Dirigent und Komponist Alfred Szendrei

Der vergessene Star

137:29 Minuten
Ein jüngerer Mann mit dunklen Haaren blickt auf einem historischen Foto in Abendkleidung selbstbewußt in die Kamera.
Alfred Szendrei in Leipzig um 1920. © Alfred Szendrei / Steve Swanson Privat collection
Von Georg Beck · 02.01.2021
Alfred Szendrei war Gründungsdirigent des Leipziger Rundfunkchores und -orchesters, also Musikalischer Direktor des damaligen Rundfunks. Der jüdische Musiker wurde vertrieben und vergessen – vor allem auch in Leipzig.
Aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit ist sein Name verschwunden: Alfred Szendrei - der Gründungsdirigent des Leipziger Rundfunkchores und des Leipziger Rundfunksinfonieorchesters, der Musikalische Direktor des vormaligen Mitteldeutschen Rundfunks, der promovierte Musikwissenschaftler, der Opernkomponist. Präsent sind seine Verdienste allein unter wenigen Fachleuten, oftmals auch unter seinem amerikanisierten Namen Alfred Sendrey.

Leipziger Zeiten

Es war ein Leipzig-Kapitel, das wenig Anlass bietet für das sprichwörtliche Goethe-Lob auf die Stadt. Dabei hat Alfred Szendrei (1884- 1976) im Rückblick von Leipzig und seinen Leipziger Jahren geschwärmt. "Ich liebte diese Stadt!", schrieb er in seinen Lebenserinnerungen. Doch gegen den antisemitischen Rassenhass, gegen den nazistischen Zivilisationsbruch war er machtlos.


Als einer der ersten jüdischen Künstler wurde Alfred Szendrei öffentlich an den Pranger gestellt. Ein Witz, den er kolportierte, war der Auslöser. Damit wurde sein Vergessen eingeleitet - Deutschlandfunk Kultur unternimmt mit diesem Abend eine notwendige Erinnerung an einen wunderbaren Musiker.

Der jüdische New Yorker – ein Leipzig-Fan

Der Abend berichtet von Alfred Szendrei, der über Paris nach Amerika kam und 1941 in New York wieder musikwissenschaftlich tätig wurde.
1951 erschien beim Verlag Columbia University Press ein Standardwerk, das heute ehrfurchtsvoll "Der Szendrei" genannte wird: Bibliography of Jewish Music. Auf 400 Seiten sind 10.000 Titel jüdischer Musik aufgelistet, die in Amerika jemals verlegt wurden. Er stürzte sich in dieses Unternehmen, weil Musik und Leben, Wissenschaft und Existenz seiner Überzeugung nach zusammengehörten.

Verlorene Lieder

Das meiste, das Alfred Szendrei im Laufe seines langen Lebens geschrieben hat, wie etwa die vielen Hundert Lieder, die er für seine Frau, die Sängerin Eugenie, geborene Weiss komponierte, sind verloren, wenn nicht sogar 'verloren gemacht worden'.
Auf einer historischen Fotografie singt eine Frau in dunklem Kleid auf einer Bühne, die von einem Pianisten begleitet wird.
Mit seiner Frau Eugenie, beim Enkel als Großmutter Jenny erinnert, spielte Alfred Szendrei mit großen Erfolgen - hier im Jahr 1953.© Alfred Szendrei / Steve Swanson Privat collection
Eugenie Szendrei verfügte über eine veritable Doppelbegabung: Erstens war sie Opernsängerin – in ihren Anfängen tätig im Ensemble an der von Gustav Mahler geleiteten Wiener Hofoper, und zweitens hatte sie erstaunlicherweise auch als Diseuse begeisterte Anhänger wie etwa unter den Besuchern des von Hans Reimann in den frühen 1920er-Jahren gegründeten Leipziger literarischen Kabaretts "Retorte".

