Diskurs in 140 Zeichen

Von Constanze Kurz · 21.05.2012
Schneller, kürzer, gnadenloser - so könnte man die Kommunikation im Netz beschreiben. Ein weiterer Effekt der digitalen Medienwelt ist aber auch die Anregung von Debatten und die Vereinfachung des Meinungsaustauschs. Die Diskurshoheit einiger weniger ist dadurch eingeschränkt, meint Constanze Kurz.
Bei den letzten Landtagswahlen konnte man die neue, beschleunigte Medienwelt wieder beobachten: Wahlberichterstattung ist durch die hinzugekommene Piratenpartei nicht nur spannender und unberechenbarer geworden, sie hat auch neue Facetten hinzugewonnen. Das Buhlen um Aufmerksamkeit und Zeitbudget gerade bei der Wahlberichterstattung hat durch die populären Netzplattformen Konkurrenz bekommen: Fernseh-Deutschland und Netz-Deutschland treffen aufeinander.

Denn die klassischen Medien übernehmen Teile der Kommunikationswellen, die im Netz vornehmlich über Twitter verbreitet werden. Die Meinungsbildung dort ist nicht mehr zu ignorieren, sie ist schleichend Teil der Öffentlichkeit geworden. Den Überfluss an Informationshäppchen zu sortieren und einzuordnen, politisch zu bewerten, ist also nicht mehr alleinige Aufgabe der Zeitungen, Fernsehsender und Radiostationen. Doch ändert sich dadurch die massenmediale Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert, entsteht gar eine neue mediale Gewaltenteilung?

In den letzten Monaten ist zu beobachten, dass politische Diskurse durch Veröffentlichungen im Netz initiiert und angeregt werden. Als Paradebeispiel ist an Wikileaks zu denken, in Deutschland auch an die Plagiatsdiskussion um den ehemaligen Verteidigungsminister Guttenberg, die durch die Webseite "Guttenplag" ins Rollen kam.

Den sozialen Plattformen im Netz kommt dabei eine zunehmend wichtige Rolle in der Kommentierung der Ereignisse und deren Bewertung zu. Das Netz entwickelt ein Eigenleben in der Meinungsbildung, das aber seinen Widerhall in den anderen Massenmedien findet – schon deshalb, weil kaum ein Journalist mehr ohne Twitter-Account auskommt. Es gleicht einem Ping-Pong-Spiel mit steigender Geschwindigkeit.

Anders als in anderen Ländern ist hierzulande in der politischen Meinungsbildung trotz der vielen Millionen Nutzer nicht zuallererst Facebook zu nennen, sondern die im Vergleich deutlich kleinere Plattform Twitter. Während tonangebende politische Meinungsblogs im deutschsprachigen Raum bisher eine Ausnahme geblieben sind, ist auf Twitter die Kommentierung des Tagesgeschehens explodiert. Der öffentliche Diskurs wird dadurch zusehends beeinflusst, vor allem bei den technischen und netzpolitischen Themen und in der Bewertung der Ereignisse des politischen Alltags.

Blickt man auf die Meinungen, die über Twitter Verbreitung finden, so fällt ein tief sitzendes Misstrauen, zumindest aber Skepsis gegenüber dem politischen System ins Auge. Nicht zufällig ist es ein Nährboden für die Piraten. Die Diskussionen sind im Gegensatz zu den moderierten und sprachlich geglätteten Fernseh- und Radiorunden hitziger und humorvoller, in der Wortwahl kantig und ungehobelt, oft durch Häme und Spott gekennzeichnet. Die digitale Öffentlichkeit mit ihrer 140-Zeichen-Sprache ist eben informell, und deutlich überwiegt Meinungsäußerung vor eigener Recherche. Inhaltlich bleibt die Masse der Kurznachrichten jedoch angelehnt an Informationen und Bewertungen aus der klassischen journalistischen Berichterstattung – egal, ob sie kritisch oder wohlwollend kommentiert werden.

Informationen, Meinungen und Bewertungen könnten in Zukunft etwas weniger Spielball von PR-Strategen und Spin-Doktoren, sondern stärker Allgemeingut werden. Die Diskurshoheit zu erlangen oder politische Skandale zu vertuschen, könnte dadurch erschwert werden. Neben dem nicht enden wollenden alltäglichen Geschwätz, das die sozialen Netzwerke eben auch prägt, wäre das doch ein erstrebenswertes Ziel.

Constanze Kurz ist Diplom-Informatikerin und wissenschaftliche Projektleiterin am Forschungszentrum "Kultur und Informatik" an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sowie Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Sie gehört dem Experten-Team der Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Deutschen Bundestags an. Constanze Kurz schreibt eine Kolumne zu Internet-Themen für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ist Autorin des Buchs "Die Datenfresser – Wie Internetfirmen und Staat sich unsere Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen".
Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, aufgenommen während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner"
Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs© picture alliance / ZB
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