Dokument einer schriftstellerischen Obsession

30.04.2007
Truman Capote wurde durch "Frühstück bei Tiffany" (1958) weltberühmt. Ab 1959 beschäftigte er sich obsessiv über fünf Jahre mit einem Mordfall im mittleren Westen. Seine Recherche mündete in das Buch "Kaltblütig", das weltweit ein Erfolg wurde. "Kaltblütig" und der Erzählband "Baum der Nacht" sind nun in neuer Übersetzung erschienen.
Kaltblütig war der Wendepunkt in Truman Capotes Biographie: Zenith und Auftakt seines Niedergangs zugleich. Ausgelöst durch eine knappe Meldung in der New York Times am 16. November 1959 begann der Schriftsteller, der sich damals mit Frühstück bei Tiffany (1958) endgültig an die Spitze der amerikanischen Literatur geschrieben hatte, seine Recherche über einen Mord an einer vierköpfigen Familie. "Ich konnte mich nicht hinsetzen und schreiben", gab er später über seine damalige Stimmung Auskunft, "es war, als stünde im Nebenzimmer eine Bonbonniere, der ich nicht widerstehen konnte. Die Bonbons waren, dass ich über Fakten statt über Fiktionen schreiben wollte. Plötzlich wurden die Zeitungen voll Leben für mich, und mir wurde klar, dass ich mit der Belletristik in eine Sackgasse geraten war".

Capote überzeugte den Chefredakteur des New Yorker, ihn mit einer Reportage zu beauftragen, reiste gemeinsam mit seiner Jugendfreundin, der Schriftstellerin Nelle Harper Lee nach Holocomb in Kansas, um den Schauplatz des ungeheuerlichen Verbrechens kennen zu lernen und begann mit einer literarischen Arbeit, die ihn bis 1965 beschäftigen sollte. Der Fall wurde zu einer Obsession.

In dem Städtchen in der Steppe von Kansas - der Inbegriff dessen, was man sich unter "mittlerem Westen" vorstellt - herrschte der Terror der Angst. Dass ausgerechnet eine von allen geschätzte und wohlhabende Farmerfamilie wie die Clutters das Opfer eines so grausamen Verbrechens geworden war, schürte das Misstrauen der Bewohner untereinander. Ohne erkennbares Motiv war jemand in das Haus der Clutters eingebrochen, hatte die Eltern und die beiden halbwüchsigen Kinder gefesselt, geknebelt und mit Kopfschüssen aus einer Jagdflinte hingerichtet. Dem Vater hatte man zuvor noch die Kehle durchgeschnitten.

Den beiden New Yorkern trat man feindselig gegenüber: Capote, in Künstlerkreisen ein Star, galt hier nichts. Aber er schloss Freundschaft mit dem Leiter der Ermittlungen, Alvin Dewey, Nelle fand Zugang zu den Leuten in Holocomb, und sie begannen, mit allen Betroffenen Gespräche zu führen. Der Schriftsteller verfolgte eine ganz bestimmte Strategie: Er tauchte ein in die Atmosphäre des Städtchens, absolvierte jeden Termin gemeinsam mit Nelle, benutzte nie ein Notizbuch und verstand es, das Gespräch behutsam zu lenken. Erst im Hotel schrieben die beiden Rechercheure aus dem Gedächtnis die Aussagen nieder. Wenn sie etwas vergessen hatten, suchten sie den jeweiligen Gesprächspartner noch einmal auf; oft kam es zu drei Begegnungen pro Tag.

Als am 30. Dezember 1959 die beiden mutmaßlichen Mörder gefasst wurden, veränderte sich die Vorgehensweise. Capote erwarb das Vertrauen von Perry und Dick, den beiden Tätern. Es entspann sich eine kuriose Beziehung. Capote besuchte sie, Briefe wurden gewechselt, Perry spekulierte auf den Einfluss des Schriftstellers und war beeindruckt von dessen Bildung. Uund Capote war elektrisiert von der Tatsache, durch die Freundschaft einen tieferen Einblick in das Seelenleben eines Mörders zu gewinnen.

Perry und Dick fühlten sich geschmeichelt von Capotes Interesse, hatten aber Sorge, dass seine Darstellung die Berufung, die sie eingelegt hatten, zunichte machen würde. Währenddessen hatte Capote mit der Niederschrift seines Buches begonnen. Als Dick und Perry von dem geplanten Titel erfuhren, waren sie empört - die Formulierung "in cold blood" suggeriere einen Vorsatz. In Wirklichkeit hätten sie die Ermordung der Clutters aber nicht geplant.

Die Situation gestaltete sich paradox: Einerseits machte die intime Kenntnis beider Täter das Faszinosum des Schreibens für Capote aus, andererseits war er darauf angewiesen, dass das Todesurteil vollstreckt würde und fürchtete nichts mehr als eine Wiederaufnahme des Prozesses. Außerdem glaubten Perry und Dick, der Schriftsteller könne einen Aufschub der Hinrichtung erreichen. "Das Buch zu schreiben, war nicht so schwierig, wie die ganze Zeit damit zu leben", sagte Capote, der den Gefangenen zwei Mal wöchentlich Briefe schickte.

Er steckte in einem moralischen Dilemma. So sehr ihm sein Vampirismus künstlerisch nützte, so sehr zerstörte die ambivalente Haltung sein Inneres: von den emotionalen Verstrickungen hat sich der Schriftsteller nie wieder erholt. Schon vorab war Kaltblütig jahrelang Gegenstand von Berichten und Reportagen. Als es endlich erschien, brach ein Medienrummel los, wie man ihn in den USA bis dahin noch nicht erlebt hatte.

