es immer in der Partei, wenn jetzt um den Bezirksvorstand oder um den Parteivorstand Diskussionen waren: Ja, wir würden ja Frauen nehmen, aber wir haben ja gar keine. Und als dann plötzlich die Quote beschlossen war, hat man plötzlich die Sondersituation gehabt, dass nicht nur einige wenige da waren, sondern plötzlich so viele Frauen da waren, dass zum Beispiel wie vor ein paar Wochen auch beim letzten Bezirksparteitag auch ein paar Frauen rausgewählt werden, weil auch Frauen gegen Frauen kandidieren. Und plötzlich merkt man, dass unsere Bezirksvorstände, unser Parteivorstand wesentlich mehr so ein Abbild auch der Normalbevölkerung sind, weil eben fast die Hälfte Frauen sind. In meinem Heimatbezirk in Unterfranken ist sogar von Anfang an die Quote immer übererfüllt worden, da waren statt 40 schon immer gleich 50 Prozent. Und ich kann sagen, die Sitzungen gehen schneller und man kommt eher auf den Punkt!
Kassel: Franken sind halt keine Bayern, aber das ist wieder ein völlig anderes Thema, das Fass machen wir jetzt nicht auf, nicht im Wahlkampf!
Bär: Schön!
Kassel: Frau Bär, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und für Ihre Zeit!
Bär: Danke Ihnen, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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