"Dopingsünder haben kein Unrechtsbewusstsein"

Moderation: Matthias Thiel und Carsten Burtke · 18.08.2007
Im Kampf für einen sauberen Sport fordert Frank Busemann auch konsequente Reaktionen vom Publikum. Der Antidopingvertrauensmann des Deutschen Olympischen Sportbundes sagte im Deutschlandradio Kultur: "Ein Weltmeister muss bei seiner Ehrenrunde nicht immer beklatscht werden." Darüber hinaus verlangte Busemann schärfere Strafen und die Einführung eines Straftatbestandes des Sportbetruges.
Deutschlandradio Kultur: Frank Busemann, auf welche Frage sind Sie in Ihrem Leben eigentlich immer wieder angesprochen worden?

Frank Busemann: Wat, so lange ist das schon her? Kann ich jetzt speziell gar nicht sagen. Es sind viele Fragen, die mir oft bekannt vorkommen, aber nie langweilig werden.

Deutschlandradio Kultur: Es gab da eine Frage, und zwar: "Who is Busemann?" fragt der Zehnkampfweltrekordler Dan O'Brian 1996. Nach Ihrer olympischen Silbermedaille wusste er dann, wer Busemann ist. Mit den 8.706 Punkten von Atlanta haben Sie damals ihren besten Zehnkampf geliefert. Ein Jahr später wurden Sie WM-Dritter in Athen und zuvor auch schon Juniorenweltmeister im Hürdensprint. Sind es diese Erfolge, für die es sich zu quälen lohnt?

Busemann: Das auf jeden Fall. Ich habe immer gedacht, der zweite Platz bei Olympia, das ist nur so eine Durchgangsstation. Irgendwann stehe ich mal ganz oben auf dem Treppchen. Das sollte jetzt letztendlich nicht sein. Ich habe alles ausprobiert. Aber trotz alledem, wenn ich zurückgucke, gucke ich da mit Stolz drauf und vergesse auch diese ganzen Verletzungen, die mich immer wieder zurückgeworfen haben. Es war einfach eine tolle Zeit.

Deutschlandradio Kultur: Genau, diese Verletzungen und die gesundheitlichen Probleme waren es ja, die Sie dann zum Rücktritt vom Leistungssport bewogen haben. Damals haben Sie gesagt, das sei Ihr größter Sieg. War es der Sieg über den eigenen Ehrgeiz?

Busemann: Ja, das auf jeden Fall. Ich konnte mir selber nicht vorstellen, wie das Leben nach dem Sport aussieht. Ich glaube, das ist auch das Problem ganz, ganz vieler Sportler, dass die den Horizont da noch nicht eröffnet habe, dass die das wirklich als Chance sehen, das Kapitel Sport zuschlagen und mit was Neuem anfangen. Meine Freunde, Familie, die konnten das auch alle gar nicht verstehen, als ich dann mit 28 gesagt habe, bis hier hin und nicht weiter, das Kapitel ist beendet und jetzt geht es auf einem ganz anderen Pfad weiter.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir mal beim Zehnkampf. Die Zehnkämpfer gelten als die Könige der Athleten. Was zeichnet diese Menschen, diese Sportler aus? Ehrgeiz, Verrücktheit oder der unbedingte Wille, seine Grenzen zu überschreiten?

Busemann: Ich glaube, von allem so ein bisschen. Das sind ja die Vielseitigkeitsakrobaten. Die müssen von allem ein bisschen können. Das ist auch der Vorwurf des Spezialisten – ihr könnt alles so ein bisschen, aber nix richtig. Es ist halt die Qual über zwei Tage. Man muss sich mit sehr, sehr vielen Anforderungen auseinandersetzen. Den perfekten Zehnkampf hat es noch nicht so ganz oft auf dieser Welt gegeben. Dementsprechend konfrontiert man sich auch immer mit so ein bisschen – weiß nicht – Missmanagement oder mit irgendwelchen negativen Erlebnissen, die innerhalb dieser zwei Tage auftauchen. Deshalb fängt der Zehnkampf auch erst mit 25, 26, 27 Jahren an, weil man dann genug Erfahrungen hat, diese ganzen Rückschläge in den zwei Tagen zu verarbeiten und in Energie umzusetzen.

