Dokumentarfilm

Als Scheich in Bad Belzig

Brian, der älteste Sohn einer kamerunischen Familie, im Gespräch mit Bankangestellten.
Brian ist der älteste Sohn einer kamerunischen Familie, der auf das große Glück in Europa hofft © INDI FILM GmbH
Antje Kruska und Judith Keil im Gespräch mit Ulrike Timm · 22.01.2014
Was sie während der Dreharbeiten erfahren haben, sei ihnen unter die Haut gegangen, sagen die Regisseurinnen Antje Kruska und Judith Keil. Sie haben drei sehr unterschiedliche Asylbewerber aus Jemen, dem Iran und aus Kamerun bei ihrer Ankunft in Deutschland begleitet. Trotzdem hat der Film auch eine Menge Komik.
Ulrike Timm: Drei Männer sind gestrandet in einem Asylbewerberheim in Bad Belzig im tiefsten Brandenburg: Abdul, ein früherer Beduinenscheich aus dem Jemen, der nach einer Schussverletzung hierher kam, Farid, der bei Demonstrationen mit den Machthabern in Teheran aneinandergeriet und flüchtete, und Brian aus Kamerun in der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Ob "Land in Sicht" ist, das erleben wir im Laufe des gleichnamigen Dokumentarfilms von Antje Kruska und Judith Keil. Dieser Film war dem Dokumentarfilmfestival in Leipzig einen Preis wert, und wenn Sie jetzt eine der üblichen Recherchen erwarten à la arme Asylbewerber in reichem Land, dann liegen Sie angenehmerweise sehr falsch. „Land in Sicht“ begleitet drei sehr unterschiedliche Menschen, beobachtet, traut sich, zuzugucken, ohne gleich zu werten, und birgt neben mitunter überraschenden Erlebnissen von drei Menschen, die immer wieder ihr Heim verlassen, um in Bad Belzig Deutschland zu erobern, jede Menge Komik.
Ich freue mich, dass Antje Kruska und Judith Keil jetzt hier sind, herzlich Willkommen!
Antje Kruska: Hallo!
Judith Keil: Hallo!
Timm: Ex-Scheich, politischer Flüchtling und ein junger Mann mit Hoffnung aufs Paradies – unterschiedlicher konnten die drei nicht sein. Wie haben Sie sie gefunden?
Filmemacherin 1: Ja, also wir haben tatsächlich eine kleine Tour gemacht durch verschiedene Asylbewerberheime in Brandenburg und sind dann letztendlich in Bad Belzig gelandet, und dort fanden wir die Atmosphäre insofern angenehmer als in den anderen Heimen, weil dort eine sehr nette Sozialarbeiterin stationiert war, Frau Rose, die in unserem Film auch eine Rolle spielt, und da haben wir gleich irgendwie angedockt und hatten auch die Möglichkeit, uns in diesem Heim ganz toll frei zu bewegen und viele Menschen kennenzulernen. Die drei sind es dann dort und auch in Anbindung an jene Frau Rose geworden.
Timm: Warum sind es die drei geworden? Es gab so viele.
Filmemacherin 2: Also erst mal ist es eine Sympathie, die wir zu unseren Protagonisten immer haben müssen, das Gefühl, dass wir den Menschen gerne nah sein wollen, auch über einen längeren Zeitraum; dass die drei auch bereit sind, sich auf so was einzulassen; wir haben außerdem auch Leute gesucht, die eine Motivation in sich tragen, auch wirklich rauszugehen aus den Heimtoren, sich rein zu begeben in das Deutschland und auch Kontakte zu finden und wirklich aktiv auch ihr Leben in Deutschland zu gestalten. Und die drei sind auch außerdem in unterschiedlichen Stadien ihres Asylverfahrens.
