Doktortitel "schmückt ganz außerordentlich"
Der Doktortitel sei für viele Menschen attraktiv, weil er mit einem hohen gesellschaftlichen Rang und finanziellen Privilegien verbunden sei, erklärt der Soziologe Otto Krabs angesichts der Ermittlungen gegen Professoren wegen dem angeblichen Verkauf von Doktortiteln.
Ulrike Timm: Seit einigen Tagen erschüttert ein Skandal die deutsche Hochschullandschaft: Einige Doktoren sollen allzu billig an den teuren Titel gekommen sein, womöglich wurden sie sogar für ein nettes Sümmchen ganz fix promoviert ohne jahrelang herumzuforschen. Dass es mit Titeln aber generell und gerade in Deutschland eine besondere Bewandtnis hat, das weiß der Sozialwissenschaftler Otto Krabs, Autor eines kleinen Lexikons der Titel und Anreden. Schönen guten Tag, Herr Krabs!
Otto Krabs: Ja, guten Tag!
Timm: Herr Krabs, einmal jenseits davon, dass man mit einem Doktor vor dem Namen in vielen Berufen mehr Geld kassiert – was macht den Doktor anscheinend für so viele Menschen so attraktiv, dass sie unter Umständen sogar zu Betrügern werden, um an einen solchen Titel zu kommen?
Krabs: Tja, also, zunächst würde ich sagen, gerade in der gegenwärtigen Gesellschaft ist man bemüht, sich von anderen abzuheben und ein Doktortitel bewirkt dieses natürlich. Er ist, selbst Thomas Mann hat gesagt, der schmückt ganz außerordentlich, und das gilt bis heute. Und dann hat er natürlich auch eine glanzvolle Geschichte, er hat also über Jahrhunderte hinweg einen hohen Rang, gesellschaftlichen Rang gehabt, und das sind wahrscheinlich die Hauptmotive. Und dass das im Berufsleben eine gewisse Rolle spielt, das kann man auch nicht leugnen. Heute hat eine sehr bekannte und sehr angesehene Tageszeitung mit einem Leitartikel zu diesem Thema aufgemacht, das geschieht relativ selten, nur aus wichtigem Anlass, und da ist zu lesen, dass Anwaltspraxen einem promovierten Mitglied 10.000 Euro im Monat mehr zahlen als einem nichtpromovierten. Daran können sie sehen, welcher Anreiz besteht, diesen Titel zu erwerben.
Timm: Wir gehen auch ungern zu einem Arzt, der nicht Doktor ist.
Krabs: So ist es.
Timm: Und in Deutschland schreibt man den Doktor ja in der Regel aufs Türschild oder auf die Visitenkarte. In Österreich ist es vielleicht noch ausgeprägter, da ist jeder Skilehrer ganz schnell Professor. In den USA dagegen ist der Titel fast egal.
Krabs: Ja.
Timm: Haben die deutschsprachigen Länder, ja, ein ganz besonderes Faible für solche Titel?
Krabs: Ich glaube nicht, dass es nur die deutschsprachigen Länder sind. Ich weiß aus Erfahrung, dass man in Italien zum Beispiel, in Hotels, da genügt schon der Doktor, um großen Effekt auszuüben. Wenn man da nicht zufrieden ist mit seinem Zimmer und selbst in einem Grandhotel und man sieht dann, dass der Doktor ist, dann kriegen Sie sofort ein anderes Zimmer, was anderen, weniger dekorierten Sterblichen natürlich abgelehnt wird. In Italien ist allerdings der Professor weniger angesehen als der Doktor, in Deutschland ist der Professor natürlich … also schwebt in den Höhen der akademischen Glorie. Das ist in Italien deswegen nicht so, weil man den Titel Professor also selbst für Klavierlehrer und so was einfach, ohne irgendeinen akademischen Hintergrund, anwendet. Aber der Doktortitel ist da noch was ganz Besonderes und hoch angesehen, genauso in Frankreich.
Timm: Dann weite ich das mal, also nicht ein deutschsprachiges, sondern ein europäisches Faible. Es fällt ja immer noch auf: In Amerika ist es ja schlicht und einfach ziemlich egal.
Krabs: Ja, nun, da werden überhaupt keine Titel verwendet, es spielt keine Rolle. Aber ich bin ziemlich sicher, dass in den akademischen Kreisen der Eliteuniversitäten das eben doch eine große Rolle spielt und vor allen Dingen, wo man den Doktor erworben hat, das ist sicher sehr wichtig.
