Dorfhexe gegen den Rest der Welt
Valeria ist nicht mehr jung und hat nur Verachtung für die Bewohner ihres ungarischen Heimatdorfes übrig. Doch als sie sich in den Töpfer des Ortes verliebt, gerät alles durcheinander: Das eigene Leben und das der anderen.
Es passiert nun auch nicht alle Tage, dass sich ein junger Debütant aus Brooklyn ausgerechnet für ein ungarisches Dorf in den 90er Jahren als Schauplatz seines ersten Romans entscheidet.
Aber warum nicht. Auch in der ungarischen Steppe lassen sich große Geschichten erzählen. Und das gelingt Marc Fitten auch deswegen besonders gut, weil er selbst - gerade mal volljährig - 1993 nach Ungarn zog, um dort Schriftsteller zu werden. Er blieb, bis ihm die Ersparnisse ausgingen. Es sei nichts Romantisches daran, im ehemaligen Ostblock zu verhungern, schrieb er später.
Jahre später nun kommt sein erstes Buch zeitgleich in Europa und Amerika heraus. Fitten hat einiges mitgebracht aus seinen Jahren in dem postkommunistischen Land, das gerade eine bedrückende gesellschaftliche Krise durchlebt. Damals empfingen die Ungarn den Kapitalismus aber noch mit offenen Armen – die meisten jedenfalls.
Ins Zentrum seines Buches stellt Marc Fitten die wuchtige Valeria, eine Frau Ende 60, die im Ort gefürchtet ist. Die Dorfbewohner muss man mit Verachtung strafen, meint sie: "Alle werden sie dafür lieben".
Sie ist eine Menschenhasserin, eine griesgrämige, ständig fluchende Person, mit der niemand etwas zu tun haben will, deren Urteil auf dem Gemüsemarkt aber über Karrieren entscheiden kann. Wenn sie ein Gemüse lobt, dann hat der Standbetreiber ausgesorgt und kann die Preise erhöhen, wenn sie es niedermacht ("Hat Ihre Katze drauf gepisst?"), dann ist der Betreffende erledigt. "Sie ist ein zänkisches altes Miststück, aber sie ist nicht doof", sagt eine ihrer Widersacherinnen.
Aber das Eigentliche: Valeria ist alleine. Sie hat nicht mal einen Mann. Als sie noch jung war, wollte sie den Metzgersohn haben. Als der abwinkte, denunzierte sie ihn bis ins Arbeitslager. Doch nun – Jahrzehnte später - fällt ihr der verwitwete Töpfer ins Auge.
Sie beginnt plötzlich geblümte Kleider zu tragen und den Leuten zuzulächeln. Doch bis sie ihn wirklich bekommt - bis zu Valerias letztem Gefecht - liegen noch harte Kämpfe vor ihr.
Etwa mit der Kneipenbesitzerin des Dorfes, in deren anrüchigem Etablissement Schicksale entschieden werden. Oder mit einem unbekannten Schornsteinfeger, der nur Pech bringt, oder mit dem korrupten Bürgermeister und seinen Plänen für eine Bahnhofsattrappe. Oder mit dem untätigen Dorfpolizisten - und nicht zuletzt mit koreanischen Schein-Investoren.
Glücklich ist in diesem Roman niemand, nur jeder auf seine Weise unglücklich - der eine nimmt es mit Sarkasmus, der andere mit Aggressionen, der dritte betrinkt sich und viele passen sich einfach nur an und halten den Mund. Wirkliche Perspektiven hat dieses Dorf kaum, nur Geschichten, die man sich erzählt und die in diesem Roman zu finden sind.
Zugegeben: in der Mitte hängt Fittens Roman etwas durch. Die Geschichten drehen sich um sich selbst, man wartet auf das, was da hoffentlich noch kommen mag, bei Seite 150 von 290 hat man begriffen, wie das Dorf tickt. Jetzt muss etwas passieren. Und es passiert. Es kündigt sich langsam an, aber dann kommt es geballt.
Ganz zum Schluss brennen dem Autor die Sicherungen durch und das gibt dem Buch noch einmal das nötige Tempo. Mit einem riesigen Knall explodiert das gesamte soziale Gefüge des Dorfes und alles setzt sich neu zusammen.
Man möchte Marc Fitten danken für diesen zwar amüsanten und absurden, aber auch ziemlich bösen Roman, der uns am Ende dennoch versöhnt zurücklässt.