Also Brian, der kommt wirklich ganz frisch nach Deutschland, ist noch völlig unbedarft und naiv und staunt noch sehr, wo er eigentlich hier gelandet ist, noch mit den Bildern im Kopf, die er hat von dem goldenen Europa, dessen Reise ins Asyl beginnt gerade. Farid wartet schon seit einem halben Jahr auf die Antwort seines Asylantrags und wird das auch im Laufe des Films noch ein weiteres Jahr tun, also weil diese Wartezeit ist gnadenlos. Und Abdul ist mittlerweile schon in der Duldung gelandet, das ist ja so ein Status, der sich über zähe Jahrzehnte eigentlich ziehen kann, in denen man eigentlich nicht arbeiten darf und auch nicht wirklich Teil des Landes wird, aber auch nicht abgeschoben wird, so ein komisches Zwischenreich, in dem er sich befindet.
Timm: Und Sie begleiten sie, aufs Dorffest, auf Behörden, sogar auf eine Singleparty. Was ist Ihnen vielleicht besonders eindrücklich gewesen?
Filmemacherin 2: Ich persönlich mag die Szenen im Arbeitsamt mit Abdul. Ich finde auch, Abdul ist ein toller Protagonist. Er ist nicht so ein lieber, braver, bemitleidenswerter Mensch auf eine Art in seiner Lage, sondern er zeigt sich sehr potent und sehr herrschaftlich sozusagen auch, und so erobert er dann auch das Arbeitsamt und geht da halt rein und hat auch ein bisschen noch seine scheichische Attitüde. Und die Dame, die ihm gegenübersitzt, die ist darauf nicht ganz gefasst, also die wusste nicht, wer ihr da gegenübersitzen würde. Und das hat Spaß gemacht, war spannend, und das war auch nicht ganz so leicht, diesen Dreh zu organisieren, denn die Ämter, die tun sich ja echt immer so ein bisschen schwer. Und das hat in dem Fall geklappt.
Durch Heirat mit einer Deutschen kann man legal hierbleiben
Filmemacherin 1: Anderes Thema jetzt neben Arbeitssuche ist auf jeden Fall auch das Thema Liebe auch in unserem Film, was uns auch immer wichtig ist. Auch bei diesen drei Protagonisten spielte das eine große Rolle. Und da gibt es einige Begegnungen auch mit deutschen Frauen, zum Beispiel bei der Singleparty, bei Party-Beate, eine sehr krachige Frau, wo Abdul auch reinstolpert und dann auch ein bisschen befremdet ist über die Beherztheit der deutschen Frauen.
Wenn man keine Anerkennung bekommt, gibt es ja diese absurde Möglichkeit, durch eine Heirat mit einer Deutschen oder das Kind mit einer Deutschen doch legal hierzubleiben, und das schickt die Leute mitunter unfreiwillig auf so einen Heiratsmarkt. Und da gibt es einschlägige Diskotheken, auch in Berlin, wo ganz klar so ein bestimmter Markt an deutschen Frauen oder auch deutschen Männern sich da irgendwie aufstellt und wo man dann reinstolpert und guckt: Ist hier vielleicht jemand für mich?
Timm: Und da trifft sich dann das Traurige mit dem Komischen, denn der Hintergrund ist, man braucht eine Frau, um bleiben zu dürfen, und das Komische ist, wenn der Ex-Scheich eine Frau sucht, weil er jemanden braucht, der ihm kocht. Das ist in seiner Kultur so üblich. Dann lacht man, und dann darf man auch bei Ihnen lachen. War Ihnen das wichtig?
Filmemacherin 2: Ja, also auf jeden Fall, also das zieht sich ja eigentlich durch all unsere langen Dokumentarfilme, dass Humor auch für uns immer eine große Rolle spielt. Das ist jetzt nicht so ein schenkelkrachender Humor, sondern eben leises Schmunzeln, was man darf und soll und was wir uns auch im Schnittraum ständig erlauben. Und wir suchen immer nach der Essenz, nach dem Sinn, nach dem guten dramaturgischen Punkt beim Schnitt einer Szene, aber für uns sind auch kleine humorige Momente sehr wertvoll und es macht unheimlich Spaß, die zu basteln. Ich lache ja auch über mich selber, wenn ich irgendeine Begegnung habe, wenn ich beim Finanzamt war und hatte jetzt eine kuriose Begegnung oder Unterhaltung, dann kann ich das Judith zum Beispiel auch gut erzählen und darüber auch lachen und auch darüber, wie ich vielleicht irgendwas völlig missverstanden habe oder so.
