Doku "Letztes Jahr in Utopia" beim Ophüls-Festival

Reality-TV ist "kein Freifahrtschein"

09:23 Minuten
Mehrere Darsteller aus dem Dokumentarfilm stehen nebeneinander, ein Mann ganz rechts hält eine Trommel, im Hintergrund sind Bäume zu sehen.
Re-enactment in Weiß: Eine Szene aus "Letztes Jahr in Utopia". © Jana Magdalena Keuchel / Katharina Knust / Max Ophüls Preis
Katharina Knust im Gespräch mit Shanli Anwar · 16.01.2019
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In der Sat1-Reality-Show "Newtopia" sollten die Teilnehmer eine neue Gesellschaftsform entwickeln. Das Experiment wurde abgebrochen. Ein Dokumentarfilm blickt nun hinter die Kulissen und hinterfragt das Menschenbild von Reality-TV-Machern.
Während im "Dschungelcamp" derzeit Semi-Prominente Menschen das RTL-Fernsehpublikum mit Weisheiten wie "Adenauer? Das ist doch 'ne Schule!" bespaßen, wird beim Max Ophüls Filmfestival in Saarbrücken im Dokumentarfim-Wettbewerb ein Film gezeigt, der das Reality-TV-Format auseinandernimmt.
"Ich hab mir schon gedacht, im Reality-TV muss jeder eine Rolle haben, da gibt es eine Zicke, ein Püppchen, eine Partymaus, einen Nerd", sagt eine ehemalige Teilnehmerin der Sat1-Reality-TV-Show "Newtopia". Damals, 2015, trat eine Gruppe von 15 gecasteten Teilnehmern an und sollte binnen eines Jahres in einem abgelegenen Waldstück in Brandenburg eine neue Gesellschaftsform entwickeln - und wurde dabei gefilmt. Das Experiment endete schnell im Streit und wurde abgebrochen.
Für den Dokumentarfilm von Jana Magdalena Keuchel und Katharina Knust "Letztes Jahr in Utopia" kehren sechs der insgesamt 15 Teilnehmer auf das Gelände zurück. Knust sagt, die Motivation für diesen Film sei aus einer Verwunderung darüber entstanden, "dass es gesellschaftlich anerkannt ist, sich in diesen Formaten über andere Menschen zu erheben und gemeinsam über jemanden zu lachen. Wir haben verschiedene Formate geschaut und sind bei dieser Sendung hängengeblieben, weil uns dieser Gedanke fasziniert hat, dass man sich innerhalb so eines Reality-Fernsehformat darüber Gedanken macht, in was für einer Gesellschaft man gern leben würde."

Die Inszenierung transparent machen

Für ihre Doku nutzten sie die Form des sogenannten Re-enactments, das heißt Schlüsselszenen werden vor den ehemaligen TV-Teilnehmern von weiß gekleideten Schauspielern nachgespielt. Auf dem Pullover des Sprechers steht auch seine Funktion. Das Filmteam des Dokumentarfilms ist zu sehen und auch das Set. Man wollte damit die Inszenierung bei Reality-Sendungen transparent machen, sagt Knust:
"Wir wollten so weit wie möglich weg von dem Format und haben uns für eine ganz reduzierte Form entschieden. Wir haben unter anderem mit der Architektin von der Produktion gesprochen. Wir haben ein Architekturmodell gesehen, wo schon kleine weiße Figuren standen, die in bestimmten Szenen auch schon arrangiert waren, was für uns dafür stand, wie alles schon geplant und inszeniert war. Wir haben es in einer abstrahierten Form nochmal gespielt, um die Möglichkeit zu haben, dass unsere Teilnehmer sich nochmal selbst zuschauen können und wir sie dabei beobachten dürfen."

"Kein Freifahrtschein"

In einer der nachgespielten Szenen wurde zum Beispiel im TV-Format Geld geboten, wenn sich einer aus der Gruppe die langen Haare abschneiden lässt. Man sieht jetzt im Film die Wirkung auf die früheren Teilnehmer. Sie ist sehr emotional. Knust erklärt:
"In diesen Formaten wird man ja reduziert auf einen bestimmten Charakter – und nur das wurde sichtbar gemacht. Wir haben den Sprecher und die Musik ins Bild geholt, um das zu entlarven – und die Teilnehmer wirklich sprechen zu lassen. Der Wunsch, sich zu zeigen, gesehen zu werden ist ja kein Freifahrtschein dafür, jemanden menschenunwürdig darzustellen."
(cosa)
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