Timm: In Deutschland wird ja der erlangte Doktor zum Bestandteil des Namens, Herr Dr. Soundso, Frau Dr. Soundso. Na ja, aber es gibt auch in der Promotionsordnung schon das Wort Doktorwürde, die man auch wieder verlieren kann, wenn man zum Beispiel einen Mord begeht.
Krabs: So ist es, ja.
Timm: Welche historischen Wurzeln hat denn diese große Aura, die hierzulande um den Doktor weht?
Krabs: Ja also, der Doktor hat eigentlich unter außerordentlich bescheidenen Verhältnissen die Bühne der menschlichen Eitelkeiten betreten. Er war zunächst mal verwendet worden in der Antike, der römischen Kaiserzeit, für jede Art von Lehrer. Aber das Fatale an der Sache ist, dass auch für die Lehrer der Gladiatoren dieser Titel angewendet wurde und jedermann weiß ja, dass die Gladiatoren im Wesentlichen aus abgeurteilten Räubern und Halsabschneidern bestanden und dass auch diesem Doktor der Gladiatoren keine besondere Ehrenstelle eingeräumt wird. Er war der Diener dieser wenig ehrenwerten Truppe.
Timm: Und bei den Gladiatoren geht es auch mehr um Körper- als um Kopfkunst.
Krabs: Ja, bei den Lehrern muss es wohl um Kopf gegangen sein, der sollte ihnen ja was beibringen, aber daraus muss man ja schließen, dass er ursprünglich eben selbst ein Gladiator war, sonst hätte er ja nicht viel bewirken können. Also, es wird sich im Wesentlichen um ausgemusterte Gladiatoren handeln, die wegen fortgeschrittenen Alters keine rechte Verwendung mehr fanden und die man dann als Lehrer verwendet hat.
Timm: Wer weiß, ob viele Doktoren noch Doktoren sein möchten, wenn sie diese Wurzeln kennen, Herr Krabs.
Krabs: Na ja, wissen Sie, die Väter vieler glanzvoller Familien, die werden auch nicht so gerne in den Vordergrund gestellt, und außerdem hat man ja dann schon, im Mittelalter, dafür gesorgt, dass diese schmähliche Abkunft unter ganzen Girlanden von akademischen Lorbeeren dann barmherzig verborgen worden sind. Das Mittelalter hat den Doktor also in ungeahnte Höhen gebracht. Der Doktor wurde für die Apostel zum Beispiel verwendet und für die großen Kirchenlehrer, und so wurde Thomas von Aquin zum Beispiel Doctor angelicus genannt und Don Scotus Doctor subtilis und Wilhelm von Ockham Doctor Invincibilis, das ist also ein unbesiegbarer Doktor. Und dann beginnt dann mit dem Aufblühen der Universitäten und der gleichzeitigen Entwicklung, die diese Doktoren auch betrieben haben zum modernen Staat hin das Bedürfnis nach Juristen, und das ist eigentlich vom Äußeren her und auch vom Materiellen her geradezu der Höhepunkt der Bedeutung des Doktors. Da war das Doktorexamen die letzte Stufe, die man überhaupt erreichen konnte. Professoren waren damals viel weniger wert als der Doktor. Es gab ungeheuerlich feierliche Veranstaltungen, Insignien der Würde, einen besonderen Hut, ein Buch, Handschuhe und einen Ring, die Doktoren Juris durften ein Wappen tragen, sie wurden übrigens dem Adel sofort gleichgesetzt und in manchen Landständen hatten sie Sitz und Stimme auf der Adelsbank.
Timm: Otto Krabs – er hat geforscht über die Doktortitel bei den Deutschen – im Gespräch mit dem Radiofeuilleton. Herr Krabs, kann man denn sagen, dass der Doktor in unserer modernen Welt in gewisser Hinsicht imagemäßig die vielen Adelstitel früher Jahrhunderte abgelöst hat?
Krabs: Ich glaube, nicht der Doktortitel, aber der Professorentitel. Das glaube ich schon.
Timm: Das ist dann noch eine Nummer höher.
Krabs: Ja. Ich habe also häufig erlebt, dass Leute, kluge Leute, die im Leben wirklich Enormes geleistet haben, die tollsten Anstrengungen unternommen haben, um noch im Alter mit dem Professorentitel sich schmücken konnten. Eigentlich unverständlich bei solchen Leuten, aber sie haben es getan und daraus schließe ich, dass eben eher der Professorentitel das Adelsprädikat des 21., auch schon des 20. Jahrhunderts geworden ist.