Besprochen von Vladimir Balzer
Marc Fitten: Valerias letztes Gefecht
Aus dem Englischen von Claudia Wenner
dtv, München 2009
300 Seiten, 14,90 EUR
Aber warum nicht. Auch in der ungarischen Steppe lassen sich große Geschichten erzählen. Und das gelingt Marc Fitten auch deswegen besonders gut, weil er selbst - gerade mal volljährig - 1993 nach Ungarn zog, um dort Schriftsteller zu werden. Er blieb, bis ihm die Ersparnisse ausgingen. Es sei nichts Romantisches daran, im ehemaligen Ostblock zu verhungern, schrieb er später.
Jahre später nun kommt sein erstes Buch zeitgleich in Europa und Amerika heraus. Fitten hat einiges mitgebracht aus seinen Jahren in dem postkommunistischen Land, das gerade eine bedrückende gesellschaftliche Krise durchlebt. Damals empfingen die Ungarn den Kapitalismus aber noch mit offenen Armen – die meisten jedenfalls.
Ins Zentrum seines Buches stellt Marc Fitten die wuchtige Valeria, eine Frau Ende 60, die im Ort gefürchtet ist. Die Dorfbewohner muss man mit Verachtung strafen, meint sie: "Alle werden sie dafür lieben".
Sie ist eine Menschenhasserin, eine griesgrämige, ständig fluchende Person, mit der niemand etwas zu tun haben will, deren Urteil auf dem Gemüsemarkt aber über Karrieren entscheiden kann. Wenn sie ein Gemüse lobt, dann hat der Standbetreiber ausgesorgt und kann die Preise erhöhen, wenn sie es niedermacht ("Hat Ihre Katze drauf gepisst?"), dann ist der Betreffende erledigt. "Sie ist ein zänkisches altes Miststück, aber sie ist nicht doof", sagt eine ihrer Widersacherinnen.
Aber das Eigentliche: Valeria ist alleine. Sie hat nicht mal einen Mann. Als sie noch jung war, wollte sie den Metzgersohn haben. Als der abwinkte, denunzierte sie ihn bis ins Arbeitslager. Doch nun – Jahrzehnte später - fällt ihr der verwitwete Töpfer ins Auge.
Sie beginnt plötzlich geblümte Kleider zu tragen und den Leuten zuzulächeln. Doch bis sie ihn wirklich bekommt - bis zu Valerias letztem Gefecht - liegen noch harte Kämpfe vor ihr.
Etwa mit der Kneipenbesitzerin des Dorfes, in deren anrüchigem Etablissement Schicksale entschieden werden. Oder mit einem unbekannten Schornsteinfeger, der nur Pech bringt, oder mit dem korrupten Bürgermeister und seinen Plänen für eine Bahnhofsattrappe. Oder mit dem untätigen Dorfpolizisten - und nicht zuletzt mit koreanischen Schein-Investoren.
Glücklich ist in diesem Roman niemand, nur jeder auf seine Weise unglücklich - der eine nimmt es mit Sarkasmus, der andere mit Aggressionen, der dritte betrinkt sich und viele passen sich einfach nur an und halten den Mund. Wirkliche Perspektiven hat dieses Dorf kaum, nur Geschichten, die man sich erzählt und die in diesem Roman zu finden sind.
Zugegeben: in der Mitte hängt Fittens Roman etwas durch. Die Geschichten drehen sich um sich selbst, man wartet auf das, was da hoffentlich noch kommen mag, bei Seite 150 von 290 hat man begriffen, wie das Dorf tickt. Jetzt muss etwas passieren. Und es passiert. Es kündigt sich langsam an, aber dann kommt es geballt.
Ganz zum Schluss brennen dem Autor die Sicherungen durch und das gibt dem Buch noch einmal das nötige Tempo. Mit einem riesigen Knall explodiert das gesamte soziale Gefüge des Dorfes und alles setzt sich neu zusammen.
Man möchte Marc Fitten danken für diesen zwar amüsanten und absurden, aber auch ziemlich bösen Roman, der uns am Ende dennoch versöhnt zurücklässt.
Besprochen von Vladimir Balzer
Marc Fitten: Valerias letztes Gefecht
Aus dem Englischen von Claudia Wenner
dtv, München 2009
300 Seiten, 14,90 EUR