Diskussionen über das Erhabene
Roald Hoffmann und Iain Boyd Whyte wollen in ihrem Buch die Diskussionen über das Erhabene für „die Diskurse der Naturwissenschaften“ öffnen und Vorurteile abbauen. Denn insofern mit dem Erhabenen unkalkulierbare psychophysische Bewegungen angesprochen sind, halten es viele für unvereinbar mit dem naturwissenschaftlichen Rationalitätsgebot.
Der Blick in den nächtlichen Sternenhimmel ist eine klassische Übung, um dem Erhabenen auf die Spur zu kommen. Folgt man ihr, dringt man unweigerlich in die Geschichte der Philosophie ein und erkennt, dass sich das Erhabene verbindlichen Definitionen bis heute entzieht.
Genauer gesagt: Es ist schon tausend Mal präzise definiert worden, gibt aber begrifflich keine Ruhe. Und das schätzen R. Hoffmann und I. B. Whyte, die Herausgeber des Bandes Das Erhabene in Wissenschaft und Kunst. Sie wollen die Diskussionen über das Erhabene für „die Diskurse der Naturwissenschaften“ öffnen und Vorurteile abbauen.
Denn insofern mit dem Erhabenen unkalkulierbare psychophysische Bewegungen angesprochen sind, halten es viele für unvereinbar mit dem naturwissenschaftlichen Rationalitätsgebot. Hoffmanns These, Wissenschaft könne erhaben sein (bzw. wirken), hat ihm Misstrauen eingebracht. „Viele denken, ich bin verrückt“, bemerkte der Nobelpreisträger im Spiegel.
Neun Aufsätze sollen die Lage ändern. Wer im Erhabenen nicht sattelfest ist, wird für Whytes Einführung dankbar sein, in der die klassisch-ästhetischen Aspekte des Erhabenen sowie politische Dimensionen einschließlich Faschismus und 11. September zur Sprache kommen. Der estnische Psychobiologe Jaap Panksepp kümmert sich enthusiastisch um die „Biologie der Seele“ – die in den ältesten, mit Gefühlen befassten Hirnregionen sitzen soll.
Panksepp streift das Erhabene, indem er „musikalisch induzierte Hautorgasmen“ untersucht – vulgo: Gänsehaut. Der Spaßfaktor ist hoch. Gewalt und Schrecken im Horizont des Erhabenen interessieren Barbara Maria Stafford. Für sie ist das Erhabene „der brutal materielle Anschlag der Natur“ auf eher brave Schönheitsideale, wobei die Kognition wie „mit einem Donnerschlag“ ausgeschaltet werde.
Nachdem Elizabeth A. Kessler die Ästhetik der manipulierten Bilder des Hubble-Weltraumteleskops untersucht hat, beweisen die Herausgeber Ironie. Präzise in der Mitte des Bandes gestatten sie dem Kunsttheoretiker James Elkins seine Tirade „Gegen das Erhabene“. Elkins lässt es nur zur Interpretation romantischer Kunstwerke zu – ansonsten sei es „verdorbene Ware“. Das Weiterlesen lohnt trotzdem.
John Onians skizziert die neuronalen Vorgänge bei erhabenen Gemütsbewegungen und schreibt Kants Analytik des Erhabenen praktisch in die Neurobiologie ein. Höchste Konzentration erfordern Ian Greigs wissenschaftstheoretische Reflexionen über David Bohms Philosophie der Physik. Aber wer sucht, findet hier sogar Erbauliches.
Die Frage, ob das Grenzphänomen des Erhabenen den wissenschaftlich problematischen Diskurs über Gott und Glauben ersetzt, würde Roald Hoffmann, der den Band mit Gedanken zum Erhabenen in der Chemie beschließt, wohl bejahen.
Er unterstreicht den Trost, aus sich heraus und in „innigen Kontakt mit dem Universum“ treten zu können – eben vermittels des Erhabenen. Ob die Naturwissenschaftler dem Erhabenen durch diesen Band gewogener werden, sei dahingestellt. Für alle anderen ist die Prognose einfacher: Wer sich vom bestirnten Himmel noch anrühren lässt, wird das Büchlein zur reflektierten Vertiefung der Erfahrung mit Gewinn lesen.
