Doppelgänger vor der Midlifecrisis
In der Komödie dient die Verstellung, die Verkleidung nicht selten dem schlichtesten Antrieb der Komik. In der Operette ist Karnevaleskes darum häufig nur Mittel zum Zweck. Christof Loy hingegen – der an der Oper Frankfurt nun eine neue „Fledermaus“ herausgebracht hat – macht die Verstellung selbst zum Thema dieser aberwitzigen Geschichte auf dem Ball des Prinzen Orlowsky.
Loy legt seinen Fokus auf die vielen Doppelgängerschaften in diesem Stück und lotet damit aus, was es heißt, für eine bestimmte Zeit in einem geschützten Raum eine andere Identität anzunehmen.
Darum beginnt für Christof Loy in Frankfurt die Geschichte der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauss in der pompös ausstaffierten Villa des Grafen Orlowsky. Der (gesungen von dem Countertenor Martin Wölfel) nimmt gerade Gesangsstunden bei dem Täubchen-Tenor Alfred; und wenn er das nicht tut, ennuyiert er sich in hohem Falsett hingegossen auf einer Chaiselongue. Wölfel wobbelt mit seinem hohen Diskant dekadent lustig von Sprechszene zu Singszene und legt damit die Messlatte der Komik schon von Beginn an recht hoch.
Das Fest in diesem mit champagnerfarbener Seidentapete ausgelegten Salon (Bühne: Herbert Murauer) ist in vollem Gange – auch Gabriel von Eisenstein (die Oper Frankfurt hat dafür extra den Bariton Christian Gerhaher eingekauft) ist dabei und will sich als Marquis Renard aus der Menge der Geladenen eine der „Ballettratten“ wählen. Dass es am Ende seine eigene Frau ist, mit der er unwissend fremdgeht, treibt die Sache auf die pikante Spitze, die sein Freund Dr. Falke vor Augen hatte, als er sich diesen Plan überlegte, um eine offene Rechnung mit Eisenstein zu begleichen.
Christof Loy stellt damit die Originaldramaturgie der Operette komplett um: Am Anfang und damit im Zentrum steht also der Ball des Prinzen Orlowsky. Diese ausgelassene Szenerie wird jedoch immer wieder durchbrochen von Szenen aus dem Hause Eisenstein, die wie erinnerte Situationen – Flashbacks – in das Ballgeschehen hineingeschnitten werden, so als komponiere Loy hier einen real auf der Bühne gespielten Spielfilm. In dieser Collage vermittelt sich peu à peu, warum diese feine Gesellschaft diesem Gabriel von Eisenstein eigentlich an den Kragen will. Loy versucht auf diese Weise, die doch eher komplizierte Geschichte über die „Rache der Fledermaus“ zu entwirren und auf den Punkt zu bringen, außerdem umschifft er damit die Langsamkeit und Langeweile, die sich mitunter im 1. Akt des Originals breitmacht: Er geht gleich in media res.
Diese dramaturgische Finte hilft dem Regisseur natürlich auch, sein spezielles Konzept der Doppelgängerschaft zu exponieren. Denn die multiplen Identitäten entfalten sich ja erst auf dem Ball hopplahopp: Gabriel von Eisenstein wird zu Marquis Renard, seine Gattin Rosalinde gibt sich als ungarische Gräfin aus, Adele, das Stubenmädchen, verwandelt sich in eine Künstlerin. Das ist nicht nur komisch, sondern eine Art Experiment, das Christof Loy hier vorführt: diese feine Gesellschaft – alles Menschen knapp vor der Midlifecrisis – spielt einen Abend lang jemand anderes. Man nimmt eine andere Identität an, man lotet die Grenzen dieses anderen Ichs aus, mit allem, was dazugehört: mit den Lügen, den schönen Fantasien, den Illusionen, dem skrupellosen So-tun-als-ob und den 1000 Möglichkeiten, die sich einem plötzlich auftun. Indem sich Eisenstein, Rosalinde (Barbara Zechmeister) und Adele (Britta Stallmeister) komplett neu erfinden, haben sie für einen kurzen Moment ihres Lebens die Chance, „ihren Traum zu leben“. Die Komik entsteht hier an den Reibungsflächen der beiden Ichs. Eben weil niemand sich komplett neu erfinden kann, gibt es zwar ein neues Ich im Kopf als wundervolle Chimäre. In der Wirklichkeit funkt aber leider das alte Ich immer wieder gehörig dazwischen.
All das funktioniert in Frankfurt nur, weil die Sängerinnen und Sänger sich in dieser nie den Klamauk streifenden Inszenierung wirklich komisch gerieren und dazu geradezu mühelos singen. Britta Stallmeisters und Barbara Zechmeisters Koloraturhöhenschwünge (man bewegt sich ja ausgesprochen häufig im Bereich des dreigestrichenen „d") sind so unangestrengt in ein turbulentes, temporeiches Spiel eingebaut, dass man vergisst, wie schwierig diese Arien eigentlich doch sind. Christian Gerhaher, dem lange schon der Ruf des feinsinnigen, introvertierten Liedinterpreten anhaftet, zeigt mit seiner subtilen, unbeholfen dahinstolpernden Komik geradezu Heinz-Erhardt-Qualitäten. Martin Wölfel, der den Prinzen Orlowsky singt und auch den Gefängnisgehilfen Frosch spielt, ist unübertroffen in dieser Doppelrolle. Als Orlowsky vermittelt sich die Komik ausschließlich durch seinen grotesk wirkenden Gesang. Als Frosch versteht sich Wölfel auf artistische Komik: Fallen, Schliddern, Umkippen – das wirkt!
