Dörre: NPD-Verbot greift nicht an der Wurzel

Klaus Dörre im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
In Jena forscht der Soziologe Klaus Dörre an einem eigens eingerichteten Kompetenzzentrum über die Ursachen des zeitgenössischen Rechtsextremismus. Die Aufgabe der Einrichtung bestehe vor allem darin, zu durchschauen, wie sich die extreme Rechte organisiert, sagt Dörre.
Liane von Billerbeck: Eine Chronologie staatlichen Versagens gegenüber den Tätern des NSU. In Jena sind die drei Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aufgewachsen, sie waren dort Mitglied der rechten Jenaer Kameradschaft und haben dort auch eine Bombenwerkstatt gehabt.

An der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, da wurde kürzlich ein Kompetenzzentrum Rechtsextremismus eingerichtet, in dem das Expertenwissen gebündelt werden soll. Der Soziologe Klaus Dörre gehört zu denen, die dort forschen. Er hat sich damit befasst, wie sich rechtsextreme Gruppen in Jena und Saalfeld vernetzen. Herr Dörre, ich grüße Sie!

Klaus Dörre: Ich grüße Sie auch!

von Billerbeck: Wir haben die Chronologie des Versagens staatlicher Behörden gehört. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür?

Dörre: Also in er Öffentlichkeit wird sehr stark diskutiert das ineffiziente Zusammenwirken der verschiedenen Behörden. Das halte ich nur für ein Teilproblem. Ich glaube, dass das Hauptproblem tatsächlich die fehlende Analysefähigkeit in allen Behörden ist, vom Verfassungsschutz bis zu den ermittelnden Polizeibehörden. Wenn Sie sich mal vorstellen, den größten Teil der Informationen, dass also in der rechtsextremen Szene tatsächlich Morde ohne Bekennerschreiben geplant werden, das war seit vielen Jahren bekannt. Das wurde öffentlich verhandelt, in Schriften im Internet. Aber dass keiner der Ermittler tatsächlich darauf kommt, dass dort ein Zusammenhang bestehen kann, das kann man wirklich nur damit erklären, dass es an Kompetenz, an Analysefähigkeit fehlt.

von Billerbeck: Nun gibt es seit Januar 2012 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit dem Ziel, die Mordserie durch den NSU und die Rolle des Staates aufzuklären. Wie bewerten Sie denn den Stand der Ermittlungen nach einem Jahr Arbeit der Abgeordneten?

Dörre: Es ist sehr gut, dass es diese Ausschüsse gibt, dass da intensiv gearbeitet wird, aber ich glaube, dass immer so ein bisschen ein Problem ist, dass dieser Gesamtkomplex dann abgeschoben wird in diese Ausschüsse, und dass die öffentliche Diskussion über das eigentliche Kernthema nicht mehr stattfindet. Das eigentliche Kernthema ist für mich, etwa mit Blick auf Thüringen, aber auch auf Bayern, dass es ja tatsächlich so ist, dass öffentliche Gelder in den Aufbau rechtsextremer Strukturen geflossen sind.

von Billerbeck: Über die V-Männer.

Dörre: Ganz genau. Es brüsten sich V-Männer wie Tino Brandt damit, dass sie öffentliche Gelder bekommen haben und das in erheblichen Größenordnungen, die sie investiert haben in den Aufbau einer Struktur, in diesem Fall Thüringer Heimatschutz, der sozusagen das organisatorische Umfeld dann auch dieser drei Rechtsterroristen gewesen ist.

von Billerbeck: Nun hat aber heute der Thüringer Innenminister via "FAZ" sagen lassen, ohne diese V-Leute ginge es nicht.

Dörre: Also ich habe da große Zweifel. Man muss ja Nutzen und Schaden gegeneinander aufwerten. Wenn Sie berücksichtigen, dass der Verfassungsschutz 80 Prozent seiner Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen bezieht und trotzdem nicht in der Lage war, an den entsprechenden Stellen tatsächlich die Hinweise zu geben, die nötig waren, dann fragt man sich, wie diese Mittel investiert worden sind und wo sie tatsächlich genutzt werden, um solche Strukturen aufzubauen. Da halte ich es für grob fahrlässig, um es milde auszudrücken.

von Billerbeck: Aktuell geht es ja um den neuerlichen Versuch, das ist ja das, was öffentlich am heftigsten diskutiert wird, nämlich das NPD-Verbot. Aber ist das nicht der einfache Weg? Wir verbieten die NPD und dann müssen wir uns mit dem Rest, mit den gesellschaftlichen, politischen oder anderen Gründen für Rechtsterrorismus und Extremismus in Deutschland nicht mehr so befassen?