Deutschlandradio Kultur: Deswegen quälen Sie sich heute noch so gern und laufen Marathon?

Busemann: Ja, es ist so eine Ader in mir. Ich weiß auch nicht, wie ich da dran gekommen bin. Aber ich wurde dann hier gefragt, ob ich nicht Botschafter bei uns in der Region werden wollte. Das ist so was total Abstruses, Abwegiges gewesen, dass ich einen Marathon laufe. Deshalb bin ich da sehr, sehr schnell oder sehr gerne für zu haben gewesen. Und als ich das Zehnkampfkollegen erzählt habe, sagten im ersten Gedankengang, das schaffst du nie, im zweiten Gedankengang, du bist ja bekloppt, du schaffst es doch.

Deutschlandradio Kultur: Verrückt sollen Sie ja eigentlich schon mit drei Jahren gewesen sein. Damals, so heißt es, sind Sie schon um die Bahn gerannt. Oder mit neun sind Sie dann 1,40 m hoch gesprungen. War es ihr eigener Antrieb, das zu machen, oder war doch ein bisschen Druck aus dem Elternhaus dabei?

Busemann: Nee, Druck nie, weil das geht dann langfristig immer in die Hose. Mit 15, 16, 17, wenn man so langsam in die Pubertät kommt – ich war ein bisschen spät dran –, sagt man dann auch: Wenn ich immer nur getriezt werde, dann ist das nicht meine Bestimmung. Ich habe wettkampfmäßig erst mit Fußball begonnen, habe zu Boris Beckers Zeiten mit zehn Jahren dann auf einmal hauptsächlich Tennis gespielt. Meine Eltern haben mich natürlich auf meinem Weg begleitet, haben mich sehr früh im Sportverein angemeldet, waren ja beide aktive Leichtathletiktrainer und auch Leichtathleten. Dementsprechend konnten sie mir da sehr viel sehr spielerisch auch nahe bringen, haben mich aber nie dazu gezwungen. Es war immer diese Eigenmotivation, dieser Eigenantrieb, das Perfekte aus dem Körper rauszuholen, was man dann ja auch sehr schnell merkt, wenn man mit neun oder zehn Jahren noch nicht so ganz viele Wettbewerbe verloren hat.

Deutschlandradio Kultur: Dann muss man auch die Niederlagen verarbeiten. Olympiagold und Weltrekorde sind Ihnen versagt geblieben. Wie verarbeitet man diese Niederlagen?

Busemann: Im ersten Moment denkt man, man ist der ärmste Fisch im ganzen Teich. Aber man muss es ja mal wirklich so sehen: Zweiter bei den Olympischen Spielen, da muss man sich dann drauf besinnen und sagen, das war auch toll. Es sollte natürlich mehr werden. Mit 21 Jahren am Saisonhöhepunkt, das will keiner haben. Dementsprechend kann ich mir ja nichts vorwerfen. Ich habe alles versucht, gemacht, getan. Und dementsprechend weiß ich, diese 8.706 das sollte meine Leistungsgrenze sein. Damit kann ich mich dann auch anfreunden, weil ich mir keine Vorwürfe machen kann. Das ist ja auch das Schöne am Sport, dass es nicht vorhersagbar ist und ich jetzt nicht weiß, wenn ich mal Kinder in die Welt setze, ob die dann in 25 Jahren Olympiasieger werden. Da würde man beim englischen Buchmacher ja reich werden.

Deutschlandradio Kultur: Deswegen trainieren Sie heute Manager, frei nach dem Motto, Erfolgsprinzipien des Sports können auch in der Wirtschaft genutzt werden. Jetzt verraten Sie mir doch mal die Ähnlichkeit zwischen dem olympischen Zehnkampf und dem Big Business.