Das alles passiert auf dem satt dahinfließenden Klang eines ausgelassen musizierenden Orchesters, das sich auf süßeste Wiener Streicherklänge versteht, auf effektvolles Bläserspiel konzentriert, ohne je die Bühne des eleganten Auftritts zu verlassen. Sebastian Weigle und Christof Loy spielen Hand in Hand, und das Publikum: amüsiert sich.
Darum beginnt für Christof Loy in Frankfurt die Geschichte der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauss in der pompös ausstaffierten Villa des Grafen Orlowsky. Der (gesungen von dem Countertenor Martin Wölfel) nimmt gerade Gesangsstunden bei dem Täubchen-Tenor Alfred; und wenn er das nicht tut, ennuyiert er sich in hohem Falsett hingegossen auf einer Chaiselongue. Wölfel wobbelt mit seinem hohen Diskant dekadent lustig von Sprechszene zu Singszene und legt damit die Messlatte der Komik schon von Beginn an recht hoch.
Das Fest in diesem mit champagnerfarbener Seidentapete ausgelegten Salon (Bühne: Herbert Murauer) ist in vollem Gange – auch Gabriel von Eisenstein (die Oper Frankfurt hat dafür extra den Bariton Christian Gerhaher eingekauft) ist dabei und will sich als Marquis Renard aus der Menge der Geladenen eine der „Ballettratten“ wählen. Dass es am Ende seine eigene Frau ist, mit der er unwissend fremdgeht, treibt die Sache auf die pikante Spitze, die sein Freund Dr. Falke vor Augen hatte, als er sich diesen Plan überlegte, um eine offene Rechnung mit Eisenstein zu begleichen.
Christof Loy stellt damit die Originaldramaturgie der Operette komplett um: Am Anfang und damit im Zentrum steht also der Ball des Prinzen Orlowsky. Diese ausgelassene Szenerie wird jedoch immer wieder durchbrochen von Szenen aus dem Hause Eisenstein, die wie erinnerte Situationen – Flashbacks – in das Ballgeschehen hineingeschnitten werden, so als komponiere Loy hier einen real auf der Bühne gespielten Spielfilm. In dieser Collage vermittelt sich peu à peu, warum diese feine Gesellschaft diesem Gabriel von Eisenstein eigentlich an den Kragen will. Loy versucht auf diese Weise, die doch eher komplizierte Geschichte über die „Rache der Fledermaus“ zu entwirren und auf den Punkt zu bringen, außerdem umschifft er damit die Langsamkeit und Langeweile, die sich mitunter im 1. Akt des Originals breitmacht: Er geht gleich in media res.
Diese dramaturgische Finte hilft dem Regisseur natürlich auch, sein spezielles Konzept der Doppelgängerschaft zu exponieren. Denn die multiplen Identitäten entfalten sich ja erst auf dem Ball hopplahopp: Gabriel von Eisenstein wird zu Marquis Renard, seine Gattin Rosalinde gibt sich als ungarische Gräfin aus, Adele, das Stubenmädchen, verwandelt sich in eine Künstlerin. Das ist nicht nur komisch, sondern eine Art Experiment, das Christof Loy hier vorführt: diese feine Gesellschaft – alles Menschen knapp vor der Midlifecrisis – spielt einen Abend lang jemand anderes. Man nimmt eine andere Identität an, man lotet die Grenzen dieses anderen Ichs aus, mit allem, was dazugehört: mit den Lügen, den schönen Fantasien, den Illusionen, dem skrupellosen So-tun-als-ob und den 1000 Möglichkeiten, die sich einem plötzlich auftun. Indem sich Eisenstein, Rosalinde (Barbara Zechmeister) und Adele (Britta Stallmeister) komplett neu erfinden, haben sie für einen kurzen Moment ihres Lebens die Chance, „ihren Traum zu leben“. Die Komik entsteht hier an den Reibungsflächen der beiden Ichs. Eben weil niemand sich komplett neu erfinden kann, gibt es zwar ein neues Ich im Kopf als wundervolle Chimäre. In der Wirklichkeit funkt aber leider das alte Ich immer wieder gehörig dazwischen.
All das funktioniert in Frankfurt nur, weil die Sängerinnen und Sänger sich in dieser nie den Klamauk streifenden Inszenierung wirklich komisch gerieren und dazu geradezu mühelos singen. Britta Stallmeisters und Barbara Zechmeisters Koloraturhöhenschwünge (man bewegt sich ja ausgesprochen häufig im Bereich des dreigestrichenen „d") sind so unangestrengt in ein turbulentes, temporeiches Spiel eingebaut, dass man vergisst, wie schwierig diese Arien eigentlich doch sind. Christian Gerhaher, dem lange schon der Ruf des feinsinnigen, introvertierten Liedinterpreten anhaftet, zeigt mit seiner subtilen, unbeholfen dahinstolpernden Komik geradezu Heinz-Erhardt-Qualitäten. Martin Wölfel, der den Prinzen Orlowsky singt und auch den Gefängnisgehilfen Frosch spielt, ist unübertroffen in dieser Doppelrolle. Als Orlowsky vermittelt sich die Komik ausschließlich durch seinen grotesk wirkenden Gesang. Als Frosch versteht sich Wölfel auf artistische Komik: Fallen, Schliddern, Umkippen – das wirkt!
Das alles passiert auf dem satt dahinfließenden Klang eines ausgelassen musizierenden Orchesters, das sich auf süßeste Wiener Streicherklänge versteht, auf effektvolles Bläserspiel konzentriert, ohne je die Bühne des eleganten Auftritts zu verlassen. Sebastian Weigle und Christof Loy spielen Hand in Hand, und das Publikum: amüsiert sich.