Dörre: Ich fürchte, dass Sie Recht haben, würde allerdings hinzufügen: Gerade in Thüringen haben wir gesehen, dass die NPD gewissermaßen als legale Ruhezone für die äußerste Rechte, auch die militante Rechte dient, also Leute aus den Kameradschaften, den freien Netzwerken nutzen schon mal gerne die NPD-Strukturen für legale Aktionen. Das muss man berücksichtigen. Trotzdem besteht die sehr große Gefahr, erstens, dass mit einem NPD-Verbot das Thema öffentlich erledigt ist, und zweitens – was mindestens so gravierend ist – können wir schon jetzt sagen, dass die extreme Rechte Strukturen aufbaut - bewegungsförmig informell - die mit einem Parteiverbot überhaupt nicht zu greifen sind.

von Billerbeck: Nun gibt es ja eine Menge Veröffentlichungen über diese Rechtsterroristen, das Buch "Die Zelle" beispielsweise, es gibt sehr umfangreiche Forschungen seit Jahren und Jahrzehnten über Rechtsextremismus oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, von Bielefeld bei Professor Wilhelm Heitmeyer oder in Chemnitz bei Eckard Jesse. Da fragt man sich natürlich: Jena ist der Ort, aus dem die drei Hauptaktivisten des NSU kommen. Sie waren dort in einer rechten Kameradschaft. Dennoch: Was spricht sonst noch dafür, ausgerechnet bei Ihnen an der Universität ein Kompetenzzentrum Rechtsextremismus einzurichten?

Dörre: Also ich glaube schon, dass die Öffentlichkeit erwartet, dass auch die Hochschullandschaft reagiert, und da ist es schon so, dass meines Wissens nicht mal eine Professor, nicht mal eine Professur existiert, die sich speziell mit den Ursachen des Rechtsextremismus in den neuen Ländern auseinandersetzt, und, das kommt dazu, die auch erforschen würde die ausdifferenzierten Gegenaktivitäten. Jena ist ja nicht nur bekannt geworden wegen des sogenannten NSU, sondern auch wegen einer ganzen Reihe von antinazistischen Aktivitäten, Aktionen zivilen Ungehorsams gegen das Fest der Völker der NPD, wo sich Tausende von Leuten beteiligt haben. Und wie diese Aktionen wirken, die von der lebendigen Zivilgesellschaft ausgehen, darüber weiß die Forschung so gut wie nichts.

von Billerbeck: Sie haben nun als einer der ersten Forscher Ergebnisse vorgelegt, haben untersucht, wie sich rechtsextreme Gruppierungen in Jena und auch in Saalfeld, das ist auch so ein Kerngebiet der Rechten, vernetzen und warum sie so erfolgreich sind. Was haben Sie herausgefunden?

Dörre: Also der erste und alarmierende Befund ist: Es geht eigentlich weiter wie bisher. Es ist so, dass die extreme Rechte, auch die NPD, die NPD-Funktionäre versuchen, sich insbesondere auf dem Land als Kümmerer zu präsentieren, dort, wo es keine Strukturen gibt, wo es kein Angebot gibt in der Zivilgesellschaft, da treten sie auf, und das sind dann diejenigen, die etwa den Schnee räumen oder Ähnliches, und da fragt niemand danach, ob das dann jemand von der NPD ist.