Busemann: Ich glaube, das ist die große Kunst, auch mal über den Tellerrand zu blicken. Genauso wie ich von vielen, vielen Leuten, mit denen ich nicht tagtäglich zu tun habe, lernen kann, bilde ich mir ein, dass da gewisse Parallelen sind. Und diese Rückschläge, die ich gerade angesprochen habe, die treffen jeden Arbeitnehmer, jede Führungskraft, jeden Topmanager. Es ist einfach so: Danach wieder aufzustehen, sich das zunutze zu machen und das Positive an der Sache zu sehen, obwohl das in der Situation selber, in der Verletzung selber, in dem Nichtbekommen des Vertrages oder des Auftrages, natürlich ätzend, nervig ist. Das muss man nicht Schönreden, aber trotz alldem muss man die Lehren daraus ziehen und gucken, was man da rausziehen kann. Und diese Motivation, mit der man jeden Tag von Neuem dieser Sache nachgeht, die das Leben bestimmt, die ist auch sehr, sehr wichtig.

Deutschlandradio Kultur: Das verstehe ich schon, aber machen wir es doch mal konkret. Inwieweit hat Weitsprung was mit Selbstverantwortung oder Kugelstoßen mit Kreativität zu tun?

Busemann: Wir haben das Kugelstoßen z.B. auf meine Technikumstellung umgemünzt. Das Problem war, dass ich einfach nicht mehr weitergekommen bin, in so einer Sackgasse drin war. Das wird auch jeder an sich im Berufsleben mal festgestellt haben, dass es Situationen gibt, wo es einfach hakt. Da muss man eben gucken, wenn ich zu einem bestimmten Ziel, was ich mir vorgenommen habe, nicht komme, liegt das jetzt an mir, liegt es an den Rahmenbedingungen oder gibt es Mittel und Wege, die bisher noch nicht bedacht waren, da neue Wege zu gehen?

Deutschlandradio Kultur: Herr Busemann, seit einem Jahr haben Sie nun eine ganz andere Aufgabe. Sie sind Antidopingvertrauensmann des Deutschen Olympischen Sportbundes. Welche Aufgaben haben Sie da? Beraten Sie Dopingsünder?

Busemann: Vor einem Jahr war die Idee einfach da, weil beobachtet wurde, dass selbst überführte Dopingsünder nicht mit der Wahrheit ans Licht wollen. Die decken ihre Hintermänner. Die Idee war einfach, weil beobachtet wurde, dass Doping immer in abgeschlossenen Netzwerken stattfindet, dass diesen Leuten die Möglichkeit gegeben wird, vielleicht den Schritt nach draußen in den sauberen Sport zu wagen, eine externe Anlaufstelle zu haben, der sie ihr Leid klagen, ihre Probleme schildern können und zusammen einen Weg suchen, sauberen Sport zu machen. Letztendlich ist keiner gekommen, aber es gibt eben auch verschiedene Schwachstellen in diesem System, das wir da angeboten haben. Aber nichtsdestotrotz mussten wir es einfach ausprobieren.

Deutschlandradio Kultur: Also ist Ihre Funktion letztendlich doch nur so was wie eine Feigenblattfunktion?

Busemann: Ich will es nicht unbedingt sagen. Es hätte natürlich auch sein können, da werden mir jetzt andere widersprechen, die sich dann in Korruptionssachen und so auskennen, das war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber diese Beobachtung war gemacht worden. Wir hatten nicht den Anspruch daran, dass wir zwei Leute dieses Dopingproblem jetzt in den Griff bekommen. Es sollte eine kleine Hilfestellung sein, um wieder einen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Es ist nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben – aus diversen Gründen.

Deutschlandradio Kultur: Woran hat es gehakt? Hat z.B. die Zusammenarbeit mit den Sportverbänden nicht funktioniert? Haben Sie da Zugang? Finden Sie bei denen überhaupt Gehör?