Filmemacherin 1: Wir wollen die Leute nicht vorführen, wir wollen nicht über sie lachen, sondern wir wollen mit ihnen lachen.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ein 16 Quadratmeter großes Zweibettzimmer im Übergangswohnheim in Bad Belzig© picture alliance / ZB
Timm: Und es sind auch drei Menschen im Wartestatus, das ist der rote Faden, und das ist natürlich etwas Bedrückendes, Beklemmendes. Wie gehen die drei damit um?
Filmemacherin 1: Die sind dem ausgeliefert, die müssen warten, das ist ja eine Zwangssituation, und der iranische Protagonist Farid, der leidet da sehr drunter, weil seine Sehnsucht gilt der fernen Familie, die er gerne nachholen möchte, und für ihn hängt daran sein ganzes Lebensglück sozusagen. Das bekommt man auch erzählt im Film, und das ist, glaube ich, auch die Geschichte, die einen am meisten berührt. Und bei Abdul in diesem Duldungsstatus – da ist ihm im Prinzip klar, dass es immer so weitergehen wird, es sei denn, er hat irgendwann doch Glück oder die zündende Idee oder findet doch eine Frau oder etwas Derartiges. Und bei Brian war es so, der hat unheimlich viel Hoffnung gehabt, also die ganze Zeit. Bis er dann sein Nein bekommen hat, war er voller Glauben und voller positiver Hoffnung, und das, was ihm gesagt wird im Beratungsgespräch, dass irgendwie 90 Prozent der Kameruner sowieso null Chance haben auf Asyl, da kann er eine Geschichte auf Stapel haben, wie er will, das hilft eigentlich nichts, davon hat der sich nichts sagen lassen sozusagen. Und als dann diese Duldung über ihn verhängt wurde, da war er schon noch mal, also war er echt platt, hat sich aber jetzt auch darin irgendwie arrangiert.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das „Radiofeuilleton“, zu Gast sind die Dokumentarfilmerinnen Antje Kruska und Judith Keil, und wir sprechen über ihren preisgekrönten Film „Land in Sicht“, der ja auch einen Blick auf Deutschland wirft von Bad Belzig aus. Bad Belzig ist nicht per se eine ausländerfeindliche Klitsche, gar nicht, aber die Kulturen prallen doch sehr aufeinander. Was haben Sie in diesem Film über Deutschland gelernt?
Filmemacherin 2: Na ja, auch da, dass sich bestimmte Vorurteile nicht immer bestätigen, wie zum Beispiel: Ostdeutsche Provinz gleich lauter Rechtsradikale, die an der Ecke stehen – also war in Bad Belzig wirklich nicht so, sondern da war eher eine bemühte Offenheit gegenüber den Flüchtlingen da vor Ort zu bemerken. Da gibt es auch tatsächlich am Ort schon so ein linkes Café, wo die sich irgendwie auch treffen können, wo es so einen Austausch gibt.
Also das Problem ist nicht unbedingt, dass die Leute per se ausländerfeindlich gestimmt sind, aber manchmal ist das Problem doch auch eine gewisse fehlende Fähigkeit, sich auch in die andere Position wirklich reinzuversetzen, wenn man da nicht weiß, in welchen eng gestecktem Rahmen die Leute stecken, dass die auch gar nicht Deutschkurse bekommen können und deswegen auch nicht so schnell flüssig deutsch sprechen können.