Der große Traum: ein Blüthner-Flügel

"In den ersten Zeiten meiner Leipziger Tätigkeit habe ich mir ein Klavier gemietet. Mein sehnlichster Wunsch war aber, einen eigenen Flügel zu besitzen: ich trat deswegen bald mit der Firma Blüthner in Verbindung, die ihre Fabrik in Leipzig hatte." Szendrei konnte sich durch einen zuvorkommenden Mitarbeiter, einen Konzertflügel aussuchen und peu à peu abzahlen.
Ein älteres Ehepaar steht in einem Türbogen in Abendkleidung und lacht in die Kamera.
Das Ehepaar Alfred und Eugenia Szendrei in Amerika - beide entkamen der deutschen Verfolgung.© Alfred Szendrei / Steve Swanson Privat collection
Heute steht das Instrument als umfänglichstes Ausstellungsstück im Holocaust Museum Los Angeles in Kalifornien, dem letzten Wohnsitz von Alfred Szendrei. Er hat ein Leben lang an diesem Instrument festgehalten – die Reise des Flügels ist ein eigenes Abenteuer.

Vergessener Gründungsdirigent und Direktor

1918 bis 1932 sind die Jahre, in denen die Musikstadt Leipzig für Alfred Szendrei erklärtermaßen zu einem Zentrum wird. Leipzig ist der Schauplatz, wo Alfred Szendrei zum Gründungsdirigenten des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig wird, dem heutigen MDR-Sinfonieorchester, der ältesten Formation unter allen deutschen Rundfunk-Orchestern.
Auf einer historischen Fotografie steht ein Dirigent von Musikern umgeben auf einem erhöhten Pult. 
Dirigent Alfred Szendrei mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester in Leipzig um 1930.© Alfred Szendrei / Steve Swanson Privat collection
Von 1924 bis 1931 stand diesem Klangkörper vor – führte ihn zu einer ersten großen Blüte. Nur eben: Den Namen seines Gründungsdirigenten wird man auf der aktuellen Website des Orchesters vergeblich suchen.
Man weiß zwar, dass man seit 1924 besteht, dass man folglich 2024 sein einhundertstes Jubiläum wird begehen können, man weiß und erfährt aber nicht, wer für diesen Anfang gesorgt hatte. Geschichtsvergessenheit, die irritiert.

Leipziger Ruf

Der junge ehrgeizige Kapellmeister startete nun durch. Spielte in Köln, Mühlhausen, Brünn, er stand vor Orchestern in Chicago, Philadelphia, New York und wurde 1918 als Kapellmeister der Wiener Volksoper geführt. Hier wurde er von einer exotischen Oper inspiriert und komponierte selbst eine: "Der türkisenblaue Garten". Das Werk bot er Leipzig zur Uraufführung an. Interesse wurde sofort bekundet.
Blick auf den gelblichen Umschlag der gedruckten Partitur des Wiener Verlages.
Noch in Wien wurde "Der Türkisenblaue Garten" verlegt.© Alfred Szendrei / Steve Swanson Privat collection
Und ein Telegramm flog ein: "Können sie für erkrankten Knappertsbusch vertreten für zwei Monate übernehmen?" Dirigat und Oper - beides durchschlagende Erfolge. Szendrei blieb und stieg zum Opernkapellmeister auf.

Das Medium der Zukunft

Mit dem aufkommenden neuen Medium Rundfunk rückte auch das Thema Musik im Rundfunk mächtig in den Vordergrund. Dass Leipzig zwischenzeitlich Sitz der Mitteldeutschen Rundfunk AG, also der MIRAG geworden war, war ein Standortvorteil. Alfred Szendrei war aufgeschlossen für das neue Medium und wurde zum Direktor ernannt – einer 'deutschen' Rundfunkanstalt.
Schon 1931 wurde eine Entlassungskampagne gegen ihn angestrengt. Der Opernkapellmeister, der Leiter der Musikabteilung und Kapellmeister der MIRAG, der Mitteldeutschen Rundfunk AG Alfred Szendrei jedenfalls wurde zum ersten prominenten Opfer einer nazistischen Rufmordkampagne, die mit einem Zeitungsartikel startete: "An den Pranger mit Dr. Szendrei – Die gemeine Schmutzphantasie des jüdischen Dirigenten der MIRAG".
Dieser Artikel bezog sich auf einen Witz, den der Dirigent im Beisein seiner Musiker freizügig zum Besten gab. Ein Zeitungsartikel läutete den Entlassungsprozess ein. Die Familie ging über Berlin nach Paris.