Timm: Was meinen Sie denn – schaffen solche Titel nur Distanz gegenüber denen, die sie nicht tragen oder vor allem auch ein Wir-Gefühl bis hin zur Kumpanei bei denen, die sie tragen?
Krabs: In gewisser Weise vielleicht nicht zu Kumpanei – wissen Sie, Professoren sind ja untereinander nicht besonders friedfertig, und gemeinsame Interessen zu verfolgen ist auch immer ziemlich schwierig –, aber doch einen gewissen Respekt von vornherein, und die es nicht haben, da kann man eigentlich nur staunen. Ich kann aus meinem eigenen Leben nur erzählen, als ich promoviert war, da war ich schon im Dienst und kam dann am nächsten Tag in mein Büro. Meine Sekretärin stand mit Tränen da und ich wusste gar nicht, was sie hatte, [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich] ja, Sie sind doch jetzt Doktor, und dann weinte sie noch viel mehr. Und im Verlaufe des Tages bis abends spät habe ich also Parade stehen müssen. Was ich da noch besonders Erinnerung habe, dass ein wirklich erfahrener Mann der Verwaltung, ein verdienstvoller Mann, ein kluger Mann, der am Ende seiner Dienstzeit stand, also, der hatte nun wirklich menschliche und dienstliche Erfahrung genug gesammelt, der hat zu mir gesagt :Ja, wenn man Doktor heißt, dann weiß man, warum man gelebt hat. Daraufhin habe ich dann aber meinen Abschied genommen und habe mich erst mal in meine private Wohnung zurückgezogen.
Timm: Das klingt, als seien Sie nicht so besonders pikiert, wenn man Sie nicht mit Professor und Doktor anredet, Herr Krabs.
Krabs: Nein, bin ich nicht, überhaupt nicht.
Timm: Dann habe ich in diesem Gespräch nicht völlig daneben gegriffen.
Krabs: Nein, haben Sie nicht.
Timm: Ich dachte, ja, mal sehen, was passiert, wenn ich jetzt nicht sage, Herr Professor Doktor Krabs.
Krabs: Ja, dann brauchen Sie sich gar nicht zu beunruhigen, ich mach davon allerdings Gebrauch …
Timm: Auf akademischer Ebene, klar.
Krabs: Nein, und auch im Hotel.
Timm: Gut, da kriegen Sie dann …
Krabs: Irgendeinen materiellen Nutzen muss die Chose ja schon haben.
Timm: Und sei es ein besseres Zimmer. Dank an Otto Krabs, er hat über Titelforschung unter anderem geforscht und wenn Sie das nachlesen möchten: "Von Erlaucht bis Spektabilis – Kleines Lexikon der Titel und Anreden", und falls Sie in die Verlegenheit kommen, einer Gräfin zu schreiben oder einem Bundeswehrgeneral, da kommen Sie dann bestimmt weiter.
Otto Krabs: Ja, guten Tag!
Timm: Herr Krabs, einmal jenseits davon, dass man mit einem Doktor vor dem Namen in vielen Berufen mehr Geld kassiert – was macht den Doktor anscheinend für so viele Menschen so attraktiv, dass sie unter Umständen sogar zu Betrügern werden, um an einen solchen Titel zu kommen?
Krabs: Tja, also, zunächst würde ich sagen, gerade in der gegenwärtigen Gesellschaft ist man bemüht, sich von anderen abzuheben und ein Doktortitel bewirkt dieses natürlich. Er ist, selbst Thomas Mann hat gesagt, der schmückt ganz außerordentlich, und das gilt bis heute. Und dann hat er natürlich auch eine glanzvolle Geschichte, er hat also über Jahrhunderte hinweg einen hohen Rang, gesellschaftlichen Rang gehabt, und das sind wahrscheinlich die Hauptmotive. Und dass das im Berufsleben eine gewisse Rolle spielt, das kann man auch nicht leugnen. Heute hat eine sehr bekannte und sehr angesehene Tageszeitung mit einem Leitartikel zu diesem Thema aufgemacht, das geschieht relativ selten, nur aus wichtigem Anlass, und da ist zu lesen, dass Anwaltspraxen einem promovierten Mitglied 10.000 Euro im Monat mehr zahlen als einem nichtpromovierten. Daran können sie sehen, welcher Anreiz besteht, diesen Titel zu erwerben.
Timm: Wir gehen auch ungern zu einem Arzt, der nicht Doktor ist.
Krabs: So ist es.
Timm: Und in Deutschland schreibt man den Doktor ja in der Regel aufs Türschild oder auf die Visitenkarte. In Österreich ist es vielleicht noch ausgeprägter, da ist jeder Skilehrer ganz schnell Professor. In den USA dagegen ist der Titel fast egal.
