Dokumentarfilm "Uploading Holocaust"

"Der Holocaust wird missbraucht"

Auschwitz-Birkenau
Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Mehr als 30.000 israelische Jugendliche reisen jährlich zu den Stätten des Holocaust in Polen. © picture-alliance/ dpa
Udi Nir im Gespräch mit Max Oppel · 02.11.2016
In Video-Tagebüchern haben israelische Jugendliche ihre Begegnung mit dem Massenmord an Juden festgehalten. Daraus ist jetzt ein Dokumentarfilm entstanden. Co-Regisseur Udi Nir kritisiert das Konzept dieser Bildungsarbeit des israelischen Staates als "System einer Manipulation" von jungen Menschen.
Jährlich reisen mehr als 30.000 israelische Jugendliche auf den Spuren des Holocausts nach Polen. Die Besichtigung von Auschwitz und anderen Orten des massenhaften Judenmords durch die Nationalsozialisten soll Geschichte erfahrbar machen. Die Schulen in Israel fordern die Schülerinnen und Schüler deshalb auf, ihre persönlichen Erfahrungen in Video-Tagebüchern festzuhalten und auf youtube zu teilen.
Die beiden israelischen Filmemacher Udi Nir und Sagi Bernstein haben aus diesen Youtube-Clips eine Dokumentation geschaffen. Sie zeigt, wie sich die Erinnerung an die Shoah durch die digitalen Medien verändert. Heute hat der Film "Uploading Holocaust" auf dem Festival "Dok-Leipzig" Weltpremiere.
Co-Regisseur Udi Nir zeigte im Deutschlandradio Kultur Verständnis für den Ansatz dieser Aufklärungsarbeit des israelischen Staates. Sie verbinde historisches Wissen mit emotionalem Erleben:
"Man muss sich erinnern, dass der Holocaust für Israel ein zentraler Bestandteil der nationalen Identität ist. Der israelische Staat versucht, diese Identität zu stärken, indem er die Schüler an dieses historische Geschehen heranführt. Man kann sogar sagen: Es wird eine Art Re-Traumatisierung der Jugendlichen herbeizuführe, indem man eine Simulation der Erfahrungen ihrer Vorfahren bei ihnen ins Werk setzt. Das ist manchmal ein verstörender Prozess. Ich kann aber verstehen, woher der kommt."

Neuinszenierung des Holocaust durch die Schüler

Für die Schülergruppen gibt es vor Ort auch ein bestimmtes Programm, zum Beispiel mit Rollenspielen. Damit soll die Dimension des Schreckens verdeutlicht werden. Die Wahl solcher drastischen Mittel sei angesichts des historischen Hintergrunds verständlich, meint Nir:
"Ich habe das Gefühl, dass der Holocaust nach und nach in den Weiten der Geschichte verschwindet. Er gewinnt immer mehr Abstand. Die materiellen Zeugnisse werden spärlicher. Vor allem aber sterben die Zeitzeugen weg. Wenn derartige dramatische Neuinszenierungen geschehen, durch die Schüler selbst ausgeführt, dann kommt es manchmal zu wirklich absurden Situationen."

Kritik am Konzept des Reiseprogramms nach Polen

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte bleibe zwar eine wichtige Daueraufgabe, sagt Nir. Er habe jedoch Zweifel an der Struktur dieses Programms und am Konzept der Durchführung dieser Reisen nach Polen:
"Ich meine, dass diese ganze Übung dann manchmal auf die falsche Art durchgeführt wird. Und vor allem mit falschen Fragestellungen. Und ganz deutlich ist eben zu spüren, wie stark hier auch durch das System eine Manipulation versucht wird, die jungen Menschen zu bestimmten Gefühlen zu bewegen."

Droht ein Missbrauch des Themas Holocaust?

Er frage sich, was der "Gesamtzweck dieses Unterfangens" sei, mit dem das Leid der Vorfahren von den Schülern körperlich nachvollzogen werden solle, kritisierte Nir. Er halte das für unnötig. So drohe möglicherweise auch ein Missbrauch mit dem Thema Holocaust:
"Ich würde mindestens sagen: Der Holocaust wird auf nicht-sachdienliche Weise verwendet oder auch missbraucht durch das israelische System. Er ist ein Dauerthema im Bildungswesen. Auch die politischen Führungskräfte des Landes beziehen sich ständig darauf. Und er dient mitunter auch als Vorwand oder Begründung für praktisch alles. Und das, muss ich sagen, ist doch eine Versündigung gegenüber dem Holocaust, der doch in seiner Tiefe damit gar nicht erfasst wird."
Mehr zum Thema