Dokumentarfilm "My Stuff"

Leben ohne Ramsch

Ein silberner Rinderschädel aus Kunststoff hängt in einer Ferienwohnung in Timmendorf.
Braucht man das? Der Filmemacher Petri Luukkainen hat sich in seiner Wohnung umgesehen - und stellte sich die gleiche Frage. © dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg
Moderation: Waltraud Tschirner · 28.02.2015
Der finnische Filmemacher Petri Luukkainen wagte ein Experiment: Er räumte seine Wohnung leer und verzichtete ein Jahr lang darauf, neue Gegenstände zu kaufen. Das Projekt habe sein Konsumverhalten geändert, sagt er.
Waltraud Tschirner: Waltraud Tschirner spricht mit dem finnischen Filmemacher Petri Luukkainen über seinen Film "My Stuff" und das ungewöhnliche Experiment, das dieser Dokumentarfilm begleitet. Dem Mittzwanziger ging es schlecht, seine Freundin hatte ihn verlassen, er war deprimiert und stürzte sich zunächst in einen Kaufrausch, der ihm außer noch mehr Zeug in der Wohnung nichts brachte. In seinem Frust kam er immer wieder an der Baustelle für einen neuen Speicher vorbei und in ihm wuchs die Idee für dieses Projekt: Ich räume in meinem Leben mal so richtig auf und werde dann herausfinden, was ich wirklich brauche.
Die Regeln sind schnell aufgestellt: Alles, wirklich alles raus aus der Wohnung und weg vom Leib und dann ein Jahr lang - außer Lebensmitteln - nichts kaufen und jeden Tag ein Teil aus dem Speicher abholen. Familie und Freunde hielten ihn zunächst für durchgeknallt, bis er erklärte, das auch verfilmen zu wollen. Nun fanden sie es interessant. Sein Film "My Stuff" begeisterte aus nachvollziehbaren Gründen bereits Zuschauer in vielen Ländern, jetzt kommt er auch in unsere Kinos. Die erste Frage für das Gespräch lag auf der Hand: Wie schwierig war es, diese 365 Tage durchzuhalten?
Petri Luukkainen: Also, ich glaube, die erste Krise bekam ich, als ich mich fragte: Kann ich das überhaupt? Und nachdem ich alle Sachen in meinen Speicher gebracht hatte, da hatte ich schon so eine Sinnkrise. Aber mir hatten meine Freunde geholfen, meine Familie geholfen, ich hatte es lange angekündigt. Und dann siehst du plötzlich, wie sich deine Wohnung immer mehr entleert, bis du eine ganz leere Wohnung hast, und dann habe ich mich plötzlich gefragt: Was mache ich da eigentlich? Aber da ich es nun so doll angekündigt hatte, konnte ich nun auch nicht feige zurückschrecken. Und ich hatte ja nun mal beschlossen, daraus eben doch eine Art Dokumentarfilm zu machen. Und dann war es halt so, mein bester Freund hat gefilmt, mein Bruder hat aufgenommen und nach einigen Wochen dachte ich eigentlich, es würde leichter werden, aber mir wurde ganz schnell klar: Das ist jetzt hier nicht nur eine lustige Erfahrung, brauche ich eher eine Gabel oder brauche ich eher ein Messer oder brauche ich jetzt eigentlich Socken?
Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen doof an, aber irgendwann wurde mir klar: Es geht hier um mich! Und wenn man einmal mit diesen Dingen des täglichen Bedarfs aufgehört hat, also darüber hinausschaut, dann sind ja alle Dinge, die wir besitzen und die wir haben, letztendlich Dinge, mit denen wir uns ausdrücken, die uns irgendwo auch definieren. Und diese Frage habe ich mir natürlich dann auch immer gestellt: Wie drücke ich mich jetzt aus, wenn ich mich für diesen oder jenen Gegenstand entscheide? Und so musste ich permanent reflektieren, mich dauernd damit auseinandersetzen, und es wurde einfach nicht einfacher, es wurde auch gar nicht zu so einer befreienden Reise, wie ich mir das vorgestellt hatte, weil ich mir immer diese Frage stellen musste: Was brauche ich jetzt wirklich? Und am Ende dieses Experiments war ich einfach nur unglaublich müde. Und ganz ehrlich, als es dann endlich vorbei war, war ich unglaublich erleichtert!
Einkaufen mit größerem Bewusstsein
Tschirner: Inwiefern haben diese 365 Tage Sie und Ihr Konsumverhalten denn am Ende verändert?
Luukkainen: Nun, heute ist es so, dass ich mir wirklich Gedanken mache, wenn es um gewisse Gegenstände geht, die ich habe oder die ich erwerben möchte. Und ich bin jetzt nicht irgendwie so ein materieller Jesus geworden, der ganz viele Erfahrungen gesammelt hat, wenn es darum geht, Dinge zu kaufen und ob ich sie wirklich brauche. Aber ich gehe da schon mit einem größeren Bewusstsein heran. Ich erkenne schon, warum ich etwas haben möchte oder wann ich es mir zulegen möchte. Und natürlich, wenn ich mir zum Beispiel etwas kaufe, was einfach nur schön ist oder ästhetisch, dann weiß ich jetzt wenigstens, warum das so ist. Und früher habe ich mir darüber einfach keine Gedanken gemacht, ich habe es einfach angeschafft.
