Diskursivität und Debatte

Katharina Sieverding im Gespräch mit Katrin Heise · 10.09.2010
Die Beuys-Schülerin Katharina Sieverding sieht Düsseldorf auf einem guten Weg, an die "ungeheuerlich inter- und transmediale Stimmung" der 60er- und 70er-Jahre anzuknüpfen. Im Rahmen der Quadriennale zeigt sie im NRW-Forum ihr Fotoarchiv als digitale Raumprojektion.
Katrin Heise: Düsseldorf hat, was zeitgenössische, was Gegenwartskunst angeht, doch einiges zu bieten. Die weltberühmte Kunstakademie: An ihr lehrten und lernten international renommierte Künstler wie Joseph Beuys, die Fotografen Bernd und Hilla Becher, Imi Knöbel, Thomas Ruff, Künstler wie James Lee Byars oder Nam June Paik wurden von der Stadt angezogen und haben hier gewirkt. Aber auch zahlreiche Vertreter der jüngeren Künstlergeneration nahmen ihren Anfang in Düsseldorf.

All das will Düsseldorf mit der alle vier Jahre stattfindenden Quadriennale beleuchten. Zehn Museen und Ausstellungshäuser sind beteiligt - natürlich zum Beispiel mit einer großen Joseph-Beuys-Schau. Die international renommierte Medienkünstlerin Katharina Sieverding war Schülerin im berühmten Saal 20 der Kunstakademie in der Beuys-Klasse, sie arbeitet seit 40 Jahren auch immer wieder in Düsseldorf und zeigt im NRW-Forum ab morgen ihr Fotoarchiv als digitale Raumprojektion. Frau Sieverding, ich grüße Sie ganz herzlich!

Katharina Sieverding: Ich grüße Sie auch!

Heise: Sie haben über 40 Jahre ein umfangreiches Fotoarchiv geschaffen, das ist sozusagen Ihre Analyse, aber auch Ihr Rückblick auf 40 Jahre Kunstschaffen in Düsseldorf. Was macht denn dieses Kunstschaffen für Sie besonders aus?

Sieverding: Das ist in diesem Fall eben ein Chronos über 40 Jahre, also ausschließlich Schwarz-Weiß-Fotografie. Die ersten, die das gesehen haben, sind überrascht, dass ich überhaupt so viel fotografiert habe. Ich habe mich als Autorin, Fotografin eigentlich nie besonders hervorgetan. Eigentlich bin ich ja eher bekannt für die großformatigen Bildkonstruktionen, die sich dann überlagern und die natürlich auch mit zum Teil ganz anderen Materialien zu tun haben.

Heise: Das heißt, wenn Sie 40 Jahre Kunstschaffen in Düsseldorf auch abbilden, auf was haben Sie da ganz besonderen Wert gelegt? So einzelne Stationen zu beleuchten, einzelne Personen hervorzuheben?

Sieverding: Also natürlich sind es einzelne Personen, es sind Künstler, die ich interessant finde, auch zum Teil deren Kunstwerke. Es sind Kollegen, die ich also gut kenne und die ich natürlich auch in sehr engen Begegnungen fotografiert habe. Es sind Eröffnungen, es sind Ausstellungen, es sind Partys, es sind Klubabende, eben die großen offenen Debatten, die ich also auch natürlich in diesem Sinne weiter fortgesetzt habe. Also das ist für mich hochinteressant, das ist faktisch wie in einer Biografie, wo sich also auch plötzlich gewisse Entwicklungsphasen widerspiegeln, indem man plötzlich die Möglichkeit hat, in diesem langen Zeitraum die Dinge miteinander zu vergleichen.

Heise: Lassen Sie uns doch da mal an bestimmte Punkte gehen. Sie waren zwischen 1967 und 72 Schülerin von Beuys an der Kunstakademie, welche Atmosphäre hat er da eigentlich verbreitet?

Sieverding: Also die Atmosphäre war ungeheuerlich diskursiv und offen, also es gab eigentlich täglich, also er war sowieso täglich in der Akademie. Was ich toll fand, waren diese permanenten Ringgespräche zur natürlich Lage, Gesellschaftslage, viele, viele kardinale Fragen zur Kunst. Dann gab es natürlich viele Gäste von außen. Beuys war also derjenige, der Lehrende, der überhaupt dieses Visiting-Artist-Prinzip eingeführt hat, indem er Fluxuskünstler, Fluxuskonzerte veranstaltete, Performances ermöglichte, also viele, viele internationale Künstler in die Akademie brachte und uns natürlich damit auch konfrontiert hat mit Performances und Statements und in Gespräche verwickelt. Es war also eigentlich eine ungeheuerlich inter- und transmediale Stimmung.

