Doppelter Außenseiter
Im Jahr 1908 wird in Chicago ein junger jüdischer Einwanderer namens Lazarus Averbuch, ein vermeintlicher Anarchist, erschossen. Ein Jahrhundert später lässt Aleksandar Hemon seinen Ich-Erzähler, einen bosnisch-amerikanischen Schriftsteller, den Spuren des Lazarus in Osteuropa nachgehen. Der Roman besticht durch seinen bitter-komischen Erzählton, den sarkastischen und auch selbstironischen Blick des doppelten Außenseiters auf Chicago und Sarajewo.
Es hat ihn wirklich gegeben: Lazarus Averbuch, den jungen jüdischen Einwanderer, der am 2. März 1908 von Chicagos Polizeichef in Panik erschossen wurde, als angeblicher Anarchist und Attentäter. Doch der Junge war offenkundig unschuldig - ein Opfer der amerikanischen Immigranten-Furcht und Anarchisten-Hysterie jener Jahre.
Ein tragisches Opfer zudem: Denn der junge Averbuch war als halbes Kind den russischen Pogromen in Kischinew, Bessarabien, entgangen und vor den Judenverfolgungen in seiner Heimat in die USA geflohen - nur, um dort am Rassismus amerikanischer Prägung zugrunde zu gehen.
Aleksandar Hemon, der serbisch-bosnische Emigrant aus Sarajewo, der seit Beginn der Balkankriege 1992 in Chicago lebt, macht diesen historischen Fall von kollektiver politischer Hysterie zum Thema seines neuen Romans, indem er ihn auf doppelte Weise im Heute spiegelt und den historischen Mordfall mit der Gegenwart verschränkt.
Einerseits zieht Hemon Parallelen zwischen dem Anarchisten-Wahn von damals und der Dschihadisten- und Islamisten-Furcht im heutigen Amerika - beide Hysterien zeitigen ähnlich kopflose Überreaktionen; andererseits lässt er seinen Helden und Ich-Erzähler Vladimir Brik, einen bosnisch-amerikanischen Schriftsteller, den Spuren des Lazarus Averbuch in Osteuropa nachgehen, in Moldawien und der Bukowina.
Dieser Gegenwarts-Erzählstrang ist als Recherche-Fahrt für Briks geplantes Buch-Projekt "Lazarus" angelegt, erweist sich aber zunehmend als osteuropäische Schtetl-Wallfahrt, wie sie seit einigen Jahren besonders bei jüdisch-amerikanischen Autoren zum beliebten Sujet geworden ist, im Gefolge von Jonathan Safran Foer und Gary Shteyngart.
Diesmal allerdings sind es zwei balkanische Schlawiner aus Sarajewo, die gemeinsam durch ein besonders schräges, finsteres und rückständiges Osteuropa gondeln - Vladimir Brik und sein wiedergefundener Freund aus Kindertagen, der Fotograf Rora.
Beide fühlen sich entwurzelt und sind als Emigranten in den USA noch nicht heimisch geworden - kein Wunder, denn der Faulpelz und Träumer Brik ist ebenso wenig geneigt, sich ins amerikanische Arbeits-Ethos zu integrieren wie der Aufschneider, Lügner und Luftikus Rora. Beide mogeln sich in den USA so durch und erkennen während einer Stippvisite in Sarajewo, zum Teil unter tragischen Umständen, wohin sie eigentlich gehören.
Mag sein, dass der historische und der heutige Erzählstrang des Romans nicht immer ganz triftig miteinander verfugt sind. Der Roman besticht aber durch seinen bitter-komischen Erzählton, den sarkastischen und auch selbstironischen Blick des doppelten Außenseiters auf Chicago und Sarajewo. Die Osteuropa-Fahrt der beiden Männerfreunde legt Hemon als bizarres Road-Movie an, als sehr heutige Variante zum alten Schelmenroman.
Rezensiert von Sigrid Löffler
Aleksandar Hemon: Lazarus
Roman,
aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein,
mit Fotografien von Velibor Bozovic,
Knaus Verlag, München 2009,
351 Seiten, 19,95 Euro
(erscheint am 30. Januar 2009)
Ein tragisches Opfer zudem: Denn der junge Averbuch war als halbes Kind den russischen Pogromen in Kischinew, Bessarabien, entgangen und vor den Judenverfolgungen in seiner Heimat in die USA geflohen - nur, um dort am Rassismus amerikanischer Prägung zugrunde zu gehen.
Aleksandar Hemon, der serbisch-bosnische Emigrant aus Sarajewo, der seit Beginn der Balkankriege 1992 in Chicago lebt, macht diesen historischen Fall von kollektiver politischer Hysterie zum Thema seines neuen Romans, indem er ihn auf doppelte Weise im Heute spiegelt und den historischen Mordfall mit der Gegenwart verschränkt.
Einerseits zieht Hemon Parallelen zwischen dem Anarchisten-Wahn von damals und der Dschihadisten- und Islamisten-Furcht im heutigen Amerika - beide Hysterien zeitigen ähnlich kopflose Überreaktionen; andererseits lässt er seinen Helden und Ich-Erzähler Vladimir Brik, einen bosnisch-amerikanischen Schriftsteller, den Spuren des Lazarus Averbuch in Osteuropa nachgehen, in Moldawien und der Bukowina.
Dieser Gegenwarts-Erzählstrang ist als Recherche-Fahrt für Briks geplantes Buch-Projekt "Lazarus" angelegt, erweist sich aber zunehmend als osteuropäische Schtetl-Wallfahrt, wie sie seit einigen Jahren besonders bei jüdisch-amerikanischen Autoren zum beliebten Sujet geworden ist, im Gefolge von Jonathan Safran Foer und Gary Shteyngart.
Diesmal allerdings sind es zwei balkanische Schlawiner aus Sarajewo, die gemeinsam durch ein besonders schräges, finsteres und rückständiges Osteuropa gondeln - Vladimir Brik und sein wiedergefundener Freund aus Kindertagen, der Fotograf Rora.
Beide fühlen sich entwurzelt und sind als Emigranten in den USA noch nicht heimisch geworden - kein Wunder, denn der Faulpelz und Träumer Brik ist ebenso wenig geneigt, sich ins amerikanische Arbeits-Ethos zu integrieren wie der Aufschneider, Lügner und Luftikus Rora. Beide mogeln sich in den USA so durch und erkennen während einer Stippvisite in Sarajewo, zum Teil unter tragischen Umständen, wohin sie eigentlich gehören.
Mag sein, dass der historische und der heutige Erzählstrang des Romans nicht immer ganz triftig miteinander verfugt sind. Der Roman besticht aber durch seinen bitter-komischen Erzählton, den sarkastischen und auch selbstironischen Blick des doppelten Außenseiters auf Chicago und Sarajewo. Die Osteuropa-Fahrt der beiden Männerfreunde legt Hemon als bizarres Road-Movie an, als sehr heutige Variante zum alten Schelmenroman.
Rezensiert von Sigrid Löffler
Aleksandar Hemon: Lazarus
Roman,
aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein,
mit Fotografien von Velibor Bozovic,
Knaus Verlag, München 2009,
351 Seiten, 19,95 Euro
(erscheint am 30. Januar 2009)