Zum 100. Todestag der Komponistin Dora Pejačević

Die Suchende

Junge, gepflegte Frauenhände spielen Klavier.
Schon mit 12 Jahre notiert Dora Pejačević ihre erste Klavierkomposition. © Unsplash / Cristina Gottardi
Von Sylvia Roth · 03.03.2023
Die Kroatin Dora Pejačević war Komponistin an der Schwelle zur Moderne, immer zwischen den Welten: als Adlige verfolgte sie sozialistische Ideen, als freiheitsliebende Frau ging sie eine Ehe ein. Dabei war die Musik ihr Lebensweg, vom Klavier aus gestartet.
Ihr Weg gehörte der Musik, das war Pejačević alternativlos klar. Sie komponierte sowohl Kammermusik als auch Sinfonisches, führte ihre Werke mit großem Erfolg in der europäischen Konzertszene auf. Karl Kraus, Annette Kolb und Rainer Maria Rilke zählten zu ihrem Freundeskreis, intensiv verfolgte sie die künstlerischen Debatten ihrer Zeit. 1923, mit nur 37 Jahren, starb sie - und geriet viel zu lange in Vergessenheit. Am 5. März 2023 gedenkt die Musikwelt dem 100. Todestag des Komponistin.
In einem pittoresken Schloss im kroatischen Našice wird Dora Pejačević 1885 in eine einflussreiche Adelsfamilie hinein geboren. Der Vater ist ein führender Politiker, die Mutter engagiert sich als ausgebildete Sängerin im kroatischen Musikleben. Schon als Kind zeigt Dora Pejačević großen intellektuellen Hunger, frisst sich wissbegierig durch die Familien-Bibliothek.
Blick auf ein vom Barock geprägten Schloss mit gelben Putz und imposanten Eingangsbereich, gekrönt von einer großen Uhr.
Das Schloss Schloss Pejačević (Našice) ist heute ein Museum, in dem auch ausführlich an die Komponistin Dora Pejačević gedacht wird. © Unsplash / Zdenek Machácek
Zudem lernt sie viele Sprachen: Ungarisch, Deutsch, Englisch und Französisch. Sie spielt Theater, malt und dichtet. Aber die Musik steht über allem. Ganz früh erhält sie Klavierunterricht.

Auf zum Studium

Dora Pejačević wächst in der Zeit des Fin de Siècle auf, einer vielschichtigen künstlerischen Umbruchphase, die schillernd zwischen Jugendstil und Sezession schwebt, zwischen Impressionismus und Expressionismus. Die Vielfalt der Ausdrucksformen lockt Dora ins Ausland. Mit Anfang 20 setzt sie ihr Studium an den Konservatorien von Dresden und München fort.
Das reiche Kulturleben beider Städte gibt ihr entscheidende künstlerische Impulse: In Dresden werden Opern von Richard Strauss uraufgeführt, in München ist das Künstlerkollektiv „Blauer Reiter“ aktiv. Auch nach Bayreuth reist sie. Wagners Musik übte einen Sog auf sie auf, ihren hölzernen Komponierpavilion im heimischen Park nennt sie "Wahnfried".

Vom Klavier aus gestartet

Das Klavier ist das Instrument, auf dem Pejačević ihre ersten musikalischen Erfahrungen macht, das Klavier ist auch in ihren reiferen Werken häufig der Ausgangspunkt. Vom Zentrum Klavier aus erobert Pejačević sich auch verschiedene Kammermusikformen: Klaviertrios, Klavierquartette, Klavierquintette entstehen, auch dem Streichquartett widmet sie sich.

Der Erste Weltkrieg verändert vieles

Der Erste Weltkrieg ist ein großer Schock für Pejačević. Zeitweise hilft sie als freiwillige Krankenschwester in ihrem Heimatschloss Našice aus. Trotzdem komponiert sie intensiv. Einige ihrer besten Werke entstehen während des Kriegs.
Die Arbeit gibt ihr Sinn, sie verachtet die Aristokraten, die ihr privilegiertes Leben auch in Kriegszeiten unbeschwert fortsetzen. Immer entschiedener distanziert sie sich von ihrer Herkunft. Sie schreibt an die befreundete Komponistin Rosa von Lumbe: „Ich verstehe überhaupt nicht, wie man ohne Arbeit leben kann."