Heise: Konnte die Stadt, könnte Düsseldorf, die ihn ja heute sehr gerne ausstellt, konnte die eigentlich damit umgehen?

Sieverding: Die Stadt, würde ich mal sagen, also die hat schon gewissen Anteil genommen, aber das Berufsverbot kam ja doch völlig überraschend und schnell. Für uns war das natürlich …

Heise: Um es vielleicht zu erklären: Beuys erhielt Berufsverbot, weil er – oder wurde von der Akademie abberufen, weil er sich geweigert hat, ein Auswahlverfahren stattfinden zu lassen. Er wollte alle Schüler, die sich bei ihm bewerben, auch aufnehmen.

Sieverding: Ja, er hat sich gegen dieses, den Numerus clausus gewehrt und sagte, in der Kunst macht es überhaupt keinen Sinn. Und er hat das Büro besetzt und wollte eben - ich meine, wir waren immer sehr viele - aber sein Prinzip war: Also je mehr Köpfe da zusammenstecken und miteinander denken und so weiter, desto mehr kann bewegt werden.

Heise: Na, ich frage mich gerade, wie so eine Atmosphäre in einer Stadt wie in Düsseldorf die Atmosphäre irgendwie beeinflusst wurde durch eben eine Akademie, durch einen Lehrer Beuys, durch seine ganzen Schüler und Studenten, die das eben so, wie Sie es auch beschrieben haben, mitgemacht haben:Wo diskutiert wurde, wo danach gelebt wurde, wo man Aktionen gestartet hat. Hat sich das widergespiegelt in den Straßen?

Sieverding: Sagen wir mal im näheren Umfeld der Akademie, also in der Altstadt, auf jeden Fall. Was natürlich ja auch hinzukam, dass er relativ viele Aktionen gemacht hat: in Düsseldorf natürlich, also diese Rheinüberquerung oder bei Schmela und so. Also da war das natürlich großer Auflauf, großes Interesse. Er hat aber zur gleichen Zeit natürlich auch in Europa und auch in Deutschland viele Aktionen veranstaltet. Da kamen dann immer, wenn er irgendwo auftrat, war dann die Begeisterung der jüngeren Zuschauer oder Besucher, die war so groß, dass sie dann auch bei ihm studieren wollten. Die waren dann so angeregt. Was er da also durch seine Performances also erreicht hat, war ein hohes Interesse, also wir wollen weiter, wir wollen auch mit in den Diskurs. Und die sind dann nach Düsseldorf gekommen und haben dann natürlich versucht, auch ihr Studium da zu beginnen oder weiter fortzusetzen.

Und in Düsseldorf selber, die Stimmung war eigentlich lange Jahre gut, aber innerhalb der Akademie gab es natürlich doch ziemlich schnell Fronten, dass das zu viel wurde, dass also einfach die Anzahl der Studenten um Beuys herum, die auch natürlich mit in diese Auseinandersetzung um die Reform der Akademie und mit den anderen Professoren oder mit den anderen Klassen, also die waren natürlich skeptisch und empfanden natürlich, dass Beuys sich immer mehr Verstärkung holt, um eben seine Ansichten durchzusetzen. Und da gab es dann natürlich die ersten Konfrontationen und Polarisierungen.

Heise: Im Deutschlandradio Kultur hören Sie anlässlich der Düsseldorfer Quadriennale die Medienkünstlerin Katharina Sieverding. Mit Ihnen, Frau Sieverding, aber auch mit Künstlern wie Nam June Paik oder Thomas Ruff nahm ja die Medienkunst also in Düsseldorf, ja, Fahrt auf möchte ich es mal nennen. Was ist eigentlich daraus geworden?

Sieverding: Ich bin gespannt, wie jetzt also zum Beispiel die Paik-Ausstellung, wie das also aufgebaut, wie das also alles konzipiert wird. Da findet ja auch der Nam June Paik Award statt, also ich bin auch in der Jury, und da werden ja dann wiederum junge Mediennachwuchskünstler sowohl von der Akademie als auch die von einem internationalen Gremium vorgeschlagen werden da jetzt parallel zu der Nam-June-Paik-Ausstellung ausgestellt. Das ist also immer noch der Nachhall von Paik, ist sehr vehement. Aber die Paik-Klasse ist meines Erachtens - wie Paik wegging, hat es denn dann Nan Hoover gemacht - aber dann ist ja jahrelang da gar nichts mehr passiert.

