Doku "Wie der Holocaust ins Fernsehen kam"

Dokumentation würdigt Karl Fruchtmanns Film "Zeugen"

09:45 Minuten
Der Regisseur des Filmes, Karl Fruchtmann (links) und Kameramann Jerzy Lipman am Filmset.
Der Filmemacher Karl Fruchtmann (links) ließ Holocaust-Überlebende im deutschen Fernsehen ihre Geschichte erzählen. © picture alliance / United Archives / TelePress
Matthias Dell im Gespräch mit Gesa Ufer |
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Der Regisseur Karl Fruchtmann, selbst Jude und Häftling im KZ Dachau, drehte 1981 einen Film über den Holocaust, in dem zum ersten Mal ausschließlich Überlebende zu Wort kamen. Das Erste zeigt nun eine Dokumentation über dieses Projekt.
"Zeugen - Aussagen zu einem Mord an einem Volk", so lautet der Titel des zweiteiligen Dokumentarfilms von Karl Fruchtmann, der 1981 im deutschen Fernsehen lief. Nun zeigt das Erste eine Doku über diesen Film und seinen Regisseur: "Zeugen - Wie der Holocaust ins Fernsehen kam".

Rückkehr ins Land der Täter

Fruchtmann, geboren 1915 als Sohn eines jüdischen Kaufhausbesitzers, wird 1936 von den Nazis inhaftiert und ins KZ Dachau gebracht. 1937 kommt er unter der Zusicherung, sofort das Land zu verlassen, frei und siedelt nach Palästina über. 1957 kommt er nach Deutschland zurück, wird erst Kabelträger und Kameramann beim Fernsehen und produziert dann bis in die 1990er-Jahre über 30 Filme.
Zurückgekehrt ins Land der Täter sei er auch, weil er die Deutschen habe konfrontieren wollen, sagte der im thüringischen Meuselwitz geborene Fruchtmann später. Seine Dokumentation über den Holocaust sei in diesem Umfang die erste deutsche, sagt der Filmkritiker Matthias Dell. "In dieser konzentrierten Fassung, dass Fruchtmann also wirklich mit Zeitzeugen redet und die erzählen lässt, ist es tatsächlich das erste große Projekt im deutschen Fernsehen."

Grauenhafte und versöhnliche Geschichten

Furchtmanns Film sei sehr nüchtern. "Das beschreibt die Dokumentation auch sehr schön", sagt Dell. "Fruchtmann sitzt bei den Leuten im Wohnzimmer, filmt die dann einfach vor der Gardine, vor dem Vorhang, und die erzählen. Zwischendurch gibt es ein bisschen abstrakte Musik, so ein paar Fahrten am Gelände des KZ Auschwitz entlang. Wenn Bilder von Toten gezeigt werden, dann in Ausschnitten. Und das ist ja ganz wichtig. Das ist das Paradigma, was Filmemacher Claude Lanzmann vor allen Dingen zugeschrieben wird, das sich eben in der Erzählung der Opfer die Perspektive der Täter in den Bildern nicht quasi wiederholen darf."
Ein Negativ mit dem Gesicht einer Frau, auf einer weißen Fläche.
Sechs Millionen Mal ist ein Mensch umgebracht worden, sagte Fruchtmann. In einem Film gab er Überlebenden eine Stimme.© Radio Bremen
Fruchtmanns Protagonisten erzählen teilweise grauenhafte Geschichten. So berichtet eine Frau, dass sie ihr Kind umbrachte, um es den Menschenversuchen von Josef Mengele zu entziehen. "Und dann gibt es wieder sehr versöhnliche Geschichten, wo jemand sagt, dass er keinen Hass auf Deutsche hat", so Dell. Entscheidend sei die Ballung der individuellen Geschichten.

Verdienstvolle Dokumentation

Die Doku "Wie der Holocaust ins Fernsehen kam" sei "verdienstvoll, weil sie an das Thema erinnert und weil sie uns jetzt die Gelegenheit gibt, Karl Fruchtmann zu würdigen", sagt Dell, zumal den Regisseur, der 2003 gestorben ist, heute praktisch niemand mehr kenne. In ihrer Machart sei die Dokumentation allerdings sehr konventionell: "Die Musik ist doch sehr melodramatisch, was mir ein bisschen zu konkret ist."
Man frage sich allerdings, warum nicht auch Fruchtmanns Film noch einmal gezeigt werde. "Ich habe nachgefragt, und es wird geprüft, ob der Film nicht in die Mediathek könnte", berichtet Dell. Es sei schade, dass Fruchtmanns eigene Dokumentation derzeit nicht abrufbar sei. "Der Film wurde damals um 21 Uhr am Sonntagabend ausgestrahlt, dann fragt man sich, warum das heute eigentlich nicht mehr möglich ist."

Die Doku "Zeugen – Wie der Holocaust ins Fernsehen kam" läuft am 26.1.2021 um 0 Uhr im Ersten und ist ein Jahr online verfügbar.

(nho)
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