Busemann: Das denke ich schon. Also, es gibt ein paar Probleme. Das eine Problem ist, dass wir als Nichtanwälte, als Nichtärzte eben diese Verschwiegenheitspflicht, wie sie nötig wäre, nicht 100-prozentig gewährleisten können. Ein weiteres Problem ist, dass Dopingsünder – so ist es aus meiner Sicht beobachtet worden – kein Unrechtsbewusstsein haben. Sie nehmen die erste Pille, zweite Pille und sagen, na ja, vielleicht werde ich ja erwischt. Aber wenn es dann gut geht, sinkt die Hemmschwelle. Und Dopingsünder oder Dopingkonsumenten haben nicht den Eindruck, dass sie was Verbotenes tun. Dementsprechend, weil sie auch nicht erwischt werden, haben sie einfach diesen Antrieb nicht, da dran was zu ändern. Und wenn es zu spät ist, wenn sie überführt wurden, wenn sie erwischt wurden, dann ist Holland in Not und dann ist es natürlich zu spät.

Deutschlandradio Kultur: Nun sind wir mal ganz ehrlich. Spielte Doping in Ihrer Karriere eine Rolle? War das zu Ihren damaligen Spitzensportzeiten auch schon ein Thema – für Sie persönlich?

Busemann: Für mich persönlich eigentlich nicht, weil das Problem, ob ich zu Dopingmitteln greife oder nicht, das wird viel, viel eher festgelegt. Das wird nicht mehr mit 20 oder 21 festgelegt. Deshalb ist die heutige Aufgabe eben auch, in der Generation vor dem Doping die Werte zu verankern. Und da hatten mir meine Eltern so viel Selbstvertrauen, so viel Werte mit in die Wiege gelegt, sage ich jetzt einfach mal so, dass das im Grunde genommen kein Thema war. Ich hatte unmittelbar vor Atlanta eben einen Anruf, wo mir jemand Dopingmittel offensichtlich angeboten hatte, weil er sagte, für eine Nahrungsumstellung im Wert von 500 bis 5.000 Mark im Monat kann ich Ihnen eine Medaille garantieren. Glücklicherweise hat mein Vater dieses Gespräch da abgefangen und hat ihn auch sehr, sehr schnell abgewürgt, weil das kann nicht legal sein. Für 5.000 Mark Möhren essen und schneller werden, das schafft noch nicht mal ein Bugs Bunny. Aber da muss man eben gucken, dass man die Leute so sensibilisiert, dass sie wissen, es wird sich nachher auszahlen, sauber seinem Sport nachzugehen.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben es damals nicht genommen. Trotzdem gab es damals, gibt es heute bei der Leichtathletik Dopingfälle. Was ist das für ein Gefühl? Wenn man ahnt, neben einem läuft jemand, der hat garantiert gedopt, der kommt gerade mal zum Wettkampf, ansonsten verschwindet er wieder im Nichts, wie geht man damit um?

Busemann: Als Athlet darf man sich da nichts anmerken lassen. Dieses Problem ist für einen Athleten nicht existent. Ich muss in den Block kriechen und sagen, links und rechts neben mir sind sieben Athleten, die vollkommen sauber sind. So gehe ich an den Start. Sonst kann ich nicht mein Maximum rausholen. Wenn ich immer sage, der ist gedopt und der ist gedopt, dann bringe ich sowieso nur 95 % meiner eigentlichen Leistungsfähigkeit und habe somit schon die erste Ausrede parat. Und das ist ja dann Kokolores. Ich habe das jahrelang verdrängt, verdrängen wollen und bin dann ein bisschen hinten rübergefallen, muss ich ganz ehrlich gestehen, wie naiv ich in der Zeit war, was um mich rum passierte. Aber den Sportler, der aufrichtig seinem Sport nachgeht, den darf das nicht interessieren.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben es eben angesprochen, für 5.000 Mark gibt’s eine Medaille. Sind denn Weltrekordleistungen heute überhaupt noch von Wert, wenn man sie sich quasi nur für 5.000 Mark erkaufen kann?