Heise: Das heißt, es wurde auch gar nicht mehr so lebendig um Kunst und den Kunstbegriff in Düsseldorf und an der Akademie gerungen wie da, wie Sie es beschrieben haben?

Sieverding: Also in dieser Form, mit diesen unglaublichen, unglaublich dimensionierten und auch infrage stellenden Referenzsystemen glaube ich nicht. Was natürlich dann, ich glaube, seit 76 haben dann Bernd und Hilla Becher die Fotoklasse begründet, die hat ja doch dann eine enorme Bedeutung bekommen, ist aber sagen wir mal von der Diskursivität und der Debatte, glaube ich, irgendwie eine völlig andere Lehre, als wie ich das erfahren habe und auch selber praktiziere.

Heise: Was hat Sie über die vielen Jahre immer wieder Düsseldorf auch treu sein lassen?

Sieverding: Erstens Mal habe ich also eine zusammen mit Klaus Mettig, wir haben also mitten in der Stadt ein relativ großes Fabrikgebäude, in dem wir auch jetzt schon eben über 40 Jahre sind. Einmal gibt es ein ziemlich gutes Verhältnis mit den Kollegen untereinander, also der Austausch. Es ist also alles etwas, wie ich das ziemlich toll finde in Düsseldorf und wie sich das natürlich auch wahrscheinlich aus diesen Zeiten der 60er-Jahre ergeben hat. Und dann war Düsseldorf immer schon eine Stadt mit ja auch sehr vielen Werbeagenturen, also diese ganze Entwicklung der Fotografie hat durch früher die Colorstudios, später dann Grieger, man hatte also sehr gute Fachpartner, diese Nähe zu Köln und so weiter. Also ich fand jetzt, diese Dichte fand ich toll, aber auch Düsseldorf ist jetzt, ist eben Düsseldorf, also diese Ruhe zu arbeiten, und das gelingt mir hier.

Heise: Die Düsseldorfer Kunstsammlung in Nordrhein-Westfalen, also die Düsseldorfer Kunstsammlung NRW, also K20 fürs 20. Jahrhundert und K21 fürs 21. Jahrhundert, die sind ja kürzlich neu präsentiert worden. Heißt das, dass Düsseldorf auch langfristig daran interessiert ist, einfach dieses Kunstklima zu stärken oder auch, muss es es wieder aufbauen?

Sieverding: Ich denke, dass diese Verbindung K20/K21 auch in der Vergangenheit ziemlich gut funktioniert hat, allerdings ist es jetzt also wirklich ein Novum, dass es jetzt eine große Beuys-Ausstellung gibt. Also das muss man sich auch mal vorstellen nach so vielen Jahrzehnten, es war ja hier der Hauptort, wo er gewirkt hat. Und auch K21, also dass da vorwiegend junge, sehr interessante Positionen gezeigt werden, vielleicht verstärkter als bisher.

Natürlich soll das alles zusammenwirken, dass sich hier die Kunstszene vielleicht noch mal wieder so belebt, wie das also in den 60er- oder 70er-Jahren war, und wieder zu einem Brennpunkt wird. Ich bin ja auch beteiligt an einer anderen Ausstellung, "Der Westen leuchtet" in Bonn, das ist auch eben so ein Versuch der Reaktualisierung des Rheinlandes und der verschiedenen Generationen. Ich denke, die gesamte Region konzentriert sich und versucht, mit den Ökonomien, die also hier vorhanden sind, sämtliche Institutionen zu stärken und neu zu programmieren. Die Quadriennale ist natürlich so ein Ereignis, was das Ganze noch mal verstärken soll.

Heise: Also welchen Stellenwert messen Sie bei dem Ganzen der Quadriennale zu?

Sieverding: Also ich denke, dass die diesjährige Quadriennale es schaffen wird, noch einmal auf die glorreichen 60er-, 70er-, 80er-Jahre zurückzublicken und mit einigen jüngeren Positionen das zu bestätigen.

Heise: Sagt die Medienkünstlerin Katharina Sieverding. Katharina Sieverdings Ausstellung im Rahmen der Quadriennale wird ab morgen bis Mitte November im inter media art institute im NRW-Forum zu sehen sein. Frau Sieverding, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!

Sieverding: Ich danke Ihnen auch, Frau Heise!

Service:
Die Ausstellung Projected Data Images von Katharina Sieverding ist bis zum 21. November im NRW-Forum im Rahmen Quadriennale 2010 in Düsseldorf zu sehen.