DOK Leipzig

Kino im Knast

Die Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen im Sonnenuntergang.
Die Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen im Sonnenuntergang. © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Von Waltraud Tschirner · 01.11.2014
Zum 57. Mal war Leipzig in dieser Woche die Hauptstadt des Dokumentar- und Animationsfilms. Dank des Engagements einer Kunsttherapeutin konnten an mehreren Abenden auch Insassen der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis–Breitingen einige Filme sehen.
Alles begann mit Kaja Schumacher, der sympathischen, agilen Kunsttherapeutin und der Stadt Wien.
"Also tatsächlich war ich in Wien bei einem Dokumentarfilmfestival und dann hier. Beim Dok und bin danach rausgegangen und hatte das Gefühl, dass dieses komplett in andere fremde Welten hineinschauen können, dass da ein ungeheurer Wert drin liegt und dass ich das gerne hier direkt so reinbeamen würde.."
Also wählte sie im vergangenen Jahr die Nummer des Dokfilmbüros und fragte, ob man nicht kooperieren könne. Klar, Kino im Knast klingt doch gut, lasst es uns probieren. Stellte sich natürlich sofort die Frage nach geeigneten Filmen.
Das Festival traf eine Vorauswahl, die Kunsttherapeutin entwickelte mit sechs Insassen, der Jury, einen Kriterienkatalog, auf dem ganz oben die Frage steht: Was erwarten wir von einem Dokumentarfilm? Einer der Filme, die diesmal den Zuschlag erhielten war Gerd Kroskes "Striche ziehen ". Ein Jurymitglied nennt den Hauptgrund dafür:
"Also bei dem Film war das so wegen dem Mauerfall, weil wir ja sozusagen nichts davon erlebt haben. Und deshalb hat es uns interessiert - und wir dachten, den Film könnte man präsentieren."
Der Filmemacher freut sich
Und noch ein Kriterium war ganz wichtig:
"Es ist auch schwer für die Jugendlichen auf andere Sprachen nur zu lesen. Nur auf deutsche Untertitel, die Ausdauer. Die sitzen hier rum und verlieren das Interesse. Die achten dann nicht mehr drauf, obwohl der Film gut ist."
Den Filmemacher freut es, dass sein Film auserwählt wurde und als gelernter DDR-Bürger hat auch er dabei seine Kriterien im Kopf:
"Na auf jeden Fall ist es so, dass er nicht verordnet ist, das ist ja schon mal ne gute Voraussetzung."
Die etwa 80 jungen Männer zwischen 16 und 23 sitzen vor der Leinwand und jubeln über erste skurrile Bilder. Dann werden sie zum ganz normalen Kinopublikum: Sie kichern, sie murmeln und halten gespannt inne, wenn die Geschichte über diese Gruppe Jugendlicher aus Weimar an ihre zentralen Punkte kommt. Wie die Stasi die kreativen jungen Leute unterwandert, beobachtet, schikaniert. Es ist ein buntes Völkchen von politisch Andersdenkenden, Intellektuellen, Künstlern, Sprayern, Punks. Ein explosives Gemisch, das eben auch der Insassenjury gefiel:
"Erst mal war's sehr interessant wegen der Mauer und der Kunst. Wie eigentlich von der anderen Seite diese Kunst entstanden ist. Also den Unterschied zu heute zu sehen und wie die Jungs überhaupt da draufgekommen sind."
Parallelen zwischen heutigem Knast und damaligem Stasiknast?
Bei der anschließenden Diskussion mit dem Filmteam stand vor allem eine Frage im Raum, die nach dem Verräter, dem der damals seine Freunde, sogar seinen Bruder in den Knast gebracht hat und sich ihnen bis heute nicht erklären will oder kann.
Und natürlich spielt auch das Gefängnis an sich eine Rolle:
"Gibt's viele Parallelen zwischen dem heutigen Frauenknast und dem damaligen Stasiknast?"
... wird zum Beispiel Grit gefragt, eine mit uns gekommene Protagonistin, die damals nach dem Verrat im Erfurter Stasiknast saß.
"Ich finde es schön, nicht zu unterfordern"
Bevor der Bus mit der kleinen DOK-Festivaldelegation von Regis-Breitingen zurück fährt nach Leipzig, geht die angeregte Diskussion draußen vor der Tür weiter. Gerd Kroske, der Macher des Films "Striche ziehen" mittendrin. Man sieht ihm an, wie er den Abend mit den jugendlichen Strafgefangenen fand:
"Also toll. Also ich fand das sozusagen son bisschen wie man das so vom Kindertheater kennt, weil ja Kinder zum Beispiel sehr eruptiv und emotional reagieren so beim Gucken und das war hier manchmal ein bisschen ähnlich, ja. Und dann gab's auch ganz konzentrierte Momente, wo ich sehr überrascht war. Ich mein der Film ist 96 Minuten lang, ist auch nicht so leicht gängig. Man muss da schon selber mitarbeiten, um hinterherzukommen und es füllt sich immer weiter und ist halt wie so ne Spirale angelegt. Ja toll - ich fands ganz großartig."
Und auch Kaja Schumacher, die Kunsttherapeutin der Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen ist zufrieden, weil sich ihr Ansatz bei der Arbeit mit den jungen Männern bestätigt hat:
"Ich finde es schön, nicht zu unterfordern. Das passiert nämlich häufiger als man denkt."
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