Busemann: Ach, ich sehe das immer so aus einer anderen Perspektive. Ich habe den Sport ausgeübt. Ich habe feststellen können, was für Leistungen möglich sind. Ich behaupte von mir, dass ich nichts genommen habe, aber das behauptet jeder Leistungssportler von sich. Deshalb muss man die Aussagen auch immer mit Vorsicht genießen. Aber ich glaube da dran, dass es möglich ist, auch sauber einen Weltrekord aufzustellen. Inwieweit das jetzt im Topbereich dann wirklich so ist, ob da einer gedopt ist, der einen Weltrekord aufgestellt hat, oder eben andersrum, dass nur einer da war, der Weltrekorde aufstellt, als er sauber war, das vermag ich nicht zu sagen. Aber ich glaube daran und ich weiß es, dass es möglich ist, sauber Weltrekorde aufzustellen – vielleicht nicht in der einen oder anderen Disziplin, das muss man auch mit Vorsicht genießen, das sieht man ja auch in der Vergangenheit. Ich will jetzt keiner Disziplin auf den Schlips treten, aber jetzt speziell in der Leichtathletik, die Wurfdisziplin der Frauen, schon lange her, dass da Weltrekorde aufgestellt wurden. Und plötzlich mit Vermehrung der Dopingkontrollen ist da wirklich ein krasser Leistungseinbruch da gewesen. Deshalb liegt der Schluss nahe, dass da ein Zusammenhang besteht.

Deutschlandradio Kultur: In dem Zusammenhang sagen ja auch einige Fachleute, dass diverse Rekordleistungen nicht mehr zu erreichen sind. Ist der Point of no Return erreicht?

Busemann: Das Problem ist: Wir könnten natürlich alles jetzt einfrieren und sagen, die ganzen Weltrekorde zählen jetzt ab 2007 oder 2008 von neuem. Trotz alledem werden diese Leistungen immer da drüber schweben. Es ist schon zur Zeit ein sehr großes Problem mit dem Sport. Das muss man ganz klar sagen. Nicht nur die Rekorde, beim Radfahren gibt’s keine Rekorde, trotzdem haben wir da ein massives Dopingproblem. Da muss ein Umdenken in der Gesellschaft, im Wertesystem stattfinden, dass Dopingsünder in dem Sinne auch – ich will es mal hart sagen – geächtet werden, dass die dann nicht nach so einer gewissen Zeit, nach einer Woche, nach drei Wochen, nach sechs Monaten oder so, wieder irgendwo auftauchen und für einen Sieg beklatscht werden, sondern dass sie ihnen ganz klar gemacht wird, das war nicht richtig, was du damals gemacht hast.

Deutschlandradio Kultur: Sie sprechen die Gesellschaft an. Ist unser Medaillenzählen auch ein Fehler in dem Zusammenhang?

Busemann: Das ist immer ein Problem. Auf der einen Seite wollen wir natürlich diese Medaillen haben, ganz klar. Das macht ja auch einen Riesenspaß und es wird auch immer gesagt, lieber ein sauberer Achter als ein gedopter Erster. Trotz alledem ist es momentan problematisch. Weil, wem soll man glauben? Wenn einer ins Ziel kommt, Dritter wird und sagt, ich bin aber sauber, das sagen alle anderen auch. Und wenn man hinterher läuft und sagt, man ist sauber, dann glaubt man dem, aber das freut keinen. Es ist ein gewisser Anspruch da. Es wird ja auch oftmals bemängelt, dass die Normen für Olympia und für Weltmeisterschaften usw. zu hoch sind. Aber so ein gewisser Anspruch muss einfach da sein und der ist ja auch möglich. Man muss immer klarmachen, dass Leistungssport auch ohne Doping möglich ist.

