Dirk Liesemer: "Lexikon der Phantominseln"

Eine Irrfahrt, die ist lustig

Historische Weltkarte aus dem Jahre 1660
Historische Weltkarte aus dem Jahre 1660 von Kartograph Frederik de Wit © imago/AFLO
Von Günther Wessel · 26.08.2016
Die ersten Welt- und Seekarten waren unvollständig, unbekannte Orte wurden einfach mit fantasievollen Tierdarstellungen verziert. Dirk Liesemer beschreibt in "Lexikon der Phantominseln" 30 solcher Fantasiegebilde, die die großen Entdecker suchten, aber nie fanden.
Im Zeitalter der Entdeckungen hatten Weltkarten oft weiße Flecken, meist getarnt durch phantasievolle Tierdarstellungen. Aber auch das Gegenteil gab es: Phantominseln, Eilande, die es gar nicht gibt: 30 von ihnen versammelt Dirk Liesemer in einem kleinen Lexikon und erzählt ihre mitunter bizarre, mitunter sehr vergnügliche Geschichte.
Wäre Christoph Kolumbus losgesegelt, wenn er wirklich gewusst hätte, wie lange es dauern würde, bis er wieder auf Land trifft? Er unterschätzte nicht nur den Erdumfang, er war sich auch sicher, unterwegs auf die Insel Antilia zu treffen. Die sollte ein wenig westlich der Kanaren, hatte der Florentiner Gelehrte Paolo dal Pozzo Toscanelli im Jahre 1474 behauptet. Als Kolumbus dann vor Amerika endlich auf eine Inselgruppe stieß, nannte er sie folgerichtig – Antillen.

Die Insel existierte nur auf dem Papier

Kolumbus war nicht der einzige, der von einer falschen Karte beeinflusst wurde: Mitte 1912 fror die "Deutschland", das Schiff der zweiten deutschen Antarktisexpedition im Südpazifik, im Packeis fest. Angeblich waren es nur 60 Kilometer bis zur Insel New South Greenland. Expeditionsleiter Wilhelm Filchner machte sich mit zwei weiteren Forschern auf. Sie kamen dabei fast ums Leben: Denn: Die Insel existierte nur auf dem Papier.
Detailreich und spannend schildert Dirk Liesemer den Überlebenskampf der Antarktisforscher. Wie sie sich mit Skiern übers Eis kämpfen, ihren kargen Proviant strecken und schließlich zurück zum Schiff finden – keine leichte Aufgabe im südpolaren Winter. Geglaubt hatten sie einem Karteneintrag des amerikanischem Kapitäns Benjamin Morrell. Doch dieser war eher phantasievoll als akribisch, zudem versessen darauf, in die Geschichte der Seefahrt einzugehen: Deshalb verdankten alte Karten ihm auch die Inseln Byers und Morrell, die niemand außer ihm je gesehen hat.

Weil jemand unbedingt etwas entdecken wollte

Liesemer bietet in seinen fesselnden Abenteuerberichten und historischen Beschreibungen verschiedene Gründe für die Entstehung dieser Fata-Morgana-Inseln: Einfache Irrtümer, weil Seefahrer im Nebel die Orientierung verloren oder ihre Aufzeichnungen und Messungen nicht korrekt waren. Psychologische Motive, weil jemand unbedingt etwas entdecken wollte oder musste – so wie bei Amerigo Vespucci, auf den die Aurora-Inseln westlich der Falklands zurückgehen.
Mitunter entstanden solche Inseln aus politischen Gründen. Bermeja etwa, die angeblich erstmals im Jahre 1536 von Alonso de Chabes 160 Kilometer vor Yucatán gesichtet wurde und die für Mexiko lange bedeutsam waren: Schließlich besitzt der Staat, zu dem eine Insel gehört, die Hoheitsrechte im Meer im Umkreis von 200 Seemeilen – im ölreichen Golf von Mexiko war das sehr wichtig. Und nicht zuletzt wurden Inseln in Karten eingetragen, weil die Zeichner ihren Financiers verpflichtet waren: So Phélipeaux und Pontchartrain im Lake Superior. Mit denen setzte der Pariser Kartograf Nicolas Bellin 1744 seinem Gönner Louis II. Phélypeaux de Pontchartrain ein Denkmal. Jahrzehnte später stritten sich dann sogar die Unterhändler im amerikanisch-britischen Friedensvertrag erbittert um die imaginären Flecken.
Das kurze Fazit: Dirk Liesemer mischt Entdeckergeschichte, kartografische Anekdoten, Kultur und Politik zu einem sehr unterhaltsamen feinen kleinen Buch für Liebhaber verrückter Geographie.

Dirk Liesemer: "Lexikon der Phantominseln"
Mare Verlag, Hamburg 2016,
160 Seiten, zahlreiche Illustrationen 24,00 Euro