Disziplinierung mit allen Mitteln

Gewalt an den Schulen ist - leider - alltäglich geworden. Dass daran aber auch Lehrer beteiligt sind, zeigen Angelika Bachmann und Patricia Wolf in ihrem aufrüttelnden Buch "Wenn Lehrer schlagen" anhand vieler Beispiele: Da werden Kinder an den Haaren gezogen, mit einem Buch geschlagen, befummelt und betatscht oder mit Worten und Blicken unter Druck gesetzt.
Weil Rebecca mit dem Stuhl kippelt, schreit die Lehrerin sie an und als das nichts nützte, stößt sie die Siebenjährige in die Seite. Achtzehn Monaten lang traktiert die meist schlechtgelaunte Frau das Kind. Rebecca zieht sich immer mehr in sich selbst zurück, wird krank und mag nicht mehr zur Schule gehen. Die Eltern stehen vor einem Rätsel. Rebeccas Martyrium findet erst mit dem Schulwechsel des Mädchens ein Ende. Und nicht weil, die Lehrerin ihr Verhalten änderte oder nicht mehr unterrichten durfte!

Dabei ist Rebeccas Schicksal kein Einzelfall, wie Angelika Bachmann und Patricia Wolf in ihrem aufrüttelnden Buch "Wenn Lehrer schlagen. Die verschwiegene Gewalt an unseren Schulen" deutlichen machen. Anhand Dutzender von Beispielen zeigen die Autorinnen Lehrer kennen in Sachen Disziplinierung keine Grenzen, da werden Kinder an den Haaren gezogen, mit einem Buch geschlagen, befummelt und betatscht oder mit Worten und Blicken unter Druck gesetzt.

Nach außen dringt davon kaum etwas. Zwar wird über Gewalt an Schulen inzwischen öffentlich und heftig debattiert, dass daran aber auch Lehrer beteiligt sind, darüber wird geschwiegen. Oder besser gesagt, es wird verschwiegen auch von Seiten des Kollegiums. Und genau das ist das Problem, dass die Autorinnen, selbst Mütter zweier in der Schule misshandelter Kinder, jetzt lautstark beklagen. Mutig benennen Angelika Bachmann und Patricia Wolf, die den Verein "Lernen ohne Angst" gegründet haben, was nicht gesehen wird, weil es nicht sein darf!

Die Prügelstrafe ist in deutschen Klassenzimmern offiziell zumindest seit Ende des Zweiten Weltkriegs verboten, wenngleich Bayern und Baden-Württemberg dieses Verbot tatsächlich erst in den 70er Jahren durchsetzten. Allein das ist schon denkwürdig! Im Jahr 2000 wurde das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung - mit Blick vor allem auf die Eltern - im Grundgesetz festgeschrieben.

Dass Lehrer dagegen verstoßen, entspricht so gar nicht unserem Bild von einer demokratischen Schule. Dabei ist allbekannt, dass es um die gleiche Augenhöhe in dieser die Kinder und damit unsere Gesellschaft prägende Institution schlecht bestellt ist. Noch immer gibt es ein Machtgefälle: Zwischen Kindern und Lehrern und übrigens auch zwischen Lehrern und Schulbehörden. Und daran sind auch die Eltern eingewoben.

Viele Eltern lassen sich weiterhin von Lehrern einschüchtern, zögern und hadern, wenn das eigene Kind von Vorfällen berichtet oder mit seinem Verhalten deutlich signalisiert: hier stimmt etwas nicht. Die Autorinnen ermutigen die Eltern einzugreifen. Wie schwer das ist, zeigt das Buch.

Denn Lehrer, Schulleiter, die zuständigen Behörden - so wird es in vielen Fällen beschrieben - bagatellisieren oder vertuschen das Geschehen. Sie alle fürchten Prestigeverlust, Mehrarbeit, und besitzen kaum die Zivilcourage, das betroffene Kind zu schützen und gegen einen schlimmen und unfähigen Kollegen vorzugehen.

Dabei wird in offiziellen Statistiken über Gewalt an Schulen über Lehrer als Täter nicht gesprochen. Die Autorinnen erwähnen verschiedene wissenschaftliche Studien, eher internationale als deutsche. Dennoch gaben in einer Befragung der Universität Bremen 3,9 Prozent der Sekundarschüler an, geschlagen und ein Drittel mit Wort fertig gemacht worden zu sein. Statt auf Zahlen bauen Angelika Bachmann und Patricia Wolf auf unglaublich viele Einzelfälle, auf die sie durch ihren Verein "Lernen ohne Angst" aufmerksam wurden.

In einer emotionalen, ja emotionalisierten Sprache schildern und beklagen betroffene Mütter und Väter das Verhalten des Lehrers gegenüber ihrem Kind. Hier hätte eine Versachlichung, auch eine Kürzung dem Buch gut getan. Das Urteil der Autorinnen ist klar: Die Lehrer und die sie stützenden, schützenden Schulbürokratie sind schuldig. Das Verhalten der Kinder und der oft nicht weniger anstrengenden Eltern wird ausgeblendet, über die Belastung der Lehrer, die materiellen und sozialen Bedingungen an unseren Schulen nicht gesprochen.

Darin ist das Buch absolut einseitig, wie auch der Titel verspricht. Es ist genau so einseitig, wie über die Gewalt von Schülern zu reden, ohne zu fragen, auf welches Verhalten der Lehrer diese reagieren, ob sie zuvor vielleicht mit launigen Sprüchen abqualifiziert, beleidigt, gedemütigt oder ständig übersehen und abgestraft wurden. Damit stellt das Buch endlich ein Gleichstand her, indem klar ist: hier ist niemand besser als der anderer. Lasst uns nun gemeinsam für ein friedvolles Lernklima in den Klassenzimmern sorgen.

Allerdings setzen die Autorinnen statt auf das Gespräch mehr auf Beschwerde und Klage. Eltern erhalten brauchbare Tipps, wie sie bei Übergriffen von Lehrern vor allem juristisch mit Dienstaufsichtsbeschwerden oder Strafanzeige vorgehen können. Man vermisst Hinweise, wie ein Kind mit der Erfahrung, vom Lehrer geschlagen worden zu sein, begleitet oder betreut werden kann.

Die beiden Autorinnen, PR-Texterin und Kauffrau vom Beruf, bewegen sich psychologisch auf dünnem Eis. Dennoch stoßen sie erneut die Debatte über den Sinn der Schulpflicht an und fragen, ob die strengen Vorgaben auch für die Schulwahl in einer Informationsgesellschaft noch zeitgemäß sind und einem Lernen ohne Angst dienen.

In diesem Sinne wünscht man dem Buch - natürlich neben Eltern und Lehrern - alle jene als Leser, die sich für eine demokratische Schulentwicklung und ein gutes Aufwachsen von Kindern interessieren und dabei auf andere Argumente neugierig sind.


Rezensiert von Barbara Leitner

Angelika Bachmann, Patricia Wolf: Wenn Lehrer schlagen. Die verschwiegene Gewalt an unseren Schulen
Droemer Verlag, München 2007, 288 Seiten, 12,90 Euro