Doppel-Ausstellung

Gepresste Sägespäne, die langsam zerbröseln

Eine Museumswärterin steht vor einer Glasskulptur der deutschen Künstlerin Kitty Kraus in der Kestnergesellschaft in Hannover.
Glasskulptur der deutschen Künstlerin Kitty Kraus. © picture alliance / dpa / Jochen Lübke
Von Anette Schneider · 13.12.2013
Plastikfolie, Make-up oder Nagellack - Karla Black erkundet ungewöhnliche Materialien. Kitty Kraus weiß mit minimalistischen Formen und vermeintlich harmlosen Alltagsgegenständen zu verstören.
Auf den ersten flüchtigen Blick sieht man - nichts. Guckt man genauer, erkennt man in den beiden Sälen des Obergeschosses hunderte transparenter Tesafilm Streifen. In dichten Reihen hängen sie von der acht Meter hohen Decke. Straff bis auf den Boden gespannt, versah Karla Black einige von ihnen mit pastellfarbenen Fingerabdrücken aus Lidschattenpulver.
Hinter diesem filigranen Gespinst liegt in einem der Säle in einer Ecke noch eine gut ein Meter hohe Kugel aus gepressten Sägespänen, die langsam zerbröseln wird, und an einer Wand hängen drei merkwürdige Gebilde, die entfernt an Steinreliefs erinnern.
Da Karla Black - wie auch Kitty Kraus - keine Rundfunkinterviews gibt, erklärt Kuratorin Susanne Figner die Szenerie:
"Sie selber sagt, es ist nicht so wichtig, was für ein Material es ist, sondern es geht vor allem um ihren Ausdruck. Und was interessant dabei ist, ist, dass verschiedene Materialien verschiedene Qualitäten haben für sie: Das ist zum Beispiel, wenn man Kreide benutzt und damit Bastelpapier bemalt, sieht es aus wie Leder. Oder Schaumstoff, wie hier in diesem Raum, mit Lidschatten eingerieben, sieht ein bisschen aus wie Stein. Also es ist ein Spiel mit Materialien."
Fettspuren auf Zellophan
So hängen in einem Gang einige große, zerknitterte Zellophan-Bahnen mit zarten Farbspuren. Zerknittert hat sie Karla Black, indem sie in ihrem Atelier mit nackten Füßen über das Material lief. Dadurch hinterließ sie Fettspuren auf dem Zellophan, die wiederum Make-up und andere Farben aufnehmen.
"Man kann das fast als Malerei bezeichnen, aber es ist eben auch eine Performance. Das heißt: Ihr Körper ist immer auch direkt involviert, obwohl man das vielleicht auf den ersten Blick nicht sieht. Und das ist mit einer sehr instinktiven Art und Vorgehensweise verbunden."
Nur: Das Spiel mit ungewöhnlichen Materialien ist nicht neu. Und: Hier verpufft es nach dem ersten Überraschungseffekt doch ziemlich schnell. Vielleicht ist es genau das, was die 41-Jährige momentan für Kunstmarkt und Museen so attraktiv macht: Ihr Anliegen - falls sie eines hat - ist derart verklausuliert, dass sich niemand von klaren, womöglich beunruhigenden Aussagen gestört fühlen muss.
So interpretieren einige Kuratoren und Kritiker Blacks Arbeiten wegen der Verwendung von Kosmetika als feministisch, andere verweisen auf Momente des Vergänglichen, wieder andere auf den Arbeitsprozess oder auf die sich in den Farben und den aufwendigen Inszenierungen ironisch spiegelnde Maskerade unserer Zeit. Letztendlich können die Inszenierungen alles bedeuten - und nichts.
Ganz anders ist das bei den Arbeiten von Kitty Kraus: Auf dem glatten Fußboden eines großen Raumes liegt eine fünf Meter lange schmale Glasscheibe. Ein Ende der Scheibe hat Kitty Kraus 30 Zentimeter nach oben gebogen, und darunter eine zweite, gefährlich schrägstehende Glasscheibe gestellt. Kraus zwingt hier das uns so vertraute Material Fensterglas in eine Spannung, die jeden Moment zerspringen kann, und die sich unmittelbar auf den Betrachter überträgt.
"Die Leute trauen sich gar nicht nah ran. Dabei hatten wir die ganze Zeit nur die Sorge, dass gleich der erste Besucher reinläuft, die Arbeit nicht sieht und zerstört, was natürlich fatal wäre für die Ausstellung."
Schön und bedrohlich
Oft nutzt die 37-Jährige klare, minimalistische Formen für ihre Arbeiten, die sie mit Störfaktoren versieht, die angebliche Gewissheiten in Frage stellen: Ob ihre Glasarbeiten, die Verbindung von Eis und Elektrizität, ob aus einer Wand ragende, aggressiv um sich selbst rotierenden Griffe von Einkaufswagen - die Arbeiten ziehen einen an und stoßen ab. Sie sind schön und bedrohlich. Sie faszinieren und bereiten tiefes Unbehagen.
"Genau in diesem Spannungsfeld sind viele Arbeiten von Kitty Kraus angesiedelt: Auf der einen Seite sind sie sehr leicht zerstörbar. Und auf der anderen Seite können sie auch verletzen, also anderes zerstören, oder für uns eine Gefahr sein."
Anders als bei Karla Black ist bei Kitty Kraus nichts nur Spielerei oder Materialerkundung. Es ist auch nichts beliebig interpretierbar. Ihre Arbeiten verweisen stets darauf, dass man jenseits vorherrschender Sichtweisen - auch politischer - die Dinge noch ganz anders sehen kann, dass also - auch politisch - ganz anderes möglich ist. Am Eindrucksvollsten wird das in der Arbeit sichtbar, die im großen Hauptsaal zu sehen ist: In dem abgedunkelten Raum stehen in einem Abstand von etwa sechs Metern zwei schlichte Podeste. An ihrem obersten Rand fällt durch einen schmalen Spalt ein Streifen Licht. Dieser Lichtstreif wirft auf die Wände des Saals eine schmale Schattenlinie. Das ist faszinierend. Das ist verstörend. Das ist die Umkehrung aller Gewissheiten.
Und, so Antonia Lotz:
"Auch da noch einmal dieser Moment der Verweigerung, oder, wie ich es empfinde, dass die Künstlerin Arbeiten schafft, die wie leise Revolutionen sind."
Mehr zum Thema