Und wenn wir jetzt beispielsweise über Luxusgüter reden, über Luxusgüter unseres modernen Lebens, Handys beispielsweise, Laptops, dann muss ich ein bisschen zurückdenken an die 80er-, an die 90er-Jahre, wo ein VHS-Rekorder oder ein Handy oder sogar eine Waschmaschine erst mal eine Art Luxusgerät war. Und heute ist es einfach so, das ist was ganz Normales und wahrscheinlich verpasst du etwas, wenn du es nicht hast. Und in dieser Zeit des Experiments habe ich praktisch meine Pubertät noch einmal neu ausgelebt. Weil, natürlich haben mir meine Eltern, haben mir die Gesellschaft, das Kommerzfernsehen, die haben mir immer wieder eingeredet, dass es normal ist, solche Bedürfnisse zu haben. Und nach diesem, ich sage jetzt mal, blöden Experiment habe ich eben gemerkt, wie viele dieser Regeln einfach falsch sind oder einfach künstlich aufgestellt werden. Und ich bin ein Jahr lang nicht mehr shoppen gegangen. Ich habe ein Jahr lang nichts gekauft, aber ich hatte auch ein Jahr lang Zeit, mich in gewisser Weise mit mir selbst zu versöhnen. Und nach Ende dieses Experiments ist es einfach so, dass, wenn ich jetzt etwas kaufe, dann habe ich praktisch neu gelernt: Ich kaufe jetzt so auf meine ganz persönliche Art und Weise ein.
Tschirner: Eine ganz wichtige Person im Film und offensichtlich auch in Ihrem Leben ist Ihre Großmutter, mit der Sie immer wieder darüber reden, was man wirklich braucht im Leben. Haben Sie diesbezüglich eigentlich deutliche Unterschiede zwischen den Generationen – also der Generation Ihrer Großeltern, der Generation Ihrer Eltern und Ihrer Y-Generation – festgestellt?
Luukkainen: Also, die Generation meiner Großeltern, meiner Großmutter, die ist mit unglaublich wenig Dingen und Sachen ausgekommen. Dann die Generation meiner Mutter, meiner Eltern, die so aus den 60er-, 70er-Jahren stammt, die können einfach nicht mehr loslassen. Die haben alles eigentlich bekommen und sind von ihren Eltern so erzogen worden, du musst dir alles besorgen, was du dir irgendwie nur besorgen kannst. Und dadurch können sie überhaupt nicht aufhören, Dinge zu sammeln und auch in gewisser Weise zu horten. Und bei meiner Generation ist es ehrlich gesagt so: Uns ist eigentlich alles wurscht, uns ist alles egal. Wir sind in einer Welt aufgewachsen, in der all unsere Bedürfnisse eigentlich immer befriedigt worden sind, und uns hat man eigentlich nur erklärt: Alles, was du hast, ist dazu da, um dich selbst auszudrücken.
Und wenn ich mir den Film manchmal anschaue, dann sehe ich da so einen jungen Typen und er hat alles! Und was braucht er eigentlich wirklich, ist seine einzige Frage, die er sich stellt. Aber ehrlich gesagt, das ist ja kein echtes Problem. Und manchmal kommen so Wellen über mich, wo ich mich wirklich schäme und mir denke, mein Gott, ist das schrecklich! Mein ganzes Problem besteht darin, dass ich eigentlich zu viel habe und mir die Frage stelle, auf was könnte ich eigentlich verzichten! Und solche Gedanken macht man sich ja einfach nur, wenn man in einem gewissen Überfluss lebt, wenn man einfach zu viel hat! Und wenn man zu viel hat, dann weiß man die Dinge einfach nicht mehr zu schätzen!
"Irgendwas in unserer Gesellschaft läuft grundlegend falsch"
Tschirner: Am Anfang dieses Films stand also – wir haben es gesagt – Ihre ganz persönliche Unzufriedenheit mit Ihrem Leben. Der Film ist fertig geworden und Sie reisen jetzt mit ihm durch die Welt. Ich nehme an, man diskutiert heftig darüber und denkt nach. Wie erleben Sie das, wenn Sie unterwegs sind?
Luukkainen: Kann man diesen Film jetzt wirklich überall auf der Welt sehen ... Und was man daran eben merkt, ist, dass wir einfach zu viel haben. Wir haben fast überall auf der Welt einfach zu viel. Und das ist ein universelles Problem. Zumindest im Westen ist das so. Und man stellt sich dann viel zu selten die Frage nach dem Rest der Welt. Und dann muss man aber weiterfragen: Gefährden wir nicht unsere Ressourcen und Naturschätze? Es gibt ja immer mehr Menschen und immer weniger Ressourcen und es ist einfach nicht genug für alle da, wenn wir ewig immer nur konsumieren. Und so kommen natürlich viele ganz neue Ideen, und man sagt sich: Irgendwas in unserer Gesellschaft, in unserer Kultur läuft grundlegend falsch!
Tschirner: Es wäre eigentlich geradezu ein Wunder, wenn Sie während Ihrer Dreharbeiten zu "My Stuff", vielleicht sogar davor schon, als Sie vom Projekt geredet haben, nicht sämtliche Freundes- und Familienrunden zum fröhlichen Nachdenken über ihre Top Ten animiert haben! Können Sie persönlich mittlerweile Ihre Top Ten nennen, haben Sie sie herausgefiltert aus der Masse von Dingen, die man nicht wirklich braucht?
Luukkainen: Die Frage nach den Top Ten ist natürlich eine sehr schwierige Frage, weil, das ist ja die Top Ten, meine ganz persönliche, von den Dingen, die ich einfach brauche, und das ist ja eine Top Ten, die sehr viel über mich aussagt, die mich charakterisiert. Aber ich würde dann beispielsweise eine Videokamera mitnehmen, einen Laptop, dunkle Klamotten, Sachen zum Fischen, Sneakers, Joggingschuhe, auch ein Telefon, um mit den Freunden zu kommunizieren, ich bin ja sozial. Und Kochsachen! Ja, das wären dann, glaube ich, so die zehn Dinge, die ich mitnehmen würde und die mich und meine Persönlichkeit charakterisieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema