Doping für Querulanten

Von Günter Müchler |
Im alten Rom pflegten die Cäsaren, wenn das Imperium in Bedrängnis war, das Circusprogramm hochzufahren. Mit Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen sollte das Volk vom Ernst der Lage abgelenkt werden.
Ein ähnliches Manöver hatte die Berliner Koalition wohl im Sinn, als sie das Antidiskriminierungsgesetz auf den Spielplan nahm. Es wäre ja angenehm, wenn das Volk nicht immerzu an den Missstand von fünf Millionen Arbeitslosen denken müsste.

Wahrscheinlich ist der Vergleich vollkommen unstatthaft. Das Gesetz verfolgt einen heeren Zweck. Niemand würde behaupten, es gäbe keine Diskriminierung in unserem Lande: Dass einem Schwarzen vom Türsteher der Zutritt zu einer Kneipe verwehrt wird, dass ein Behinderter nicht eingestellt wird, weil er behindert ist - so etwas gibt es. Doch muss man schon ein echter Gutmensch sein, um daran zu glauben, es ließe sich die perfekte Gerechtigkeit durch Bürokratie herstellen.

Auch in der Koalition mehren sich die Zweifel an der Sinnfälligkeit dieses Gesetzes, an dem vor allem den Grünen gelegen ist. Überzeugt hat die Kritik vieler Verbände. Unserem Land fehlt es ja nicht an Vorschriften. Das Antidiskriminierungsgesetz würde die bürokratischen Hürden noch höher bauen. Es würde auch den Wettbewerb behindern. Denn die im Kern bereits fragwürdigen EU-Richtlinien, die jetzt in deutsches Recht umgegossen werden müssen, sind von der Berliner Regierungsmehrheit zu einer umfassenden Heilsbotschaft erweitert worden. Geschützt werden soll nicht nur gegen Benachteiligung wegen Rasse und Geschlecht, sondern auch wegen Alters, sexueller Neigung, Religion oder Behinderung, und zwar auch im Zivilrecht.

Das sei Doping für Querulanten, Zunder für sozialen Unfrieden, klagen die Kritiker. Sie dürften Recht behalten. Denn die menschlichen Natur ist so wie sie ist: Wer seine Wünsche unerfüllt sieht, sucht die Ursachen am liebsten woanders. Besonders haarsträubende Folgen lässt die vorgesehene Umkehr der Beweislast erwarten. Darauf wurde bei der Anhörung im Bundestag Anfang der Woche hingewiesen. Ein Arbeitgeber, der sich in einem Bewerbungsverfahren, sagen wir, für den jüngeren von zwei Bewerbern entschieden hat, müsste künftig nachweisen, dass das Alter bei der Auswahl keine Rolle spielte. Er müsste sich darüber eventuell mit einem "Antidiskriminierungsverein" auseinandersetzen. Denn im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass jeder, der sich benachteiligt fühlt, seine Rechte an solche Vereine abtreten kann.

Muss man sich diese Abmahnvereine als eine Art Wohlfahrtsausschüsse der grünen Tugendrepublik vorstellen?

Damit nicht genug. Denn natürlich verdient ein Gesetz, das die Gesellschaft voranbringen soll, in Deutschland nur dann Erwähnung, wenn es die Errichtung einer neuen Behörde vorsieht. Auch dafür ist gesorgt. Eine "Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Schutz vor Benachteiligung" soll beim Bundesfamilienministerium angesiedelt werden.

Hier darf man einmal die Phantasie spielen lassen. So wäre die "Antidiskriminierungsstelle" künftig die richtige Adresse, bei der sich, zum Beispiel, eine Lehramtskandidatin melden könnte, die wegen ihres Wunsches, mit Kopftuch zu unterrichten, zum Schuldienst nicht zugelassen wurde. Oder die Anlaufstelle für einen Raucher, der seiner Lust an öffentlichen Plätzen nicht mehr nachgehen darf.

Es werde weiterhin, Antidiskriminierung hin oder her, Kinderteller und Seniorentickets geben, hat der SPD-Politiker Scholz versichert. Das klingt beruhigend. Beruhigend ist auch zu wissen, dass sich der Gesetzgeber um den Berufsstand der Anwälte sorgt. Siebenundzwanzigtausend Diskriminierungsklagen soll es zweitausenddrei in Großbritannien gegeben haben.

Aufschlussreich sind die Rettungsversuche, die die Grünen für ihr Vorhaben unternehmen. Das Gesetz werde überhaupt nur eine winzige Minderheit von Betrieben betreffen, heißt es bei ihnen abwiegelnd. Warum, darf man fragen, muss man sich dann die Mühe machen?

Den hübschesten Einfall hatte Otto Schily. Man solle das Gesetz verwerfen und sich dann loben lassen. Wofür? Für einen Beitrag zum Bürokratieabbau. Diese originelle Sichtweise sollte sogleich als "Methode des dankeswürdigen Unterlassens einer angekündigten Untat" in die allgemeine Regierungslehre aufgenommen werden. Nach ihr könnte ein Brandstifter, der es sich anders überlegt, künftig den Anspruch auf eine Ehrenmedaille des Feuerwehrverbandes geltend machen.

Indessen, man würde der Regierung Unrecht tun, wollte man das Antidiskriminierungsgesetz als späte Frucht der Spaßpolitik abtun. Die Grünen brauchen das Gesetz. Für sie ist es eine Art fundamentalistische Bußübung, eine Entschädigung ihrer Klientel dafür, dass Fischer und Co. inzwischen so ungrün angepasst sind. Sie brauchen das Gesetz für die Wahlen. Und Schröder hat es ihnen versprochen. Versprochen hatte der Kanzler allerdings auch anderes. Zum Beispiel die Senkung der Arbeitslosigkeit. Er sollte keine Spiele inszenieren lassen, um davon abzulenken.

Dr. Günter Müchler, geboren 1946 in Wuppertal, studierte Politikwissenschaften, Neueren Geschichte und Zeitungswissenschaften in München, Promotion zum Dr. phil.
1974 – 1978 Redaktionsleiter der Günzburger Zeitung
1978 – 1980 Redakteur bei der Deutschen Zeitung/Christ und Welt in Bonn (seit 1979 Ressortchef Innenpolitik)
1980 – 1985 Bonner Korrespondent der Augsburger Allgemeinen
1985 – 1987 Leiter der Parlamentsredaktion der Kölnischen Rundschau, Bonn
1987 – 1989 Leiter der Abteilung Aktuelles im Deutschlandfunk, Köln
1989 – 1994 Chefredakteur und Leiter der Hauptabteilung Politik und
Zeitgeschehen im Deutschlandfunk, Köln
seit Mai `94 Programmdirektor Deutschlandfunk im DeutschlandRadio, Köln
und seit Mai`04 Programmdirektor DeutschlandRadio Berlin, das seit März 05 in Deutschlandradio Kultur umbenannt wurde.

Buchveröffentlichungen
CDU/CSU Das schwierige Bündnis (München 1976) und
"Wie ein treuer Spiegel". Die Geschichte der Cotta’schen Allgemeinen Zeitung.
(Darmstadt 1998)