Deutschlandradio Kultur: Fachleute sagen, Spitzenleistungen sind nur noch pharmazeutisch zu erreichen. Dahinter steht ein System. Das systematische Doping schließen die Handballer z.B. für sich aus. Da sagen sie generell, das gibt’s bei uns nicht. Gehört aber nicht der Schluck aus der Schmerzmittelflasche vor jeder Halbzeit, weil eben die Schmerzen so hoch sind, nicht auch schon zum unsauberen Teil? Wo würden Sie da die Grenzen ziehen?

Busemann: Die Grenzen sind ja ganz klar festgelegt. Da gehört der Schluck aus der Schmerzflasche nicht dazu. Wenn es so wäre, dass das verboten wäre, dann würden sie das auch nicht machen. Und in dem Sinne wird halt immer gesagt, wenn man eine Schmerztablette nimmt oder eine Aspirin, dann ist das der erste Schritt zum Doping. Aber ich sehe das immer so aus einer anderen Perspektive. Dementsprechend, wenn man es überspitzt formulieren wollte, dürfte man dann eben auch nicht mehr atmen, weil das die Leistung auch natürlich steigert. Es ist ganz klar abgegrenzt, bis wohin man gehen darf. Das wird leider Gottes auch immer ausgenutzt. An diese Grenzen wird ja auch heran gedopt. Das ist ja dann auch ein weiteres Problem. Aber mit Schmerzpillen oder so was kann man natürlich nicht...

Deutschlandradio Kultur: … es ist doch verwunderlich, dass die Grenzwerte für bestimmte Blutwerte eben gesenkt werden und dann kommen die Sportler und haben auch die niedrigeren Blutwerte. Läuft man da nicht dem wissenschaftlichen Fortschritt hinterher und ist völlig machtlos?

Busemann: Wenn man es kritisch beurteilen muss, ja, weil die Doper natürlich mit Sachen rumtricksen, da kann sich der ehrliche Funktionär, der ehrliche Sportler noch überhaupt kein Bild drüber machen, was da überhaupt zur Zeit abgeht. Auch diese Folgen, die daraus entstehen können, es wird ja immer mit neuem Zeug rumgetrickst. Da ist das Problem, die Dimension einfach abschätzen zu können, weil alles, was dahingehend getan wird, ist ein Missbrauch. Deshalb ist es ja auch verboten.

Deutschlandradio Kultur: Der Sport hat erst vor kurzem verhindert, dass der Gesetzgeber einen Straftatbestand des Sportbetrugs einführt. Wie bewerten Sie das? Wäre es nicht besser, einen Staatsanwalt als Abschreckung einzuführen, also mit dem Staatsanwalt zu arbeiten?

Busemann: Das fände ich gut, also, auch wenn ich jetzt gegen die Meinung mancher Funktionäre da anrenne. Aber der Sport hat ja gezeigt, dass er es alleine nicht in den Griff kriegt. Wenn wir jetzt diese große Chance gehabt hätten, mit dem Staat zusammen da an einem Strang zu ziehen, wäre das ein Riesenschritt in die richtige Richtung gewesen. In manchen Ländern wird es natürlich auch schon durchgeführt und es wird gezeigt, dass es fruchtbare Erfolge trägt. Deshalb ist es ein bisschen schade, aber zur Zeit sind alle sensibilisiert und haben hoffentlich ein Interesse daran, dass was in die richtige Richtung unternommen wird.

Deutschlandradio Kultur: Die Strafen reichen nicht aus. Was verlangen Sie? Müssen erwischte Dopingsünder lebenslang gesperrt werden?

