Doppelte Karriere

Von Martin Böttcher · 10.12.2011
Künstler wie Charlie Parker und Chet Baker haben das Klischee des talentierten, aber letztendlich gebrochenen Jazzmusikers geprägt. Eine ganz andere Art von Jazzmusiker wird heute 70 Jahre alt: Der Schweizer Trompeter Franco Ambrosetti. Geschätzt für sein voluminöses und feuriges Trompetenspiel - und gleichzeitig auch als Industrieller erfolgreich.
"Good Evening, Ladies and Gentlemen, welcome to the Blue Note. This time we would like to welcome Franco Ambrosetti and his quintet!”"

Er hat schon so ziemlich überall gespielt, der Trompeter - und Flügelhornspieler Franco Ambrosetti. Auch im New Yorker Blue Note, einem der bekanntesten Jazz-Clubs. 70 Jahre ist Ambrosetti jetzt alt - und er kann nicht auf eine, sondern auf mindestens zwei Karrieren zurückblicken: Als Künstler und als Unternehmer.

""Ich wollte eigentlich Jazzmusiker werden. Hätte ich nicht eine Fabrik gehabt, wäre ich nie auf die Idee gekommen, eine Fabrik anzufangen."

Ambrosetti, am 10. Dezember 1941 in Lugano geboren, wuchs als Sohn des Saxophonisten und Fabrikanten Flavio Ambrosetti auf. Erst lernte er das Klavierspielen, dann das Trompete- und später auch Flügelhornspiel. Am Anfang spielte er vor allem in den Mailänder Jazzclubs, Mitte der 60er-Jahre gründete er in Zürich seine eigene Band, studierte daneben auch noch Wirtschaftswissenschaften in Basel - kritisch beäugt vom Vater, dessen Reifen- und Fahrgestellfabrik er später übernahm:

"Klar ist der Vater sicherlich der härteste Lehrer, weil er sehr viel besser als die anderen weiß, als die anderen, was du kannst und ob du wirklich willst und er weiß, er kann dich mehr herausfordern und die anderen sind natürlich toleranter gegenüber einem jüngeren Musiker, der da kommt, und der Vater ist nicht so tolerant und das ist natürlich eine härtere Lehre, aber dafür auch die bessere."

Manager und Jazzmusiker, das ist eine ungewöhnliche Paarung. Jazz, das war lange Zeit die Musik, die von ihren Protagonisten nicht nur gespielt, sondern gelebt wurde. Die bekanntesten Jazzmusiker hatten mit Drogensucht oder Geldsorgen oder beidem zu kämpfen. Nebenbei auch noch ein Unternehmen zu leiten beziehungsweise neben einem stressigen Beruf auch noch ernst zu nehmende Musik zu spielen, wäre bei ihnen undenkbar gewesen. Für Franco Ambrosetti dagegen die ideale Paarung, wie er vor Jahren in einem Interview sagte:

"Man hat die Musik in sich und man kann als Musiker auch ein Manager sein, wenn du eine Fabrik hast. Oder eine Bank oder was weiß ich. Umgekehrt ist das nicht so gut möglich, denn man kann nicht Manager sein und Musiker, wenn man das Talent nicht hat. Aber eigentlich ist das der Idealfall und nicht nur, weil man sich um Geld keine Sorgen machen muss. Wenn du das nicht jeden Tag machen musst, sondern als freie Wahl, dann hast du doch. Diese Riesenfreude ist doch wahrscheinlich das, was mit der Zeit als Berufsmusiker verloren geht."

Ein paar Stationen aus dem Leben des professionellen Amateurs Franco Ambrosetti: 1964 spielte er Aufnahmen mit seinem langjährigen Freund und Bandkollegen George Gruntz ein. 1966 erhielt er beim Internationalen Jazz-Wettbewerb in Wien den ersten Preis. 1967 der erste Auftritt in den USA - mit der Band seines Vaters, der er bis 1970 angehörte - wenige Jahre später gründete er gemeinsam seinem Vater, George Gruntz und Daniel Humair "The Band", mit der er regelmäßig auftrat. Amerikanische Jazzer, die nach Europa kamen, lernten den Autodidakten schätzen - Ambrosetti spielte mit Dexter Gordon, Cannonball Adderley, Mike Stern, Dave Holland und vielen anderen.

"Bandleader und Managertyp sind sehr verwandt. Es ist lustig, wenn man Parallelen zieht zwischen Big Band und Fabrik, zum Beispiel. Der Leadtrumpeteer ist ein Meister. Das gilt für Saxofon und Posaune ebenso. Der Bandleader ist der Direktor, er ist der Direktor einer Art Fabrik, nur fabriziert man etwas anderes, man fabriziert Musik."

Franco Ambrosetti wurde lange Zeit als einer der besten modernen Hard-Bop-Trompeter Europas gehandelt. Etliche Eigenkompositionen gibt es von ihm, auch Filmmusiken, wie etwa für die "Die Reise” von Markus Imhof. Nach wie vor tritt er auf, das Familienunternehen aber verkaufte er im Jahr 2000, um sich ganz der Musik widmen zu können. Die Erfahrungen in der eigenen Firma aber dürfte er nicht vergessen - haben sie doch seine Art, Musik zu machen, stark geprägt.

"Erstens kennst du die Welt von der anderen Seite, das heißt, du bist ein Arbeitnehmer, das ist wichtig. Zweitens hast du einen Teamgeist, den du ansonsten nicht hast, wenn du von der Universität hast. Und das kommt durch den Jazz sehr in den Vordergrund, dieser Teamgeist, diese demokratische Einstellung. Das Gleiche gilt natürlich auch in der Firma, dann hast du mit Leuten zu tun, die du anspornst in den Sachen, in denen sie am stärksten sind - ähnlich wie bei einer Jamsession."