documenta-Reiter auf dem Weg nach Kassel

"Schön wäre, man könnte sich frei bewegen"

Die deutsche Reiterin Tina Boche und der ungarische Reiter Zsolt Szabo am 09.04.2017 mit ihren Pferden am Fuße der Akropolis in Athen
Die deutsche Reiterin Tina Boche und der ungarische Reiter Zsolt Szabo im April 2017 mit ihren Pferden am Fuße der Akropolis in Athen © picture alliance / Alexia Angelopoulou/dpa
Tina Boche im Gespräch mit Britta Bürger · 28.05.2017
Vier Reiter haben sich im Rahmen der documenta auf den Weg von Athen nach Kassel gemacht. Auf alten Handelswegen, auch Route vieler Geflüchteter. Mit dabei ist Tina Boche. Wir haben sie an der serbisch-kroatischen Grenze erreicht, wo gerade nicht alles glatt zu laufen scheint.
Britta Bürger: Wir waren zur Eröffnung der documenta Anfang April in Athen dabei, als sich eine Gruppe von Wanderreitern am Fuß der Akropolis postierte, um von dort einen 100-Tage-Ritt in die andere documenta-Stadt anzutreten: 3000 Kilometer von Athen nach Kassel. "Durchreise des Hermes", ein Projekt des schottischen Künstlers und Dokumentarfilmers Ross Birrell. Vier Reiter, darunter eine Frau, haben sich also auf den Weg der Balkanroute gemacht, jener Route, über die sich hunderttausende Syrer und andere Exilanten in den vergangenen zwei Jahren zu Fuß durchgeschlagen haben. Heute sind die Reiter genau 50 Tage unterwegs, und wir wollen hören, wie es ihnen geht. Ich habe Tina Boche kurz vor der Sendung in Kroatien erreicht. Schönen guten Abend!
Tina Boche: Guten Abend zurück!
Bürger: Wo genau und in was für einer Situation erreichen wir Sie?
Boche: Ich sitze in Kroatien vor dem Reitstall, in dem ich eigentlich mit den Pferden sein wollte. Jetzt sind die Pferde leider noch in Serbien, weil bestimmte Formalitäten an der Grenze nicht ausreichend waren. Wir durften in Serbien ausreisen, aber nicht in Kroatien einreisen, da hat man uns überhaupt nicht durch die Grenze gelassen. Wir waren 24 Stunden lang mit unseren Pferden zwischen den Grenzen.
Bürger: Aber wie konnten Sie die Pferde da jetzt alleine zurücklassen?
Boche: Nein, wir haben sie nicht alleine zurückgelassen, wir haben einen Zaun aufgebaut und haben neben den Pferden gecampt bis irgendwer eine Lösung gefunden hat, dass wir durch die Grenze rausfahren dürfen. Das heißt, mitten in der Nacht haben wir einen Chef und noch einmal Chef und noch mal jemanden angerufen, und man hat uns dann doch noch rausgelassen nach 24 Stunden.
Bürger: Das heißt, Sie sind jetzt eigentlich wieder einen Schritt zurück.
Boche: Wir sind einen Schritt zurück und müssen morgen nach Belgrad fahren und hoffen, dass das Veterinäramt in Belgrad dieses Formular für uns hat, es auch an dem Tag aushändigen will und so weiter und so fort, dass wir vielleicht Montagnachmittag oder Dienstagvormittag die Prozedur Grenze wieder angehen können.

"Also mit den Nerven ist man echt am Ende"

