"Don Quijote" und die Literaturtheorie

Von Gregor Ziolkowski |
Im Zentrum der Feierlichkeiten, mit denen Spanien das 400-jährige Jubiläum des Erscheinens des Romans "Don Quijote" von Cervantes begeht, steht ein Kongress in Madrid. Rund 100 Teilnehmer aus 25 Ländern nehmen zurzeit an der Veranstaltung unter dem Titel "Don Quijote und das theoretisch-literarische Denken" teil.
Fast nichts, was es nicht geben würde in diesem Jubiläumsjahr, in dem Spanien 400 Jahre seit der ersten Publikation des "Don Quijote" feiert: Nicht zu reden von den Buchausgaben, reichen die Feierlichkeiten vom Straßentheater über Ausstellungen, von einem frisch renovierten Museum für Quijotes Angebetete Dulcinea bis zum Quijote in HipHop, den die ehrwürdige Madrider Nationalbibliothek bei den führenden Größen der spanischen Szene in Auftrag gegeben hat. So hübsch diese Idee ist, so deutlich offenbart sie ein Problem des Klassikers: An Popularität mangelt es dem "Don Quijote" durchaus nicht, sie geht so weit, dass es nicht wenige gibt, die die Romanfigur für eine reale Gestalt halten. An wirklichen Lesern dagegen - und die Rede ist nicht von Käufern - an wirklichen Lesern und zumal jüngeren mangelt es durchaus. Und so ist ein guter Teil der Festivitäten recht eigentlich auf die Hoffnung gerichtet, es mögen allerlei Jux und Tollerei die Leute hin zum Text locken. Man hat dabei die eigentlichen Vermittler - Philologen und Literaturwissenschaftler - nicht vergessen. Dass jetzt deren fünftägiger Kongress mit rund 100 Teilnehmern aus 25 Ländern im Zentrum dieses Jubiläumsjahres liegt, ist durchaus symbolisch gemeint. Wie zum Dank verspricht Miguel Ángel Garrido Gallardo, der Organisator des Treffens vom Institut der Spanischen Sprache, dass der Titel dieses Kongresses, "Don Quijote und das theoretisch-literarische Denken", durchaus praktische Seiten hat.

Garrido Gallardo: "Ein Wort aus jener Zeit wie der Ausdruck für den Lederschild, den die fahrenden Ritter üblicherweise benutzten, oder für eine spezielle Speise, die man auch während der Fastenzeit essen durfte, muss man natürlich mit einer Anmerkung versehen, damit jemand, der das Spanisch des 21. Jahrhunderts spricht, sie verstehen kann. In diesem Sinn besteht die Arbeit des Philologen darin, diesen Text lebendig zu halten, und das wird uns hier beschäftigen. Auf der anderen Seite wollen wir diesen Text aber auch in einem kulturellen Sinn verständlich halten. In dieser Hinsicht tendiert unsere Arbeit dahin, durch den Text zu führen. Wie kann ich heute verstehen, was der Quijote mir eigentlich sagt? Da geht es um das hermeneutische, das philosophische Verständnis. Und genau so müsste man das Ziel dieses Kongresses beschreiben: in einem strikten Sinn akademisch, und doch mit Folgen, die tatsächlich praktische sind. "

In fünf Sektionen wird der Kongress arbeiten, sie sind zum Teil hochspezialisiert wie die Untersuchungen zur Metrik der Verse, die im Don Quijote vorkommen. Fragen der Romantheorie stehen auf dem Programm, Poetik und Rhetorik sowie die Rezeptionsgeschichte einschließlich der Literaturkritik werden beleuchtet.
In seinem Eröffnungsvortrag versuchte Ciriaco Morón von der Cornell University eine umfassende theoretische Situierung von Cervantes' Klassiker. Von Homer und Aristoteles, über Dante und Boccaccio bis zu Heidegger und Foucault reichte die lange Liste der Aufgerufenen, deren Äußerungen zum Romankunstwerk an sich oder zum Don Quijote im speziellen die komplizierte Einzigartigkeit dieses Romans herausstreichen.

Morón: "Über seine Qualitäten als Gemälde oder als Text hinaus ist dieser Roman ein Tauchgang in die tiefsten Erfahrungen der menschlichen Existenz. Er führt in das Verrücktsein des Ritters wie in die treuherzige Leichtgläubigkeit von Sancho, er führt bis zur Kreuzung von Realität und Illusion, an der alle Hauptfiguren des Romans leben. Die Geschichten der Figuren als ein Forschungslabor, das dem Mysterium des Schreibens auf die Spur kommen will, ergeben diese einzigartige Welt des Don Quijote als Spiegel der Wirklichkeit und zugleich als ein Drama, in dem die Wirklichkeit erfunden wird. Auch die Wahrheit ist eine Erfindung, sagte einmal Antonio Machado."

Jede Zeit erfindet sich ihren Don Quijote, wie das wohl bei jedem Klassiker – von Shakespeare bis Goethe oder Schiller – der Fall ist. Die Aufgabe solcher Kongresse ist es, die Summe dessen, was da an interpretatorischer oder philologischer Substanz zusammengekommen ist, immer wieder neu zu ziehen. Kein Anlass könnte dafür besser sein als dieses Jubiläum.