Disput über Glauben und Religion

Rezensiert von Stephanie von Oppen |
Kirchgang und religiöses Brauchtum spielen im Alltag der Menschen eine geringere Rolle als früher. Doch die Fragen nach Sinn und Unsinn von Leben und Tod, Glück und Leid, Zufall und Vorsehung stellen sich wie eh und je. Und wie spannend und anregend ein Dialog über Religion und Glaube sein zeig, zeigen Hermann Kurzke und Jacques Wirion in ihrem Buch "Unglaubensgespräche".
Zwei Intellektuelle, der eine, Hermann Kurzke, Professor für neuere deutsche Literatur an der Uni Mainz, der andere, Jaques Wirion, Gymnasiallehrer und Präsident des Luxemburgischen Germanistenverbandes. Beide sind Anfang sechzig. Sie führen einen Diskurs in Briefen über Glauben und Unglauben. Auslöser ist ein Artikel in der FAZ von Hermann Kurzke, der sich über die Autoren neuer Bibel-Editionen ärgert.

"Pubertäre Aufsässigkeit, nicht mündige Souveränität, bestimmt das Verhältnis repräsentativer Teile der deutschen Intelligenz zur Bibel. Dass Religion Niveau haben kann, ist ihnen entweder unbekannt oder nicht gegenwärtig. Nur ja sich nicht bei einem religiösen Gedanken ertappen lassen. Stets Überlegenheit heucheln, als gäbe es den Tod nicht, nicht Sünde und Gnade, nicht unaufhebbares Leid und nicht das Bedürfnis nach Erlösung. Die Macht der Bibel zeigt sich noch am niedrigen Niveau derer, die sie hier abtun. Man wird ihrer nicht lange gedenken, die Bibel aber wird bleiben. "

Der Atheist Jacques Wirion schreibt daraufhin an den Rezensenten:

"Die Bibel kann die Respektlosigkeit genauso gut vertragen wie ein Text von Shakespeare oder Goethe. Wer respektlose Kritiker als kleine Geister hinstellt, belegt damit Mangel an Souveränität und Vertrauen in der Qualität der Texte. Was muss das eine schäbige Gottheit sein, die sich durch eine respektlos-blasphemische Haltung von Menschen beleidigt fühlt."

Die Auseinandersetzung ist eröffnet und Kurzke steigt mit grundsätzlichen Gedanken zum Thema Glauben ein.

"Der Glaube tritt dann in sein Recht, wenn andere Erklärungen versagen. Ungeachtet aller Forschung liegen der Ursprung des Universums und der Ursprung des Lebens in undurchdringlichem Dunkel. Ein Urknall erklärt ja nichts, sondern verlagert nur die Frage zurück, was da eigentlich geknallt hat, was vorher war und warum überhaupt etwas ist. Noch immer ist das Universum erhaben und man tut der Wissenschaft keinen Abbruch, wenn man die Metapher "Schöpfung" darauf anwendet. Bis heute kann die Bioindustrie kein Samenkorn synthetisch erzeugen, keine simple Kastanie herstellen, aus der dann in die Erde gesteckt ein Kastanienbaum wüchse. Noch immer ist das Leben, ist die Welt Wunder. "

Wirion, über den zu erfahren ist, dass seine religiösen Erfahrungen in der Kindheit ihn traumatisiert haben, kontert.

"Vielen Dank für Ihren Text, auch wenn er einen hartgesottenen Atheisten wie mich in vielerlei Hinsicht provoziert. Sie loben den Glauben aus praktischen Gründen in bezug auf Kultur und Lebenskunst, und genau das ist es, was ihn mir anrüchig macht und mich von ihm fernhält: sein praktischer Nutzen. Sie heben, auf der Seite des Glauben stehend, die Vorteile des Glaubens hervor wie ein Sportler die Vorzüge seiner Sportart, ohne dass er dadurch irgendeinen Unsportlichen überzeugen könnte."

Kurzke fühlt sich nicht verstanden und verlässt vorerst die Ebene der persönlichen Glaubensbetrachtung. Stattdessen sinniert er über Thomas Mann, schreibt literarische Betrachtungen zum Tod. Ein gebildetes Gespräch nimmt seinen Lauf, eine Männerfreundschaft entsteht. Die beiden diskutieren über Fortschritt, Glück und Kreuzestheologie, über die Bedeutung von Mythen, über Metaphysik, Sünde und Altruismus. Immer wieder stehen sie vor Fragen wie: Kann man den Trost der Religion gewinnen ohne sich selbst zu betrügen?
Die Briefe und Texte enthalten zahllose Anspielungen auf Literaten und Philosophen von der Klassik bis zur Moderne – darin entwickeln beide Autoren einen geradezu sportlichen Ehrgeiz
Kurzke bietet Wirion schließlich das Du an und rennt damit offene Türen ein.

"Dein Wunsch ehrt mich. In der Tat war mir auch schön öfter danach und so bin ich froh, dass Du als der Ältere den ersten Schritt getan hast. Ich bin auch froh, dass dich meine Analyse nicht verletzt hat, besonders der Hinweis auf den Glauben als Lebens- oder Überlebensmittel in schwieriger Zeit. Die Frömmigkeit meines Vaters habe ich nie empfunden. Die Kleriker, die meine Jugend prägten, waren mit zwei Ausnahmen zutiefst verängstigte und starre Figuren. Als ich in Tübingen mein Studium fürs Lehramt begann, befreite ich mich in einer langen qualvollen Woche von meinem Glauben, wobei sexuelle Bedürfnisse und diesbezügliche Höllenstrafen eine zentrale Rolle spielten. "

Was den Reiz an Briefsammlungen ausmacht, findet also auch in diesem Buch statt - der Leser, die Leserin darf nicht nur an einem intellektuellen Dialog teilhaben, sondern auch am Austausch privaterer Gedanken.
Manchmal erscheint der Diskurs der beiden Männer etwas abgehoben, doch eher ist es ein Genuss den scharfsinnigen und auch scharfzüngigen Argumentationen zu folgen. Beide können überzeugen und bringen das Weltbild des jeweils anderen ins Wanken. Hermann Kurzke schreibt schließlich.

"Es wäre intellektuell so viel leichter, Atheist zu sein. Aber das Gemüt macht nicht mit. Gottlos sein ist für mein Gemüt wie Winter in einem ungeheizten, zugigen Haus. "

Das letzte Wort hat der Atheist, Jaques Wirion, indem er mit einem Zitat von Elazar Benyoetz einräumt.

"Die Wahrheit liegt in der Mitte: zwischen zwei Menschen, die aufeinander zugehen. "

Hermann Kurzke und Jaques Wirion: Unglaubensgespräche
Vom Nutzen und Nachteil der Religion für das Leben
C.H. Beck Verlag
280 Seiten, 22,90 Euro