Dirndl und Lederhosen

Von Bernhard Doppler |
Die finstere Wirkungsgeschichte von Richard Wagners "Meistersinger von Nürnberg" interessiert den gebürtigen Kubaner John Dew kaum. Als Stadt nationalsozialistischer Reichsparteitage erscheint Nürnberg in seiner Inszenierung nicht. Vorgeführt wird ein gut situiertes, etwas biederes, kunstinteressiertes Honoratiorenbürgertum in Dirndl und Trachtenanzug. Am Ende gibt es einige Buhs für Dew und viel Diskussionsstoff für den Kneipenbesuch danach.
Dass Richard Wagners "Meistersinger von Nürnberg" ein leichtes, nicht allzu bedeutungsschweres Lustspiel ist, hat John Dew in seiner Darmstädter Inszenierung nicht außer Acht gelassen. Die finstere Wirkungsgeschichte dieses Werkes interessiert ihn im Gegensatz zu den meisten seiner Regiekollegen kaum: Weder weist er auf Wagners womöglich antisemitische Ressentiments gegenüber seinem Kritiker Hanslick - verkörpert im Stadtschreiber Beckmesser - hin, noch zeigt er Nürnberg als Stadt nationalsozialistischer Reichsparteitage im Kampf gegen "welsche" und für "deutsche Art und Kunst".

Vorgeführt wird in Darmstadt ein gut situiertes, etwas biederes, kunstinteressiertes Honoratiorenbürgertum. Auch Richard Wagner hat nicht das Nürnberg des 16. Jahrhunderts rekonstruiert, sondern ein zeitgenössisches Problem vorgeführt: die Durchsetzung von neuerer Kunst in einer bürgerlichen Gesellschaft, die zwischen ihren gediegenen altväterlichen Gründerzeitmöbeln dabei gerne ins Kostüm mittelalterlicher Handwerksmeister schlüpfte.

Bei John Dew trifft sich dieses Honoratiorenbürgertum im neugotischen Vereinslokal und zieht meist Dirndl und Trachtenanzug an: Strick und Walk neben Zweireihern, vor allem Lederhosen scheinen beliebt (Kostüme: José-Manuel Vásquez). Der nicht so folkloristische Kritiker Beckmesser (Gerd Vogel), der darunter leidet, nicht selbst schöpferisch tätig zu sein, spricht bei solchen Volksfesten gerne auch einem Schnäpschen zur Stärkung zu. Kein Wunder, dass sein Vortrag dadaistische Züge annimmt. Als jüdischer Sündenbock muss er bei Dew nicht herhalten.
Das Theaterpublikum als Verlängerung der Meistersingergesellschaft. Oft wird der Zuschauerraum ins Geschehen einbezogen, schon bei der Prügelszene mischen sich im weißen Nachthemd die braven Nürnberger Bürger unter die Reihen, bei der Festwiese werden Bretzel verschenkt und die honorigen Meistersinger teilen Autogrammkarten aus. Vor allem wird viel geschuhplattelt: Die Festwiese ein Musikantenstadel.

Mag sein, dass der gebürtige Kubaner John Dew, bei derartigen Darbietungen ein geschärftes ethnologisches Vergnügen hat, nicht klar wird bei der der Aufführung freilich, wie weit John Dew dieses wohl situierte Bildungsbürgertum karikiert und kritisiert. Vermutlich machte er sich nur einen Spaß. Und dass er nicht, wie so mancher kritische Opernregisseur mit der Krise dieses Kulturbürgertums kokettiert, sondern es naiv, ja affirmativ vorführt, ist - andersherum - fast schon provokant.
Die "Meistersinger von Nürnberg" sind die dritte große Wagner-Inszenierung seit seiner Übernahme der Intendanz. Der designierte Generalmusikdirektor Constantin Trinks reicht freilich noch nicht an seinen Vorgänger Stefan Blunier heran. An Temprament fehlt es oft, allerdings verblüfft das Orchester immer wieder durch äußerst zarte, berührend gedehnte Stellen, vor allem bei den Streichern.

Ein Verlust ist sicher auch, dass der John Dew-erfahrene Norbert Schmittenberg als Stolzing in letzter Minute bei der Premiere ausgefallen ist, Herbert Lippert konnte nur notdürftig Ersatz sein, wie überhaupt die Sänger vor allem als Sängerdarsteller - insbesondere als Debutant Ralf Lukas als Hans Sachs imponieren. Musikalische Glanzlichter setzten sie aber nicht.
Das honorige Bildungsbürgertum, auf das Richard Wagner gesetzt hat, scheint in Darmstadt durchaus intakt. Am Ende einige Buhs für Dew, viel Diskussionsstoff für den Kneipenbesuch danach und Neugier auf Weiteres.