Verlust der Adelsposition

Mit dem Ersten Weltkrieg zerbricht das Habsburgerreich, Kroatien wird nun Teil eines neu gegründeten jugoslawischen Staats. Das feudale Pachtsystem wird abgeschafft, viele Großgrundbesitzer müssen ihre Ländereien an eine staatliche Aktiengesellschaft abgeben, auch die Familie Pejačević.
Dora Pejačević trauert nicht um die Verluste der Aristokratie, im Gegenteil: Sie beschäftigt sich mit der Revolution, liest Lily Brauns „Memoiren einer Sozialistin“ und Lektüre von Rosa Luxemburg.

Kompositionsschwerpunkt Lieder

Etwa 30 Lieder hat Pejačević geschrieben. Sie ziehen sich als Konstante durch ihr Schaffen. Bei den Versen greift sie auf Bekannte wie Unbekanntes und eigene Texte.
Auch Arnold Schönberg bekommt über Freunde die Lieder zu sehen. Er sähe in einer Frau zwar keine Schöpferin von Musik, kann sich den Werken aber nicht entziehen und empfiehlt 1916 doch eine Aufführung.

Endlich eine Sinfonie

Erst mit Ende 20, als reifere Künstlerpersönlichkeit, wagt sich Pejačević sich eine Ouvertüre für großes Orchester und eine Phantasia concertante. Kurz danach entsteht ihre Sinfonie in fis-Moll.
Kurz nach Fertigstellung der Sinfonie, 1918, werden zwei Sätze daraus im Wiener Musikverein aufgeführt, das Andante und das Scherzo. Absichtlich wird im Programmheft verheimlicht, dass die Sinfonie von einer Frau stammt, man will die Erwartungshaltung des Publikums nicht negativ ausrichten. Tosender Beifall ist die Resonanz.

Beinahe durchgestartet

1920 wird die gesamte Sinfonie in Dresden mit dem Dresdner Philharmonischen Orchester uraufgeführt. Das Werk wird so positiv besprochen, dass auch der Dirigent Arthur Nikisch Interesse an einer Aufführung äußert und die Sinfonie auf das Konzertprogramm seines Leipziger Gewandhausorchesters setzt. Doch Nikisch stirbt kurz vor dem anberaumten Termin. Erst 2022, genau hundert Jahre nach Nikischs Tod, hat das Leipziger Gewandhausorchester die Aufführung nachgeholt.
Für Pejačević wäre dieses Dirigat ein Sprung auf der Karriereleiter gewesen. Ob dieser Rückschlag ihre schwere Schaffenskrise auslöst, ist unklar. Sie sich zurück, denn sie kämpft mit einer Schreibblockade.

Die Freunde sind schockiert

In diesem Augenblick trifft sie eine für alle überraschende Entscheidung: Vier Tage nach ihrem 36. Geburtstag heiratet sie Ottomar von Lumbe, den Bruder ihrer Freundin Rosa von Lumbe.
Selbst die engsten Freunde haben damit nicht gerechnet. Zu unkonventionell und ungebunden hat Pejačević bis dahin gelebt. Bald nach der Hochzeit wird Pejačević schwanger. Im Januar 1923 bringt Pejačević in einer Münchner Frauenklinik ihren Sohn Theo zur Welt. Wenige Wochen später stirbt sie an den Folgen der Geburt, nur 37 Jahre alt.

Wiederentdeckung

Seit den 1990er Jahren hat in Kroatien die Wiederentdeckung von Pejačević begonnen. Inzwischen ist sie zentrale Figur kroatischen Musikgeschichte anerkannt, ist sogar zum kroatischen „Markenzeichen“ geworden. Es gibt ein Dora-Parfum und einen Dora-Sekt; bei der kroatischen Vorauswahl zum Eurovision Song Contest erhalten die jeweiligen Gewinner eine Statuette namens Dora.
Auch außerhalb Kroatiens taucht ihr Name zunehmend in Konzertprogrammen auf. Zum hundertsten Todestag am 5. März 2023 sind in Deutschland mehrere Aufführungen geplant, auch ein Dokumentarfilm läuft in den Kinos an. Pejačevićs Werke kehren immer stärker ins Leben zurück.

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