Krabs: Ja.
Timm: Haben die deutschsprachigen Länder, ja, ein ganz besonderes Faible für solche Titel?
Krabs: Ich glaube nicht, dass es nur die deutschsprachigen Länder sind. Ich weiß aus Erfahrung, dass man in Italien zum Beispiel, in Hotels, da genügt schon der Doktor, um großen Effekt auszuüben. Wenn man da nicht zufrieden ist mit seinem Zimmer und selbst in einem Grandhotel und man sieht dann, dass der Doktor ist, dann kriegen Sie sofort ein anderes Zimmer, was anderen, weniger dekorierten Sterblichen natürlich abgelehnt wird. In Italien ist allerdings der Professor weniger angesehen als der Doktor, in Deutschland ist der Professor natürlich … also schwebt in den Höhen der akademischen Glorie. Das ist in Italien deswegen nicht so, weil man den Titel Professor also selbst für Klavierlehrer und so was einfach, ohne irgendeinen akademischen Hintergrund, anwendet. Aber der Doktortitel ist da noch was ganz Besonderes und hoch angesehen, genauso in Frankreich.
Timm: Dann weite ich das mal, also nicht ein deutschsprachiges, sondern ein europäisches Faible. Es fällt ja immer noch auf: In Amerika ist es ja schlicht und einfach ziemlich egal.
Krabs: Ja, nun, da werden überhaupt keine Titel verwendet, es spielt keine Rolle. Aber ich bin ziemlich sicher, dass in den akademischen Kreisen der Eliteuniversitäten das eben doch eine große Rolle spielt und vor allen Dingen, wo man den Doktor erworben hat, das ist sicher sehr wichtig.
Timm: In Deutschland wird ja der erlangte Doktor zum Bestandteil des Namens, Herr Dr. Soundso, Frau Dr. Soundso. Na ja, aber es gibt auch in der Promotionsordnung schon das Wort Doktorwürde, die man auch wieder verlieren kann, wenn man zum Beispiel einen Mord begeht.
Krabs: So ist es, ja.
Timm: Welche historischen Wurzeln hat denn diese große Aura, die hierzulande um den Doktor weht?
Krabs: Ja also, der Doktor hat eigentlich unter außerordentlich bescheidenen Verhältnissen die Bühne der menschlichen Eitelkeiten betreten. Er war zunächst mal verwendet worden in der Antike, der römischen Kaiserzeit, für jede Art von Lehrer. Aber das Fatale an der Sache ist, dass auch für die Lehrer der Gladiatoren dieser Titel angewendet wurde und jedermann weiß ja, dass die Gladiatoren im Wesentlichen aus abgeurteilten Räubern und Halsabschneidern bestanden und dass auch diesem Doktor der Gladiatoren keine besondere Ehrenstelle eingeräumt wird. Er war der Diener dieser wenig ehrenwerten Truppe.
Timm: Und bei den Gladiatoren geht es auch mehr um Körper- als um Kopfkunst.
Krabs: Ja, bei den Lehrern muss es wohl um Kopf gegangen sein, der sollte ihnen ja was beibringen, aber daraus muss man ja schließen, dass er ursprünglich eben selbst ein Gladiator war, sonst hätte er ja nicht viel bewirken können. Also, es wird sich im Wesentlichen um ausgemusterte Gladiatoren handeln, die wegen fortgeschrittenen Alters keine rechte Verwendung mehr fanden und die man dann als Lehrer verwendet hat.
Timm: Wer weiß, ob viele Doktoren noch Doktoren sein möchten, wenn sie diese Wurzeln kennen, Herr Krabs.
Krabs: Na ja, wissen Sie, die Väter vieler glanzvoller Familien, die werden auch nicht so gerne in den Vordergrund gestellt, und außerdem hat man ja dann schon, im Mittelalter, dafür gesorgt, dass diese schmähliche Abkunft unter ganzen Girlanden von akademischen Lorbeeren dann barmherzig verborgen worden sind. Das Mittelalter hat den Doktor also in ungeahnte Höhen gebracht. Der Doktor wurde für die Apostel zum Beispiel verwendet und für die großen Kirchenlehrer, und so wurde Thomas von Aquin zum Beispiel Doctor angelicus genannt und Don Scotus Doctor subtilis und Wilhelm von Ockham Doctor Invincibilis, das ist also ein unbesiegbarer Doktor. Und dann beginnt dann mit dem Aufblühen der Universitäten und der gleichzeitigen Entwicklung, die diese Doktoren auch betrieben haben zum modernen Staat hin das Bedürfnis nach Juristen, und das ist eigentlich vom Äußeren her und auch vom Materiellen her geradezu der Höhepunkt der Bedeutung des Doktors. Da war das Doktorexamen die letzte Stufe, die man überhaupt erreichen konnte. Professoren waren damals viel weniger wert als der Doktor. Es gab ungeheuerlich feierliche Veranstaltungen, Insignien der Würde, einen besonderen Hut, ein Buch, Handschuhe und einen Ring, die Doktoren Juris durften ein Wappen tragen, sie wurden übrigens dem Adel sofort gleichgesetzt und in manchen Landständen hatten sie Sitz und Stimme auf der Adelsbank.