Timm: Es ist eher Fremdheit als Feindschaft, das kommt sehr gut rüber. Und Sie haben auch Behördengänge gefilmt, erstaunlich freundliche Behördengänge, aber es gibt keine Filmszenen, die auf der Ausländerbehörde spielen. Das hat mich gewundert. Warum ist das so?
Die Ausländerbehörde boykottierte die Dreharbeiten
Filmemacherin 1: Ja, das fanden wir auch bedauerlich, wir hätten sehr gerne bei der Ausländerbehörde gedreht, denn alle Protagonisten und sowieso alle Flüchtlinge haben immerzu mit dieser Ausländerbehörde zu tun. Es ist uns aber leider nicht gelungen, mit sehr viel Beharrlichkeit und dann auch Unterstützung des RBB und so weiter, wir haben es einfach nicht geschafft, die Ausländerbehörde Werder, die für unsere Leute zuständig war, zu überzeugen, dort drehen zu dürfen.
Timm: Da war eine Wand?
Filmemacherin 2: Da war eine absolute Sperre, also regelrechter Boykott eigentlich letztendlich.
Timm: Wie geht es den dreien heute?
Filmemacherin 2: Es ist ja mittlerweile echt schon fast ein Jahr her, dass wir den letzten Drehtag hatten mit diesem Film. Es hat sich natürlich für die drei auch schon wieder einiges verändert. Also bei Farid, …
Timm: Farid, der bärenstarke Mann aus dem Iran mit dem großen Heimweh nach seiner Familie.
Filmemacherin 2: … genau, hat sich dieses Heimweh dann irgendwann gut aufgelöst. Er hat ja die Anerkennung dann bekommen, seine Familie kam dann auch nach, das war alles nach Schnittende.
Timm: Und der selbstbewusste Ex-Scheich?
Filmemacherin 2: Bei dem ist eigentlich alles so geblieben wie immer. Er kriegt immer wieder mal eine auf den Deckel, hat wieder eine neue Vision, der er irgendwie nachstrebt, die nicht so ganz aufgeht, und dann ist er wieder kurz ein bisschen enttäuscht und entwickelt aber wieder eine neue Vision. Er ist so ein Stehauf-Männchen geblieben.
Timm: Und Brian, der mit großer Hoffnung kam und dann merkte, er ist hier ziemlich aussichtslos?
Filmemacherin 2: Brian ist jetzt eben in diesem Duldungsstatus, lässt sich davon aber auch nicht unterkriegen. Also es ist irgendwie der aufrechte, kluge, zuversichtliche Mensch geblieben, und wir sind uns sicher: Er wird irgendwie einen Weg finden. Er hat noch nicht geheiratet, er hat auch noch kein Kind, aber möglicherweise dauert es nicht mehr so lange.
Timm: Das sehen wir noch. Fazit: Was haben Sie selbst bei dieser langen und sehr energiereichen Arbeit gelernt?
Filmemacherin 1: Ja, wir haben über diesen Zustand des Im-Asylverfahrens-sich-Befindens und auch über den Zustand der Duldung wirklich viel erfahren. Das ist uns während Recherche und während Dreh absolut unter die Haut gegangen, und wir hoffen, wir können das mit unserem Film auch ein bisschen transportieren.
Filmemacherin 2: Dass man von den Leuten auch was lernen kann, also dass dieses Warten oder diese Diskrepanz zwischen Hoffnung und Realität ja auch in vielen anderen Leben steckt und dass die Fähigkeit irgendwie, den Mut und die Kraft und die Zuversicht nicht zu verlieren, dass man sich davon auch eine Scheibe abschneiden kann.
Timm: Ein sehr eindrücklicher, nicht nur trauriger Film über Asylbewerber, der beim Leipziger Dokumentarfilmfestival ausgezeichnet wurde: „Land in Sicht“ von Antje Kruska und Judith Keil. Sie hoffen auf viele Zuschauer.
Filmemacherin 2: Ja, natürlich!
Filmemacherin 1: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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