Diskothek

DJane mit 74

Von Margarete Wohlan · 12.12.2013
Sie ist in Polen ein Star: Wika Szmyt. 1939 in Posen geboren, seit 1976 in Warschau. Sie war zwei Mal verheiratet, hat zwei Söhne und vier Enkel, war ihr Leben lang berufstätig. Aber das, womit sie nun polenweit bekannt wurde, passierte erst, nachdem sie in Rente ging: Wika Szmyt legt auf - in Clubs - und wurde im hohen Alter noch zum DJ, oder genauer: zur DJane.
Die kleine zierliche Frau steht etwas erhöht, hinter einer Plexiglaswand, und hat die Tanzfläche fest im Blick. Rote Hose, schwarzes T-Shirt, die Haare blond und toupiert. Vor ihr auf dem Pult Laptop, zwei CD-Player, Mischpult zum Vorhören. Immer wieder winkt sie, wenn sie einen Bekannten entdeckt.
Wika Szmyt: "Es ist schwierig, jemanden nicht zu kennen, wenn man hier - wie ich - seit Jahren auflegt."
Wika Szmyt ist Kult. Die 74-Jährige legt drei Mal die Woche im Warschauer Club "Bolek" Musik auf und ist damit die älteste DJane in Polen.
"Wir sind sehr glücklich, dass sie so etwas macht! Ich komme mit meiner Freundin hierher, seit Wika das anbietet. Das ist echt super. Wir haben hier sehr nette Herren kennengelernt, Wika ist eine sehr gute Organisatorin. Es müsste noch viel mehr solche Orte geben! Ihr in Deutschland solltet so etwas auch haben, für Frauen wie uns, und auch für Herren in unserem Alter - wir sind keine 16, sondern viel, viel älter! Ich bin 70 und habe vor zehn Jahren meinen Mann verloren. Seit acht Jahren komme ich schon her. Und hier lernte ich auch den Mann kennen, mit dem ich heute noch zusammen bin."
Zosia Borkowska ist typisch für das Publikum, das an diesem Samstagnachmittag zu Wikas Musik tanzt. Der Club "Bolek" - das sind drei Discotheken mit Pizzeria und einem Biergarten, umgeben vom Park Pilsudski im Zentrum Warschaus. Als Wika hier vor neun Jahren fragte, ob sie für Leute ab 50 zum Tanz auflegen dürfte, hat die Geschäftsleitung sofort zugestimmt. Mittlerweile sind daraus drei Nachmittage pro Woche geworden und die 74jährige Wika ist überzeugt, dass der Bedarf viel größer ist.
"Es ist der einzige Club, der für Senioren so etwas anbietet. Das ist etwas sehr Ungewöhnliches - und für mich eine Sensation. Ein Ort, wo nicht nur alte Leute hinkommen. Die Jungen sitzen nebenan im Biergarten oder in der Pizzeria, und schauen auch bei uns vorbei. Das ist kein Ghetto für alte Leute. Und wenn ich sehe, dass die Jungen mittanzen, dann lege ich auch Lady Gaga oder Shakira auf."
Zuhause bei Wika Szmyt - drei Zimmer, Küche, Bad; im siebten Stock eines Plattenbaus im Zentrum der polnischen Hauptstadt. Als sie mit 65 in Rente ging, fühlte sie sich leer und nutzlos - eine Frau, die ihr ganzes Leben berufstätig war und zum Schluss eine Sonderschule für kriminelle Jugendliche leitete. Ihr Mann war kurz zuvor gestorben, ihre beiden Söhne erwachsen und aus dem Haus.
"Das einzige, was ich noch durfte, war auf den Friedhof gehen"
"Ich fühlte mich als Rentnerin so als sei ich nicht mehr existent. Das einzige, was ich noch durfte, war auf den Friedhof gehen und meine Grabstelle in Ordnung halten. Verstehen Sie? Mich einreihen in die Schlange vor der Apotheke, um Medizin für die Wehwechen im Alter zu besorgen, und meinen vier Enkeln das Mittagessen zu kochen. Aber zu all dem bin ich ungeeignet. Ich dachte damals nur, das kann es doch nicht gewesen! Mein Leben ist noch nicht zu Ende! Und deshalb sagte ich mir, du musst was tun! "
So begann sie im Kulturzentrum ihres Viertels ehrenamtlich zu arbeiten. Sie organisierte kleine Veranstaltungen, leitete den Gesangsverein, schrieb Gedichte - und gründete ein Kabarett.
"Ich schrieb Texte, suchte nach Darstellern und fand den geeigneten Namen für uns: 'Viagra'! Die vom Kulturzentrum fanden das zu anzüglich, aber ich ließ nicht locker. Es war eine tolle Zeit! Zwei Frauen, der Rest Männer - attraktive Männer! Das muss ja auch etwas fürs Auge sein! Und es wurde ein echter Renner."
Als Wika - eher durch Zufall - den ersten Disco-Abend für Senioren im Kulturzentrum veranstaltete, war ihr sofort klar: das ist ihr Ding! Sie liebt Tanzmusik, seitdem sie denken kann. Wann, wenn nicht jetzt? - dachte Wika. Sie gab alle anderen Aufgaben ab und konzentrierte sich auf "Disco 50 Plus".
Sonntagnachmittag im Club "Bolek", die Tanzfläche ist überfüllt und Wika in ihrem Element.
Ein bekannter polnischer Schlager sorgt dafür, dass alle auf die Tanzfläche strömen, auch die Jungen. Der Refrain "nehmen wir uns an die Hand, solange die Zeit noch reicht" scheint jedem etwas zu sagen.
"Bitte schauen Sie, was für einen Spaß wir älteren Leute haben, wie wir tanzen, wie wir rocken. So können sich die Jungen gar nicht amüsieren wie wir Alten."
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