Und dann kommt es eben so weit, dass sie einen verdienten Leistungssportler, etwa einen Turner haben in Rudolstadt, der gleichzeitig NPD-Funktionär ist, der aber auf den Gemeindefesten tatsächlich gefeiert wird und prämiert wird für seine Aktivitäten, so, als könne man sein politisches Engagement vernachlässigen. Das erscheint dann wie eine Gesinnung wie jeder andere auch, was, wenn man die Aufmerksamkeitsschwelle nimmt - nehmen Sie den Fall der Ruderin Drygalla - dann dafür spricht, dass die Aufmerksamkeitsschwelle in den lokalen Zivilgesellschaften sehr unterschiedlich ist, genauso wie das rechtsextreme Angebot sehr unterschiedlich ist. Und eigentlich würden Sie Kompetenz vor Ort jeweils brauchen, um genau zu erkennen, was da passiert.

von Billerbeck: Aber mit Verlaub, Herr Professor Dörre: Das sind doch alles Erkenntnisse, die wir seit Jahren haben. Was Sie sagen, die NPD trete als Kümmerer auf, als Kanalisierung auch für die Rechtsextremen, das ist doch alles bekannt, das haben wir doch alles schon erlebt in Mecklenburg-Vorpommern, bestimmten Regionen, auch in Thüringen, in Sachsen, auch in bestimmten Gebieten in Westdeutschland. Was ist das Neue, was diese Forschungen bringen und was auch dieses Kompetenzzentrum bringen könnte?

Dörre: Also die … Es geht ja nicht nur um die NPD. Wenn Sie sich mal Strukturen anschauen etwa in der Region Saalfeld, dann stellen Sie eine breite Palette an rechtsextremen Angeboten fest. Die reichen von einem Rechtsrockkonzert über auch NPD-Veranstaltungen über die freien Kameradschaften et cetera, und das ist in jedem Ort anders. Beispielsweise haben Sie in der Nähe von Saalfeld einen Ort, Schmiedefeld, da kriegt die NPD 18 Prozent der Stimmen, ohne dass da überhaupt irgendwelche parteiförmigen Strukturen wären. Das heißt, wenn Sie da gegensteuern wollen aus der lokalen Zivilgesellschaft, dann müssten Sie die Kompetenz haben, genau diese Angebote, diese rechtsextremen Angebote zu erkennen.

In Jena sind es andere. Da wird die NPD offensiv bekämpft aus der zivilen Gesellschaft, aber sie haben zum Beispiel eine rechtsextreme Burschenschaft, die relativ ungestört agieren kann, die erst mal niemand zur Kenntnis nimmt. Und im Grunde würden Sie Strukturen vor Ort brauchen, die tatsächlich in der Lage sind, zunächst mal die lokale Politik zu motivieren, das Problem überhaupt öffentlich zu machen. Sie haben das ja eingangs schon gesagt, das wird dann oft als ein Standortproblem gesehen. Dass diese Erkenntnisse nicht alle furchtbar neu sind, das mag schon sein. Nur wenn Sie die entsprechenden Strukturen nicht haben in der Zivilgesellschaft, befördert durch die Wissenschaft, dann werden Sie Gegenaktivitäten, die wirksam werden, kaum entfalten können.

von Billerbeck: Wie müssen wir uns das nun vorstellen bei Ihnen in diesem Kompetenzzentrum? Wird da das Wissen aus den anderen Universitäten, von den anderen Forschern, die wir alle schon kennen, gebündelt werden? Wird es dann möglicherweise eine Professur über dieses Thema geben?

Dörre: Also ich kann natürlich nur für mich selbst sprechen, da sind sehr viele Kolleginnen und Kollegen jetzt in diesem Kompetenzzentrum: Fakt ist, dass es diese Vernetzungsstrukturen schon gibt. Wir selbst sind eingestiegen mit der ersten Präsentation unserer Forschungsergebnisse jetzt vor einigen Wochen, wo der Kollege Heitmeyer das Eröffnungsreferat gehalten hat. Also selbstverständlich wissen wir eine ganze Menge, das Wissen muss gebündelt werden, aber es gibt auch vieles, was wir noch nicht wissen.

Es können diese Strukturen eigentlich nur entstehen aufgrund von radikalen Milieus, die die Aktivitäten gewissermaßen befördern, die die Rechtsterroristen dann vorgenommen haben. Wie das genau funktioniert, das wissen wir nicht, und wie es im Fall des NSU passiert ist, da könnte vielleicht Frau Zschäpe Auskunft geben oder könnte das engere soziale Umfeld Auskunft geben, aber da sind sehr viele offene Fragen, genauso wie bei den Gegenstrategien.

von Billerbeck: Das sagt der Soziologe Klaus Dörre, der im Kompetenzzentrum Rechtsextremismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena forscht. Ich danke Ihnen!

Dörre: Ich bedanke mich auch!

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