Timm: Otto Krabs – er hat geforscht über die Doktortitel bei den Deutschen – im Gespräch mit dem Radiofeuilleton. Herr Krabs, kann man denn sagen, dass der Doktor in unserer modernen Welt in gewisser Hinsicht imagemäßig die vielen Adelstitel früher Jahrhunderte abgelöst hat?
Krabs: Ich glaube, nicht der Doktortitel, aber der Professorentitel. Das glaube ich schon.
Timm: Das ist dann noch eine Nummer höher.
Krabs: Ja. Ich habe also häufig erlebt, dass Leute, kluge Leute, die im Leben wirklich Enormes geleistet haben, die tollsten Anstrengungen unternommen haben, um noch im Alter mit dem Professorentitel sich schmücken konnten. Eigentlich unverständlich bei solchen Leuten, aber sie haben es getan und daraus schließe ich, dass eben eher der Professorentitel das Adelsprädikat des 21., auch schon des 20. Jahrhunderts geworden ist.
Timm: Was meinen Sie denn – schaffen solche Titel nur Distanz gegenüber denen, die sie nicht tragen oder vor allem auch ein Wir-Gefühl bis hin zur Kumpanei bei denen, die sie tragen?
Krabs: In gewisser Weise vielleicht nicht zu Kumpanei – wissen Sie, Professoren sind ja untereinander nicht besonders friedfertig, und gemeinsame Interessen zu verfolgen ist auch immer ziemlich schwierig –, aber doch einen gewissen Respekt von vornherein, und die es nicht haben, da kann man eigentlich nur staunen. Ich kann aus meinem eigenen Leben nur erzählen, als ich promoviert war, da war ich schon im Dienst und kam dann am nächsten Tag in mein Büro. Meine Sekretärin stand mit Tränen da und ich wusste gar nicht, was sie hatte, [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich] ja, Sie sind doch jetzt Doktor, und dann weinte sie noch viel mehr. Und im Verlaufe des Tages bis abends spät habe ich also Parade stehen müssen. Was ich da noch besonders Erinnerung habe, dass ein wirklich erfahrener Mann der Verwaltung, ein verdienstvoller Mann, ein kluger Mann, der am Ende seiner Dienstzeit stand, also, der hatte nun wirklich menschliche und dienstliche Erfahrung genug gesammelt, der hat zu mir gesagt :Ja, wenn man Doktor heißt, dann weiß man, warum man gelebt hat. Daraufhin habe ich dann aber meinen Abschied genommen und habe mich erst mal in meine private Wohnung zurückgezogen.
Timm: Das klingt, als seien Sie nicht so besonders pikiert, wenn man Sie nicht mit Professor und Doktor anredet, Herr Krabs.
Krabs: Nein, bin ich nicht, überhaupt nicht.
Timm: Dann habe ich in diesem Gespräch nicht völlig daneben gegriffen.
Krabs: Nein, haben Sie nicht.
Timm: Ich dachte, ja, mal sehen, was passiert, wenn ich jetzt nicht sage, Herr Professor Doktor Krabs.
Krabs: Ja, dann brauchen Sie sich gar nicht zu beunruhigen, ich mach davon allerdings Gebrauch …
Timm: Auf akademischer Ebene, klar.
Krabs: Nein, und auch im Hotel.
Timm: Gut, da kriegen Sie dann …
Krabs: Irgendeinen materiellen Nutzen muss die Chose ja schon haben.
Timm: Und sei es ein besseres Zimmer. Dank an Otto Krabs, er hat über Titelforschung unter anderem geforscht und wenn Sie das nachlesen möchten: "Von Erlaucht bis Spektabilis – Kleines Lexikon der Titel und Anreden", und falls Sie in die Verlegenheit kommen, einer Gräfin zu schreiben oder einem Bundeswehrgeneral, da kommen Sie dann bestimmt weiter.