Diszipliniert und überzeugend

Von Philipp Schnee |
Wenn die "Abendsterne" ein Konzert geben, dann wird nicht nur gesungen. Es gibt dann ein aufwendiges Bühnenspektakel. Doch für die ausgefeilte Choreografie bedarf es vielerlei Übung - und Disziplin von allen Teilnehmern.
Auf dem Parkplatz spielen ein paar Kinder Fußball. Vorbei an Sportplätzen geht es in ein typisches Fußballervereinsheim - im Dachgeschoß der schmucklose Proberaum der "Abendsterne": ein schwarzer Flügel, in einer Vitrine ein großer Pokal, auf dessen Spitze ein Fußballer gegen den Ball tritt. Doch möglichen Fehlschlüssen kommt Chorleiter Jörg Thum zuvor:

"Auch wenn wir choreografische Übungen machen, haben wir sonst keine sportlichen Ambitionen. Die Abendsterne sind das K im SKV Eglosheim."

Im Sport- und Kulturverein Eglosheim. Aber musikalische Ambitionen haben sie, die Abendsterne. Immer montags ab 20 Uhr proben die Abendsterne. Etwa 40 Sängerinnen und Sänger sind heute gekommen. Die meisten zwischen 20 und 40 Jahre alt.

Gospel, Musical und Pop: Das ist das Repertoire der Abendsterne. Und damit sind sie äußerst erfolgreich. Jedes Jahr veranstalten sie im Mai ein großes Konzert, 1400 Zuschauer kommen da regelmäßig. In diesem Jahr steht ihre "Night of Happy Music" unter dem Titel "Sonne, Mond und Abendsterne".

2008 schafften sie es sogar ins Finale des ZDF Grand Prix der Chöre. Und beim World Music Festival in Innsbruck haben sie im gefüllten Stadion vor 10.000 Zuschauern gesungen. Erfolge, die nur durch harte Arbeit erreicht werden können.

"Ich hätte gern mal die Männer zusammen, das klingt noch so furchtbar trocken und abgesungen. Eins, zwo, drei ..."

Chorleiter Jörg Thum arbeitet sehr detailliert. Und nicht nur musikalisch verlangt er Präzision:

"Ich bin ein absoluter Disziplinfanatiker, das heißt, mir ist wichtig, dass ein Chor seinen Auftritt gestaltet. Ich kann Handbewegungen, Armbewegungen relativ schlapp machen und ich kann mit viel Körperspannung das Publikum direkt ansprechen. Und das ist auch ein Unterschied, den man sehen kann und den man spüren kann."

Genau deshalb hat sich Hagen Draht vor fast zehn Jahren auch den Abendsternen angeschlossen. Mit seinem früheren Chor hat der IT-Manager in Biergärten und Festzelten gesungen, das Publikum hat ihnen zugeprostet. Der vierstimmige Gesang der Abendsterne hat da eine ganz andere Qualität, findet er, eine Qualität, die er gesucht hat. Und darum unterstützt er auch seinen Chorleiter.

"Also ich find das richtig, dass man ein bisschen die Zügel fest in der Hand hält. Die Leute machen alle mit, die wollen das genau so erleben, die wollen auch diese Disziplin so spüren, die merken, da kommt nachher was raus am Ende, 'ne hohe Qualität."

Die Abendsterne wollen nicht nur durch ihren Gesang überzeugen. Zu ihren Auftritten gehören auch eine ausgefeilte Choreografie, aufwendige Garderobe, ein rundum unterhaltendes Programm:

Jörg Thum: "Und da gehört eben dazu, dass wir mit fahrbaren Podien arbeiten, dass wir mit aufwendiger Licht- und Bühnentechnik arbeiten, dass wir pyrotechnische Effekte mit in die Stücke einbauen, dass einfach das Gesamtpaket stimmt zwischen Show und Musik."

"So, jetzt machen wir ein bisschen Choreografie."

Zwei Schritte nach links, zwei Schritte nach rechts, bei manchen schon mit einem geschmeidigen Hüftschwung, bei anderen noch etwas steif.

Heike Scheurenbrand: "Also, mir persönlich macht das einen großen Spaß. Ich weiß nicht, die Männer haben da manchmal vielleicht 'ne geteilte Meinung."

- sagt Alt Heike Scheurenbrand. Stefan Weiß singt Bass. Er ist seit zwei Jahren dabei:

"Also, am Anfang ist das relativ schwierig, dass man also ordentlich singt und dazu die Choreografie macht, aber es ist schon faszinierend, wie das auf's Publikum wirkt, wie das Publikum dann mitgeht. Dann macht's uns gleich natürlich auch noch mal mehr Spaß."

Weiter geht es mit brasilianischen Rhythmen: Verlockend und vielversprechend kreisen die Damen ihre Schultern. Die Männer in der Mitte wenden sich abwechselnd nach rechts zum Alt und nach links zum Sopran. Das ist alles noch etwas unkoordiniert.

"Diese lasziven Bewegungen, das Rumgewackel. Was machen jetzt die Männer? Die Männer schauen alle nur noch zum Alt." (Gelächter und Unruhe)

Für einen Moment sind die Abendsterne nicht nur ein junger Chor, sondern fast wieder Teenager. Man merkt es den Abendsternen an - bei allen Ambitionen: Singen macht ihnen vor allem Spaß.


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.