Doppelrollen-Dilemma

Was Väter emanzipationsfaul macht

Ein Vater beim Spielen mit seinem Kind.
Ein Vater mit seinem Kind: Vielen Männern treibt die Vorstellung von der sogenannten aktiven Vaterschaft immer noch Angstschweiß auf die Stirn, meint Dieter Thomä. © picture alliance / dpa
Von Dieter Thomä · 03.05.2017
Der Anteil voll berufstätiger Mütter verharrt seit zehn Jahren im Keller, stellt Dieter Thomä fest. Die Väter zögen unverändert ihren Stiefel durch, auch weil Politik und Wissenschaft das Teilzeitmodell immer nur als Doppelbelastung darstellten, kritisiert der Philosoph. Er selbst habe das ganz anders erfahren.
Auf manche ist einfach Verlass. Auf die deutschen Väter zum Beispiel. Sie rackern sich ab. Sie sorgen für Frau und Kinder. Sie sind berufstätig. Genauer gesagt: voll berufstätig. Noch genauer: In Deutschland sind 83 Prozent der Väter von Kindern unter drei Jahren voll berufstätig. Das ist heute so wie vor zehn Jahren.
Auch auf die deutschen Mütter ist Verlass. Sie kümmern sich um die Kinder. Sie arbeiten ein bisschen nebenbei, aber bitte nicht zu viel. Genauer gesagt: In Deutschland sind 10 Prozent der Mütter von Kindern unter drei Jahren voll berufstätig. Das war vor zehn Jahren übrigens auch genauso. Und sie bewegt sich doch – nicht? Die deutsche Familie…
Die genannten Zahlen – gerade veröffentlicht vom Statistischen Bundesamt – passen nicht zu der Aufbruchsstimmung im Heim und am Herd. Diese allgemein verbreitete Stimmung ist besser – oder jedenfalls anders – als die Lage. Die Väter ziehen ihren Stiefel durch, gehen früh aus dem Haus und kommen spät heim.

Es braucht Geduld im Familien- und Generationenspiel

Dafür haben sie gute Gründe – aber mit diesen guten Gründen verhält es sich so wie mit guten Äpfeln. Sie werden auf die Dauer faul.
Okay: Kürzertreten im Beruf ist oft nicht drin, weil die Arbeitgeber beim Wort Teilzeit auf Durchzug schalten. Okay: Kürzertreten geht oft nicht, wenn die Männer die Hauptverdiener sind. Ihre Leistung muss sich lohnen für die Liebe – und für diese kleinen Wunschmaschinen, von denen der Geldbeutel leer und das Herz voll wird. Okay: Der Lebens-Wandel, der Wandel von Lebensformen läuft nicht so schnell wie die Aktualisierung eines Betriebssystems. Angestammte Geschlechterrollen tauscht man nicht an der Garderobe aus. Es braucht Geduld im Familien- und Generationenspiel.
Aber muss es denn soooo langsam zugehen hier in Deutschland? Nein. Ansetzen muss man bei einem Grund, einem Hinter-Grund, der Väter dazu treibt, sich faul auf all jenen Gründen auszuruhen, die sie im Beruf festhalten.

Man hat nicht nur eine, sondern zwei Baustellen

Vielen Männern treibt die Vorstellung von der sogenannten aktiven Vaterschaft immer noch den kalten Angstschweiß auf die Stirn. Das Weichei-Image droht. Der Horror am Herd. Vielleicht auch der Fall in die Bedeutungslosigkeit des häuslichen Alltags, der Abschied vom Heldentum draußen in der großen, weiten, harten Welt.
Die Väter beißen auch nicht an bei dem Kompromissprogramm, das von den Müttern vielfach praktiziert wird – es heißt: Teilzeit. Ihr Zögern hängt wohl mit den seltsamen Rechenspielen zusammen, die mit diesem Wort getrieben werden. Man tut das eine halb und das andere halb – also beides halbherzig? Man hat nicht nur eine, sondern zwei Baustellen, ist hin- und hergerissen, hier wie dort gefragt, gefordert, überfordert?

Rhetorik der Doppelbelastung

Es sieht so aus, als wäre dieses Doppelleben mit einem Grauschleier überzogen. Das Teilzeit-Programm wird gekoppelt an die Vorstellung, dass man sich zwischen Arbeit und Familie aufreibt. Dauernd hört man von der Doppelbelastung – und wie sie gelindert wird. Von der Erziehungsarbeit – und wie sie gerecht verteilt wird. Es klingt so, als ginge es bei dieser Lastenverteilung darum, wer wie oft das Klo putzt. Es klingt so, als wäre die Zeit mit Kindern eine Qual. Ehrlich gesagt: Wenn ich dieser Rhetorik der Doppelbelastung je geglaubt hätte, dann wäre für mich die Sache klar gewesen: Erwerbstätigkeit – nichts wie her damit, volle Kanne!
Weil all die verständnisvollen Familienpolitiker und -forscher immer nur von Doppelbelastung reden, geht ihr Schuss nach hinten los. Sie stellen das Familienleben als Pflichtprogramm dar – und wer mag schon die Pflicht, wenn es auch die Kür gibt? Zum Glück bin ich auf diese Rhetorik nicht hereingefallen, und so kann ich ein süßes, kleines Geheimnis lüften: Die Zeit mit Kindern ist eine heiße Zeit. Eine Hochzeit des Lebens. Das Doppelleben in Beruf und Familie verspricht Doppelerfüllung.

Dieter Thomä, geboren 1959 in Heidelberg, volontierte an der Henri-Nannen-Journalistenschule, studierte Philosophie in Freiburg und Berlin und ist – nach Stationen in New York, Berlin und Essen – Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen Sozialphilosophie, politische Philosophie, Ethik und Kulturphilosophie.

Der Schweizer Philosophieprofessor Dieter Thomä.
© picture alliance/dpa/Karlheinz Schindler
(abr)
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