Bürger: Waren die Grenzübertritte überhaupt das Schwierige oder das Schwierigste an dieser Reise?
Boche: Ja. Ja. Das Schwierigste und das nervlich… Also mit den Nerven ist man echt am Ende, weil das ist unglaublich, dieses Durcheinander. Zum Beispiel, wir müssen die Formulare in Belgrad holen, weil die nicht mailbar sind zur Grenze und solche Sachen. Dann wird hier abgeschrieben, dort abgeschrieben, jeder muss handschriftlich das eintragen, und das dauert Stunden. Also das ist unglaublich.
Gerade die Tiere, die dann in der Sonne teilweise stehen und die man ja eigentlich füttern will und wassern will, und das ist alles sehr, sehr umständlich. Wir haben natürlich viel dabei und haben schon unsere Strategien. Wir haben Zäune dabei, wir tun sie teilweise aus den Hängern raus, zäunen irgendwo schnell was ein und lassen sie grasen, aber wäre schön, es würde schneller gehen.
Bürger: Beschreiben Sie uns ein bisschen das, was Sie jetzt 50 Tage lang erlebt haben. Wie geht das überhaupt, dass man diagonal durch Europa auf den alten Post- und Handelsrouten reist wie vor 150 Jahren.
Boche: Also wir sind erstaunt, dass das sehr gut geht. Wir haben natürlich zwei Probleme: Die sehr befahrenen Handelswege sind jetzt natürlich Autobahnen, also für uns nicht möglich zu gehen, also wir müssen Alternativen suchen, oder das andere Extrem: Diese Wege werden überhaupt nicht mehr gegangen, sodass wir sehr viel Mühe haben, diese Wege zu gehen, dass die oft so bewaldet sind, bewachsen sind, dass sie nicht mehr erkenntlich sind, dass wir absteigen müssen, weil wir da überhaupt nicht mehr durchreiten können. Teilweise sind sie gut erhalten, auch als Wanderwege gekennzeichnet, und dann geht das wunderbar.
Kunst mit Pferd: Tina Boche, Zsolt Szabo, Peter van der Gugten und David Wewetzer reiten von Athen nach Kassel
Kunst mit Pferd: Tina Boche, Zsolt Szabo, Peter van der Gugten und David Wewetzer reiten von Athen nach Kassel© picture alliance / dpa / Alexia Angelopoulou
Bürger: Sie selbst unterhalten sonst einen Reiterhof in der Nähe von Augsburg, machen aber auch regelmäßig lange Wanderritte in Südamerika. Wie haben jetzt die Menschen reagiert, die Sie unterwegs in Europa getroffen haben? Das erlebt man ja heute kaum noch, dass einem Reisende auf dem Pferd begegnen.
Boche: Die Menschen in den Ortschaften, die wir um Wasser bitten, die wir um eine Wiese bitten, die wir um teilweise Heu oder auch Getreide bitten, sind sehr, sehr nett, also sind sehr hilfsbereit. Die Pferde öffnen die Herzen der Menschen. Das ist etwas ganz Besonderes. Man kommt überall in Kontakt mit den Menschen. Sie kommen raus und winken und freuen sich, und das ist was ganz Besonderes.
Bürger: Was bekommen sie davon mit, dass das ja auch die Route vieler Menschen war, die auf der Flucht waren?
Boche: Wir sehen sie. Also gestern haben wir viele Leute laufen sehen an der Straße, auch zur Grenze, zur gleichen, die wir gehen mussten, und uns ist ja in etwa das Gleiche passiert: Wir standen zwischen den Grenzen, hatten nicht die Formalien, die benötigt waren, um rein und raus zu gehen, und man ist dann richtig wehrlos. Man weiß gar nicht, was man machen soll.

Inspiriert von einer Pferde-Reise von Buenos Aires nach New York

Bürger: Dieses documenta-Projekt heißt ja "Durchreise des Hermes" in Anlehnung an den Götterboten Hermes. Nach ihm haben Sie auch Ihr mitlaufendes Packpferd genannt. Welche Botschaft soll Hermes denn eigentlich überbringen?
Boche: Also die Botschaft, die Hermes mitbringen soll, ist die Botschaft, dass es schön wäre, man könnte sich frei bewegen. Das ist die Botschaft, die Hermes mitbringen soll. Einfach, dass diese Grenzen, diese Formalien, alle diese Sachen vielleicht doch geringer werden oder wegfallen und somit der Durchweg, der Transit erleichtert wird.
Bürger: Inspiriert ist dieser Ritt ja von einer anderen Tour zu Pferd, die Ende der 1920er-Jahre von Buenos Aires nach New York unternommen wurde, von dem Schweizer Aimé Félix Tschiffely. 1933 hat er ein Buch darüber veröffentlicht. Inwiefern gibt es da Verbindungen zwischen dem, was er damals erlebt hat und Ihren eigenen Erfahrungen jetzt auf dieser Reise?
Boche: Also erstens bin ich ja in Argentinien geboren und somit kenne ich diese Reise von Tschiffely sehr gut, denn in Argentinien ist er ein Nationalheld, natürlich auch seine beiden Pferde. Das hat mich in meiner Kindheit schon sehr geprägt. Jetzt damit verbunden ist auch diese Schwierigkeit, unterwegs zu sein, diese Schwierigkeit, von einem Land zum anderen zu kommen. Das verbindet auch ein bisschen diese Idee, mit einer lokalen Pferderasse unterwegs zu sein. Deswegen nehmen wir unser griechisches Pferd mit. Ich glaube, dass da noch sehr, sehr viele Verbindungen sind und Parallelen sind, obwohl so viele Jahre her sind.
Bürger: Ross Birrell dreht über den Ritt von Athen nach Kassel einen Dokumentarfilm. Heißt das, der fährt jetzt auf anderen Wegen mit dem Auto immer hinterher?
Boche: Wir haben ein Filmteam dabei. Er kommt nicht mit, sondern es gibt bestimmte Punkte, strategische Punkte, wo er dabei ist, wo er filmt. Unsere normale Filmcrew ist mit uns teilweise synchron, sofern dies möglich ist.
Bürger: Die "Durchreise des Hermes" geht weiter durch Slowenien und Österreich bis nach Deutschland. Geplante Ankunft in Kassel ist der 8. Juli. Mal sehen, ob das zu halten ist, Tina Boche. Ich hoffe, dass wir uns dann da wiedertreffen und wünsche Ihnen weiterhin eine gute Reise, einen guten Ritt!
Boche: Danke, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. DLFKultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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