Busemann: Ja, ich denke schon. In einer zweijährigen Sperre oder so, da behaupten ja böse Zungen, in der Zeit hauen die sich richtig voll und kommen dann frisch gestählt wieder auf den Platz und ziehen alle ab. Es muss schon abschreckend sein. Weil, nach zwei, drei fetten Jahren hat ein Sportler im Grunde genommen ausgesorgt, wenn er die richtige Disziplin hat, die richtige Sportart. Da wirken zwei Jahre eher wie ein verlängerter Urlaub. Und dann müsste man noch gucken, ob man die überführten Dopingsünder nicht am Schadenersatzanspruch an Veranstaltern, an Gegner usw. beteiligt, dass sie es wirklich zu spüren bekommen und da eine abschreckende Maßnahme ist.

Deutschlandradio Kultur: Also auch Sporthilfe zurückzahlen?

Busemann: Ganz genau.

Deutschlandradio Kultur: Was das systematische Doping betrifft, sind ja nicht immer nur die Sportler anzusprechen, sondern die Funktionäre, die Trainer spielen da eine große Rolle. Wenn man das alles zusammenfasst, wie sinnvoll ist denn da noch eine Sportförderung, bei der man nicht weiß, wen da gerade fördert? Sollte sich der Staat da nicht lieber aus dieser Sportförderung zurückziehen?

Busemann: Ich sage es immer so ganz pathetisch: Wenn ein einziger Sportler dabei sein sollte, der das sauber macht, dann hat er es verdient, unterstützt, gefördert und gefeiert zu werden. In dem Sinne müssen wir in den sauren Apfel beißen, dass wir immer am Ball bleiben, dass wir niemals aufgeben gegen Doping zu kämpfen. Dieser saubere Sport ist einfach was ganz, ganz Tolles. In dem Sinne müssen Leute unterstützt werden, die dieser Sache, die ihrem Talent mit besonderen Fähigkeiten dann nachgehen wollen, und haben es dann eben auch verdient.

Deutschlandradio Kultur: Warum wird eigentlich weiter von den Verbänden verheimlicht und vertuscht? Für eine sinnvolle Trainingskontrolle müssen sich die Spitzensportler bei der nationalen Antidopingagentur melden, wo sie sich jeweils aufhalten, an welchem Ort sie sich gerade befinden. Von 400 Fällen nicht aufgeklärter Dopingüberprüfung letztes Jahr sind immerhin jetzt noch über 100 offen, also diese 100 "No-Shows" und "Miss-Tests" werden im Grunde genommen nicht richtig aufgeklärt. Wer verheimlicht da und warum?

Busemann: Vorab möchte ich mich mal auf die Seite derer schlagen, die nicht angetroffen werden. Bei manchen muss es auch nicht böse Absicht sein. Da hat die Oma dann auf einmal Geburtstag oder die haben Durchfall, gehen dann nicht zum Training oder trainieren dann....

Deutschlandradio Kultur: Entschuldigung, Herr Busemann, dass ich Ihnen widerspreche. Das ist natürlich richtig. Es gibt immer Fälle, die so passieren. Aber wenn z.B. André Niklaus, der Zehnkämpfer, sagt, er ist am Wochenende wieder da und dann könnt ihr mich ja überprüfen, dann hat das nichts mehr mit dem Besuch bei der Oma zu tun.

Busemann: Das stimmt schon. Oftmals müssen die ja auch zwei, drei Monate vorher anmelden, wo sie sind. Das ist sehr, sehr schwer abzuschätzen. Da muss dann im Einzelfall immer geklärt werden, weil das ja jetzt sehr, sehr große Konsequenzen nach sich zieht, wie ist es entstanden? Und wenn 100 Fälle noch offen sind, dann weiß ich nicht, inwieweit die da schon vorgedrungen sind, ob sie das jetzt im Sande verlaufen lassen wollen, was natürlich sehr schade wäre, oder ob sie an der Aufklärung noch wirklich interessiert sind und das dann eben ein bisschen mehr Zeit in Anspruch nimmt. Da muss man dann immer sehr vorsichtig sein. Klar, wenn einer fünfmal nicht angetroffen wird, dann, muss ich sagen, besteht da böse Absicht. Aber wenn es ein paar mal passiert, mein Gott, das sind Menschen und keine Computer.

