Dokument der Verunsicherung

Von Albrecht Ude · 30.09.2009
Das Internet-Manifest, das am 7. September 2009 von 15 Journalisten und Web-Autoren veröffentlicht wurde, ist eine Reaktion auf vieles Unausgegorene, was derzeit ausgestoßen wird. Schade bloß, dass es ebenso unausgegoren ist, meint Albrecht Ude.
Verunsichert sind zunächst einmal nicht die Journalisten, sondern die Verleger. Ihr traditionelles Geschäftsmodell, der Verkauf von Anzeigen, bringt im Internet viel weniger Geld ein als in gedruckten Zeitungen. Deswegen herrscht Panik: Auf die "Kostenloskultur" des Netzes wird geschimpft und ihr Ende beschworen, ein "Leistungsschutzrecht" wird gefordert und sogar die Nachrichten-Suchmaschine Google beschuldigt, mit fremden Inhalten (eben denen der Verleger) illegitim ein Geschäft zu machen.

Die Verleger sind in einer ähnlichen Lage wie die Musikindustrie, die mit besonders rabiaten Methoden gegen kostenlose Downloads im Netz, sogenannte Piraterie, zu Felde zieht. In Großbritannien und Frankreich wird gar schon diskutiert, Raubkopierern den Netzanschluss zu kappen. Einerseits bringt das Internet mehr Konsumenten, andererseits bleibt weniger Geld hängen.

Bemerkenswert ist übrigens, dass die Onlinemedien des besonders laut fordernden Verlegers Burda erstens besonders gut für die Nutzung durch Google "optimiert" sind, und zweitens, dass mindestens eine Burda-Redaktion fremde Inhalte aus dem Netz genutzt hat, nämlich Fotos aus dem Mode-Weblog "Stil in Berlin". Ohne zu fragen, den Urheber zu nennen und zu bezahlen. So jedenfalls der Vorwurf, der Prozess läuft gerade.

Vor diesem Hintergrund kann man das Internet-Manifest sehen: Es ist eine Reaktion auf vieles Unausgegorene, was derzeit ausgestoßen wird. Schade bloß, dass es ebenso unausgegoren ist.

Es ist sogar ausgesprochen seicht, das zeigt schon der erste Satz. Er lautet: "Das Internet ist anders". Dieser Satz ist nicht mal falsch, solange nicht dazugesagt wird, anders als was das Internet sei. Dieser Satz ist schlicht unvollständig. An jeder der 17 Behauptungen und deren Erläuterungen kann man sich wunderbar leicht reiben. Sie provozieren zum Widerspruch.

Das Manifest ist in 16 Sprachen übersetzt worden, darunter neben den großen europäischen Sprachen auch in Japanisch und Koreanisch, und auch in Exoten wie Serbokroatisch und Thai.

Die Zahl der Kommentare, Trackbacks und Zitate geht in die Tausende. In vielen Blogs wird detailliert und teils auch sehr harsch Kritik geübt. Die kontroverse Diskussion belegt, dass das Manifest wichtige Punkte anspricht.

Leider, und das ist der Hauptfehler, vermischt es unterschiedliche Fragestellungen. Es unterscheidet nicht klar zwischen dem Interesse der Verleger, Geld zu verdienen mit Medien, und dem der Journalisten, Geld zu bekommen von Verlegern. Zu Recht titelte die "Taz" in Reaktion auf das Manifest: "Bitte redet über Geld". Wie man guten Journalismus macht und wie man damit gutes Geld verdient, das sind zwei verschiedene Fragen. Es sind auch beide legitim. Nicht legitim ist hingegen, wenn Verleger einerseits das Geld verdienen, andererseits die Journalisten aber nicht angemessen bezahlen wollen.

Das Urheberrecht ist im Internet-Zeitalter nicht nur durch kostenlose Lektüre und illegale Downloads gefährdet. Es ist ebenso gefährdet durch Verlage und Managements, die ihre Journalisten mit immer schlechter bezahlten "Total Buy-out"-Verträgen knebeln. Dagegen aber hilft kein Manifest, dazu braucht es Organisation. Es ist kein Zufall, dass die freien Journalisten einen eigenen Verband speziell für ihre Interessen gegründet haben: "Freischreiber".

Nicht legitim ist es auch, wenn Medien schlechten Journalismus liefern. Im Internet-Manifest heißt es: "Das Internet verändert, [nein,] verbessert den Journalismus."

Das stimmt so nicht. Davon kann die Deutsche Presseagentur, die dpa, gerade ein Liedchen singen: Sie fiel jüngst auf einen zweifelhaften PR-Gag herein, ein angebliches Selbstmordattentat im Städtchen Bluewater in Kalifornien. Die Story stützte sich auf mehrere gefälschte Websites, Videos bei Youtube, Twitter-Nachrichten und Ähnliches.

Die dpa hat sich jetzt strengere Regeln für den Umgang mit Internet-Quellen verordnet. Insofern verbessert das Internet den Journalismus ganz bestimmt. Eben, sofern man aus Fehlern lernt.

Nur wenige Medien gehen kompetent mit dem Internet um, sowohl, was die Ausnutzung der Publikationsmöglichkeiten angeht, vor allem aber, was kompetente Recherche angeht. In den letzten Jahren gab es viele Fälle von Falschmeldungen, die man durch zwei Minuten guter Online-Recherche vermieden hätte. Davon war nicht nur die dpa betroffen. Nachdenken, wie man im Internet guten Journalismus macht, das müssen alle deutschen Medien, Verlage ebenso wie Redaktionen und Journalisten.

Glaubt man den Initiatoren des Manifests, wollten sie mit dem Text eine Diskussion anstoßen. Das ist ihnen gelungen. Wenn es gut läuft, werden jetzt die Fragen gestellt und die Fakten benannt, die man im Internet-Manifest vergebens sucht.

Albrecht Ude lebt in Berlin und in Friesland. Er arbeitet als freier Journalist, Rechercheur und Trainer mit den Schwerpunkten strukturierter Online-Recherche und Computer Assisted Reporting (CAR), Kommunikationssicherheit, Überwachung und Bürgerrechten im digitalen Zeitalter. Er ist Übersetzer und deutscher Bearbeiter des Text E-Mail Newsletter Standard (TEN Standard). Ude ist kooptiertes Vorstandsmitglied des Vereins "Netzwerk Recherche", der sich für eine Stärkung des investigativen Journalismus einsetzt.