Dokumentarfilm-Dreh in Nordkorea

Wie man seine Aufpasser austrickst

Nordkoreanische Kinder bei einem Besuch in Pjöngjang, 2012
Nordkoreanische Kinder bei einem Besuch in Pjöngjang, 2012 © picture alliance / dpa / Maxppp
07.03.2016
Nur wenige ausländischen Besucher lässt Nordkorea ins Land. Zu denen gehört der Filmemacher Vitaly Mansky. In seiner Dokumentation "Im Strahl der Sonne" untersucht er die Propagandatricks der Diktatur - und zeigt, wie er das Material rausgeschmuggelt hat.
Wer in Nordkorea filmt, dem ist Begeisterung sicher. Es gibt Schulklassen mit Veteranenbesuch, die applaudieren. Es gibt Schultheateraufführungen mit Elternbesuch, bei der alle applaudieren. Es gibt feierliche Aufnahmen der Pionierorganisation, bei dem die Kinder und Funktionäre applaudieren.
Das viele Klatschen ist kein Zufall, das Bild, das Nordkorea auch in ausländischen Filmen von sich selbst zeichnet, ist das einer Nation, die voller Stolz hinter Partei und Führer steht.

Die Hauptfigur des Films ist Zin-mi - ein acht-Jähriges Mädchen

Der wird am Anfang von Vitaly Manskys Dokumentarfilm "Im Strahl der Sonne" durch eine Blume repräsentiert, das Mädchen Zin-mi tritt vor ein Fenster, auf dessen Brett eine Kimjongilia blüht. Die Begonienart erinnert an den 2011 gestorbenen Herrscher Nordkoreas.
Zin-mi schwärmt vom besten Land der Welt: Nordkorea, da, wo die Sonne zuerst aufgeht. Das achtjährige Mädchen ist die Hauptfigur von Manskys Film, ausgesucht hatte er sie unter fünf Kandidatinnen, die ihm die Betreuer zur Auswahl anboten. Das Mädchen gab seinerzeit an, der Vater sei Journalist und die Mutter arbeite in einer Kantine.
Als Mansky drehte, hatte sich das auf wundersame Weise geändert: Der Vater wurde als leitender Angestellter einer Textilfabrik gezeigt, die Mutter als Vorgesetzte in einer Molkerei. Und nicht nur das:
Ausschnitt Film: "Sie wurden in einer großzügigen Drei-Zimmerwohnung im besten Wohnquartier der Hauptstadt präsentiert. Als wir Zin-Mi ein halbes Jahr vor Drehbeginn kennenlernten, erzählte sie uns noch, dass sie mit ihrer Großfamilie in einem bescheidenen Haus in der Nähe des Bahnhofs lebt."
Solche Täuschungen deckt "Im Strahl der Sonne" nicht nur auf der Tonebene auf. In der deutschen Fassung wirken die erklärenden Off-Kommentare leider etwas zu routiniert gesprochen. Das Besondere, ja das Spektakuläre an Manskys Film sind die Bilder.

Beim Dreh die nordkoreanischen Aufseher ausgetrickst

Denn der Filmemacher hat die Kamera auch dann laufen lassen, als seine Betreuer die Szenen für ihn einrichteten. Und vor allem ist es ihm gelungen, trotz permanenter Überwachung und täglicher Kontrolle des gedrehten Materials die Aufnahmen von der Inszenierung der Wirklichkeit außer Landes zu bringen.
Mansky: "Nach jedem Dreh haben wir Zeit geschunden - ob das im Auto auf dem Weg ins Hotel war oder ob unser Kameramann auf die Toilette ging – wir brauchten Zeit, um unser Drehmaterial für uns zu kopieren. Das hat in der Regel an die 30 Minuten gedauert. Wenn wir die Kopie für uns gesichert hatten, haben wir aufs geradewohl Material gelöscht auf dem Stick, den wir den Kontrolleuren geben mussten. Wir haben so praktisch 60 Prozent des Materials zerstört."
So viel scheinbare Dusseligkeit hat die Kontrolleure zwar stutzig werden lassen, andererseits fehlte ihnen aber auch das Know-how für die Technik, die Mansky einsetzte. Und so kann man nun also mit ansehen, wie Nordkorea sich selbst inszeniert: Die familiäre Abendbrotszene, in der Zin-Mi keck die gesundheitsfördernde Wirkung des Kimchi-Kohls lobt, wird wieder und wieder geprobt, und selbst der Veteran, der vor der Schulklasse vor seinen Heldentaten im Krieg erzählt, muss rasch zum Ende kommen, als ein Aufpasser das verlangt.
Mansky war bei der Vorbereitung des Films klar geworden war, dass es unmöglich sein würde, etwas anderes zu drehen als das, was das Regime ihm zeigen wollte. Also hat er sich mit seinem Team darauf vorbereitet, Bilder unter den Augen der Überwacher aus dem Land zu schmuggeln
"Wir haben trainiert, die Kopie des Drehmaterials quasi mit geschlossenen Augen zu machen. Wir haben uns eine spezielle Kameraoptik ausgeliehen, weil ich wusste, dass wir nur aus meinem Hotelzimmer unbeobachtet drehen konnten. Wir haben uns alle Rucksäcke mitgenommen, um für die ganze Zeit in Nordkorea, 24 Stunden am Stück, unsere Computer und unser Drehmaterial mit uns rumzutragen - weil wir nur zu gut wussten, dass wir unsere Sachen nicht eine Sekunde lang unbeaufsichtigt im Hotelzimmer oder im Auto lassen durften."
Das Ergebnis ist ein Making-of des Films, den Mansky hätte drehen sollen.

Der Film macht die Identifikation mit dem System nachvollziehbar

Kontrastiert werden die Bilder der Inszenierung durch Aufnahmen, die Mansky vom Alltagsleben gemacht hat: Menschen, die sich vor Bussen drängen, Blumensträuße, die nach einem Massenkundgebung zu Ehren der Führung wenig weihevoll abgeräumt werden.
Den wahren Alltag, das richtige, private Leben findet man dahinter auch nicht, ist sich Mansky sicher. What you see is what you get, es gibt keine Dissidenz in Nordkorea.
Aber durch "Im Strahl der Sonne" versteht man die Identifikation der Menschen mit dem System besser. Manskys Versuche, ein wenig vom Drehplan abzuweichen in Momenten, in denen er mit Zin-Mi allein war, hat das Mädchen den Aufpassern gepetzt.
Wie geht er umgekehrt mit der häufig geäußerten Sorge um, dass diesen Betreuern nun etwas geschehen könnte, dass sie bestraft würden für die Bilder, die Mansky vor ihren Augen von der Wirklichkeit in Pjöngjang gemacht hat? Vitaly Mansky beantwortet die Frage entschieden:
"Entweder man dreht Dokumentarfilme oder man dreht sie nicht. Und das ist umso klarer im Fall von Nordkorea. Entweder man dreht dort Dokumentarfilme oder man bleibt zu Hause und trinkt mit seiner Frau Kaffee."
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