Deutschlandradio Kultur: Viele der Namen, die da eine Rolle spielen, tauchen in der Öffentlichkeit entweder gar nicht auf oder wesentlich später erst. Was hielten Sie in dem Zusammenhang von einer so genannten "schwarzen Liste"? Da setzt man diejenigen rauf, die vier-, fünf-, sechsmal im Jahr nicht angetroffen wurden, und dann schaut man einfach mal, wie die Reaktion ist. Wenn es dann mal eine Erklärung gibt, ich war beim Geburtstag der Oma, o.k., aber fünfmal oder sechsmal ist so ein Geburtstag im Jahr nicht.

Busemann: Ganz genau, so groß ist die Familie nicht. Wäre gar nicht schlecht, weil wir haben nun mal das Problem, dass der Sportler auch so eine gewisse Bringschuld hat. Es wird sehr, sehr viel von ihm verlangt, aber das gehört eben zu seinem Job, wie es zum Manager gehört, dass er jeden Morgen da um 7.00 Uhr antritt. Aus diesem Grund wäre es zu überlegen, so öffentliche Maßnahmen irgendwie einzurichten, dass der Sportler sich überlegt: Eh, wenn ich jetzt Mist mache, das kriegt nicht nur hier der unmittelbare Funktionär mit, der es vielleicht, weil er mir wohlgesonnen ist, untern Tisch fallen lässt, sondern das kriegen noch sehr, sehr viel mehr mit. Da muss man in jegliche Bereiche Überlegungen anstellen dürfen, um da sinnvoll irgendwie weiterzukommen.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch mal allgemein beim Doping. Es heißt immer wieder, das Problem ist das System. Es sind die Hintermänner, die Doping ermöglichen. Es sind die Funktionäre, die weggucken. Heißt das, der Fisch stinkt vom Kopf? Was muss mit dem Apparat passieren?

Busemann: Ja, das ist das ganz große Problem. Das haben wir ja letztes Jahr versucht, vielleicht da neue Denkansätze in die richtige Richtung zu bringen, indem man mal externe Anlaufstellen ermöglicht. Das Problem ist, dass immer Leute am anderen Strang ziehen und nicht alle auf der einen Seite des sauberen Sports stehen und ein geschlossenes Interesse dasteht, sauber Sport zu machen. Manchmal fehlt so die allerletzte Konsequenz, dass man richtig hart vorgeht, das durchsetzt. Momentan wird ja sehr viel gemacht. Das muss man ganz klar sagen. Dann bleibt natürlich kritischerweise anzumerken, warum hat man das nicht schon eher gemacht? Die Problematik war ja da. Aber vielleicht ist es jetzt auch in der Gesellschaft soweit sensibilisiert, dass man da ein bisschen besseres Gehör findet. Das System funktioniert natürlich nicht nur mit dem gedopten Sportler. Da gibt es dann noch Ärzte dahinter. Da gibt es dann noch Trainer dahinter, die das Ganze ermöglichen, fördern und darauf Einfluss nehmen. Da muss vielleicht der Zuschauer auch das Signal geben, Moment mal, ich will jetzt keine Weltmeister oder keine Disziplin beim Namen nennen, aber wenn der Weltmeister in einer bestimmten Disziplin auf die Ehrenrunde geht, warum steht man dann auf und feiert den mit Standing Ovations? Man kann ja einfach mal stumm sitzen bleiben. Mal gucken, wie er drauf reagiert.

Deutschlandradio Kultur: Herr Busemann, wann laufen Sie Ihren nächsten Marathon?

Busemann: Am 7. Oktober.

Deutschlandradio Kultur: Und welches Ziel haben Sie sich gesetzt? Irgendwo mal die Dreistundengrenze knacken?

Busemann: Au Backe. Das habe ich nach meinem zweiten Marathon aufgegeben, nachdem ich gesehen habe, wie viel ich dafür ackern muss und wie klein mein Talent ist.