Kaltblütig ist bis heute ein atemberaubendes Buch. Von einer extrem diskreten und nüchternen Erzählerstimme geordnet, reihen sich die Aussagen der Bewohner des Städtchens aneinander, ergänzt durch exakte Beschreibungen und erfundene Dialoge der Clutters, immer wieder unterbrochen von Schilderungen des Gefängnisalltages von Perry und Dick, den Plänen für das Verbrechen, der Autofahrt nach Holocomb. Dadurch kommt es zu einer spannungsgeladenen Gleichzeitigkeit, durchdrungen von der Düsternis einer griechischen Tragödie.

Aber Capote vermeidet eine simple steil aufsteigende Kurve (das Unheil wird von Anfang an durch Redewendungen wie "ohne zu ahnen, dass dies sein letzter Tag sei" oder "es war das Kleid, in dem sie beerdigt werden sollte" benannt) und hebt die Linearität der Erzählung durch ein kunstvolles Muster von Rückblenden, Szenen aus der Ermittlungsarbeit der Polizei, Genrebildern aus dem häuslichen Leben Deweys, Erinnerungen der Schulfreundinnen und Kneipengesprächen nach dem Verbrechen immer wieder auf. Dabei arbeitet der Autor vor allem mit wörtlicher Rede, die den jeweiligen Stil der Gesprächspartner - von Dick, Perry, ihren Eltern bis hin zu den Lehrern und Teenagern in Holocomb - präzise nachahmt. Als Leser hat man das Gefühl, den Beteiligten direkt gegenüber zu sitzen; zugleich wird ein raffiniertes Psychogramm der Täter entfaltet. Mit Kaltblütig erfand Capote das Genre des Tatsachenromans und wurde zu einem Wegbereiter des "New Journalism".

Vergleicht man die neue Übersetzung Thomas Mohrs mit der ebenfalls noch lieferbaren Übersetzung von Kurt Heinrich Hansen fühlt man sich in dem bestätigt, was Walter Benjamin in seinem berühmten Aufsatz "Die Aufgabe des Übersetzers" feststellte: Im Unterschied zu den Originalen altern Übersetzungen. Sie sind zeitverhaftet.

Die - immer noch absolut lesbare und korrekte - Übersetzung von Hansen, die 1966 erschien, atmet den Geist der frühen 60er Jahre. Das lässt sich vor allem an der Lexik ablesen. Als die beiden herausgeputzten Mörder beschrieben werden, spricht Hansen von "Strizzis", während sich Mohr für das witzigere "Pomadenhengste" entscheidet. Hansen schreibt "Angst haben", Mohr spricht von "Manschetten haben". Geld heißt bei Hansen "Piepen", während Mohr den Begriff "Finanzen" wählt, was besser zu der aufgemotzten Redeweise der beiden Halunken passt und den Figuren die Coolness verleiht, die sie auch im Original besitzen.

Oft zeigt sich Mohr einfallsreicher und phantasievoller. Was bei Hansen einfach nur "wilde Salons" sind, sind bei Mohr "Remmidemmi-Salons". Hansens Übersetzung ist insgesamt etwas gestelzter und hat Patina angesetzt; Thomas Mohrs Übertragung wirkt frischer, direkter, unverkrampfter und ist oft auch genauer.

Ein ganz anderer Capote tritt uns in dem Erzählungsband Baum der Nacht, genau wie Kaltblütig Teil der neuen Zürcher Ausgabe, entgegen. Zum ersten Mal sind hier Capotes Kurzgeschichten vollständig versammelt. Neben Neuübersetzungen bekannter Klassiker finden sich sechs Erstveröffentlichungen. "Ich bin etwa so groß wie eine Schrotflinte - und genauso laut", beschrieb sich der Schriftsteller mit der für ihn typischen Schlagfertigkeit, der als Lieblingskind des New Yorker jet sets, Stilikone und geniales Lästermaul ein unverzichtbares Beiwerk für jede Party war. Seine sprühende Seite ist in den Erzählungen auf jeder Seite spürbar: seine short stories sind kristallin, stilistisch aus einem Guss und laufen auf eine Pointe zu.

Gleichzeitig zeigt sich auch Capotes untrügerisches Empfinden für Abgründe. In "Die Wände sind kalt" bandelt ein Mädchen der New Yorker upper class mit einem Matrosen an, um ihn zurückzuweisen, als er sie auf grüne kalte Farbe ihrer Zimmerwände aufmerksam macht. Damit bringt der Mann alles das auf den Punkt, was sie sich niemals einzugestehen traut: Einsamkeit, Leere und innere Kälte.

In "Das Schnäppchen" trifft eine Dame aus Manhattan eine ehemalige Nachbarin wieder und muss entdecken, dass die einst so glamouröse Frau einen sozialen Abstieg erlitten hat. Mit demütigender Arroganz kauft sie ihr einen alten Pelzmantel ab. Sowohl "Baum der Nacht" als auch "Kaltblütig" sind eine Wiederentdeckung wert. Sie haben nichts von ihrer Brisanz eingebüßt. Sie erzählen von den Untiefen der menschlichen Seele.

Rezensiert von Maike Albath

Truman Capote: Kaltblütig. Wahrheitsgemäßer Bericht über einen mehrfachen Mord und seine Folgen
Aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr
Kein & Aber, Zürich 2007.
535 Seiten, 22, 80 Euro

Truman Capote: Baum der Nacht. Alle Erzählungen
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner
Kein & Aber, Zürich 2007
448 Seiten, 22, 80 Euro.
Mehr zum Thema