"Dogma" auf der Bühne

Von Bernhard Doppler |
Zunächst wird ein Filmfan wohl ernüchtert sein, wenn er Kultfilme von Lars von Trier auf der Bühne sieht, und er wird im Theater schmerzlich registrieren, was er alles entbehren muss: die Üppigkeit der Szenerie, die Differenziertheit des Ausdrucks, die lieb gewonnen Darsteller.
Zur Zeit muss der Filmfan öfters leiden: Im deutschen Theater werden 2007/2008 nämlich immer wieder Lars von Trier-Filme als Theaterstücke vorgeführt; letztes Wochenende gab es "Idioten" in Heidelberg, nun "Breaking the Waves" im Gorki-Theater Berlin. "Manderlay", "Dogville", "Europa" werden folgen. Am 5.10 wird sogar noch vor dem deutschen Filmstart im Mannheimer Nationaltheater von Triers "Der Boss vom Ganzen" zu sehen sein.

Drehbücher nachträglich für die Bühne einzurichten, bietet sich bei diesem Filmregisseur freilich nicht erst seit "Dogville" an, jenem Film, der nicht nur inhaltlich, sondern auch formal dem epischen Theater Brechts und seiner Verfremdungseffekte verpflichtet ist, ja altmodisch theatralischer erscheint als viele mit modischen Videoeinspielungen durchsetzte aktuelle Theaterinszenierungen. Und die Forderung, einen Stoff durch formale Restriktionen und Regeln zu profilieren, entspricht durchaus der Ästhetik von Lars von Trier, wie sich nicht nur an den Dogma-Regeln zeigt, sondern etwa auch in seinen Reduktions-Experimenten in "Five Obstructions".

Und man sollte ja auch nicht, wenn das deutsche Theater auf Drehbücher zurückgreift, gleich pauschal auf Ängstlichkeit vor "richtigen" neuen Theaterstücken schließen. Den Wechsel der Medien vom Buch zum Film, vom Film zur Oper, vom Theater zum Film, vom Film zum Theater usw. gibt es schon lange und das Interesse daran ist nicht nur auf eine Verkaufsstrategie reduzierbar, sondern kann ein aufschlussreiches mediales Verfahren sein.

Dennoch: Was bringt das Theater an Mehrwert gegenüber dem Film? Bei den "Idioten" in Heidelberg ist der Stoff, dem sich von Trier mit seinem "dokumentarischen Spielfilm" stellt - eine Wohngemeinschaft, die "Idioten", Behinderte simuliert, um so existentielle, künstlerische Erfahrungen, aber auch ökonomischen Gewinn zu machen - gleichzeitig auch ein genuines Thema des Theaters. Ist eine Schauspieltruppe, die in Rollen lebt und sich so der Wirklichkeit verweigert, nicht auch so eine Gruppe von "Idioten"?

Die Inszenierung von Sebastian Schug hält sich eng an den Film, akzentuiert aber sehr deutlich, fast didaktisch - indem sie zum Beispiel die bürgerliche Gegenwelt auf nur zwei Schauspieler reduziert - das nicht lösbare Problem des Stücks. Theater für Schulklassen als Vorbereitung für den Deutschaufsatz. Die berühmte Gruppensexszene ("Rudelbumsen") ist gegen alle Befürchtung überzeugend gelöst, aber die fast zärtlichen Liebes-Sexszenen mit gespielter Behinderung etwa zwischen Josephine und Jeppe vermisst man.

Noch reduzierter wirkt Christian Lollikes Inszenierung von "Breaking the Waves" im Studio des Gorki-Theaters: 6 Darsteller, 3 Türen, 7 Tische genügen - und was nicht gezeigt werden kann, vor allem die Szenen, in denen Bess als Hure arbeitet, wird erzählt. Die religiöse Dimension des Films - der Bess in ihrer Liebe die Leidensgeschichte Christi antreten lässt und das Wunder der Heilung und die Rückkehr der Glocken zelebriert -kann nur durch Vater-unser-Beten und O-Haupt-voll-Blut-und-Wunden-Singen kompensiert, die bigotte Dorfgemeinschaft durch den fast unbeweglich starrenden Pfarrer vorgeführt (Tim Hoffmann) werden. Ja, der Pfarrer ist, wenn Bess die Hand um seine Schulter hält, auch das Kirchenschiff der Dorfkirche, in der sie mit Gottvater Zwiesprache hält.

Im Laufe des Abends gewöhnt sich auch der Filmfan an die Reduktionen immer mehr, ja man hört beinahe sogar auf, die großartige Emily Watson zu vermissen, zumal mehr noch als bei Hanna Eichel als Besse vor allem die Schauspielerin Christin König als Schwägerin Dodo imponiert.