Besprochen von Arno Orzessek
Roald Hoffmann/Iain Boyd Whythe: Das Erhabene in der Wissenschaft und Kunst.
Über Vernunft und Einbildungskraft
Edition Unseld, Suhrkamp Verlag,
220 Seiten, 14 Euro
Genauer gesagt: Es ist schon tausend Mal präzise definiert worden, gibt aber begrifflich keine Ruhe. Und das schätzen R. Hoffmann und I. B. Whyte, die Herausgeber des Bandes Das Erhabene in Wissenschaft und Kunst. Sie wollen die Diskussionen über das Erhabene für „die Diskurse der Naturwissenschaften“ öffnen und Vorurteile abbauen.
Denn insofern mit dem Erhabenen unkalkulierbare psychophysische Bewegungen angesprochen sind, halten es viele für unvereinbar mit dem naturwissenschaftlichen Rationalitätsgebot. Hoffmanns These, Wissenschaft könne erhaben sein (bzw. wirken), hat ihm Misstrauen eingebracht. „Viele denken, ich bin verrückt“, bemerkte der Nobelpreisträger im Spiegel.
Neun Aufsätze sollen die Lage ändern. Wer im Erhabenen nicht sattelfest ist, wird für Whytes Einführung dankbar sein, in der die klassisch-ästhetischen Aspekte des Erhabenen sowie politische Dimensionen einschließlich Faschismus und 11. September zur Sprache kommen. Der estnische Psychobiologe Jaap Panksepp kümmert sich enthusiastisch um die „Biologie der Seele“ – die in den ältesten, mit Gefühlen befassten Hirnregionen sitzen soll.
Panksepp streift das Erhabene, indem er „musikalisch induzierte Hautorgasmen“ untersucht – vulgo: Gänsehaut. Der Spaßfaktor ist hoch. Gewalt und Schrecken im Horizont des Erhabenen interessieren Barbara Maria Stafford. Für sie ist das Erhabene „der brutal materielle Anschlag der Natur“ auf eher brave Schönheitsideale, wobei die Kognition wie „mit einem Donnerschlag“ ausgeschaltet werde.
Nachdem Elizabeth A. Kessler die Ästhetik der manipulierten Bilder des Hubble-Weltraumteleskops untersucht hat, beweisen die Herausgeber Ironie. Präzise in der Mitte des Bandes gestatten sie dem Kunsttheoretiker James Elkins seine Tirade „Gegen das Erhabene“. Elkins lässt es nur zur Interpretation romantischer Kunstwerke zu – ansonsten sei es „verdorbene Ware“. Das Weiterlesen lohnt trotzdem.
John Onians skizziert die neuronalen Vorgänge bei erhabenen Gemütsbewegungen und schreibt Kants Analytik des Erhabenen praktisch in die Neurobiologie ein. Höchste Konzentration erfordern Ian Greigs wissenschaftstheoretische Reflexionen über David Bohms Philosophie der Physik. Aber wer sucht, findet hier sogar Erbauliches.
Die Frage, ob das Grenzphänomen des Erhabenen den wissenschaftlich problematischen Diskurs über Gott und Glauben ersetzt, würde Roald Hoffmann, der den Band mit Gedanken zum Erhabenen in der Chemie beschließt, wohl bejahen.
Er unterstreicht den Trost, aus sich heraus und in „innigen Kontakt mit dem Universum“ treten zu können – eben vermittels des Erhabenen. Ob die Naturwissenschaftler dem Erhabenen durch diesen Band gewogener werden, sei dahingestellt. Für alle anderen ist die Prognose einfacher: Wer sich vom bestirnten Himmel noch anrühren lässt, wird das Büchlein zur reflektierten Vertiefung der Erfahrung mit Gewinn lesen.
Besprochen von Arno Orzessek
Roald Hoffmann/Iain Boyd Whythe: Das Erhabene in der Wissenschaft und Kunst.
Über Vernunft und Einbildungskraft
Edition Unseld, Suhrkamp Verlag,
220 Seiten, 14 Euro