Belagerung von Paris

Als am 14. Juni 1940 die Hakenkreuzfahne über Paris wehte, setzte eine Massenflucht der jüdischen Bevölkerung ein. Auch Szendrei war darunter. Dramatisch, unter Beschuss befindlich, floh die Familie aus dem deutschen Gebiet bis nach London. Schließlich erhielt er und seine Familie ein Visum für die USA – keine Selbstverständlichkeit. In New York baute sich Szendrei hartnäckig ein neues Leben auf – auch in der Filmindustrie konnte er anknüpfen.
Ein historisches Foto zeigt eine festlich gekleidete Frau im Stil des 19. Jahrhunderts auf einer Bühne Klavier spielend, von einem Orchester begleitet, wobei der Dirigent über den Flügel hinweg zur Musikerin schaut.
Alfred Szendrei stand mit Katharine Hepburn vor der Kamera im Film "Song of Love", der die Geschichte von Clara Schuman/Wieck erzählt.© Alfred Szendrei / Steve Swanson Privat collection
In der Sendung werden folgende Gesprächspartner zu Wort kommen: Dr. Anselm Hartinger vom Stadtgeschichtlichen Museum, Jan-Philip Schulze - Professor für Lied an der Hochschule für Musik und Tanz Hannover, Julius Blüthner, Mitglied der Klavierbauer-Familie, Sylvia Asmus vom Deutschen Exilarchiv in Frankfurt am Main und der Enkel Steve Swanson, der uns freundlicher Weise auch das Fotomaterial zur Verfügung stellte.
Inzwischen liegen die Lebenserinnerungen von Alfred Szendrei vor, herausgegeben von Max Pommer.
Werke von und mit Alfred Szendrei, darunter:
Eugen d'Albert
Ouvertüre zur Oper "Tiefland"

Alfred Szendrei, Künstlerrolle, Reproduktionsklavier (Deutsches Musikarchiv)

Alfred Szendrei
Liebe

Greta Keller
Orchester Peter Kreuder
Aufnahme: 1936 (Telefunken A 1911-21041, BestellNr: 028200)

Alfred Szendrei
Die heiligen drei Könige

Uwe Gottswinter, Tenor
Jan-Philip Schulze, Klavier (Eigenproduktion, 08.12.2020)

Alfred Szendrei
Hätt' die Frau Mutter

Corinna Scheurle, Mezzosopran
Jan-Philip Schulze, Klavier (Eigenproduktion, 08.12.2020)

Richard Wagner
Ouvertüre zur Oper "Lohengrin"

Berliner Sinfonie-Orchester
Leitung: Alfred Szendrei
Homocord (LC 0029) 4-9023 Matrizenstammnummer: H-2-53020/ H-2-53021

Alfred Szendrei
Der türkisenblaue Garten, Ouvertüre

Jan-Philip Schulze, Klavier (Eigenproduktion, 08.12.2020)

Ruggero Leoncavallo
Prolog zur Oper "Bajazzo"

Walther Zimmer, Bariton
Berliner Sinfonie-Orchester
Leitung: Alfred Szendrei (Homocord 4-9004)

Alfred Szendrei
Der türkisenblaue Garten
Arie des Haidar

Uwe Gottswinter, Tenor
Jan-Philip Schulze, Klavier (Eigenproduktion, 08.12.2020)

Alfred Szendrei
Der türkisenblaue Garten
Arie der Schirene

Corinna Scheurle, Mezzosopran
Jan-Philip Schulze, Klavier (Eigenproduktion, 08.12.2020)

Alfred Szendrei
Der türkisenblaue Garten
Arie der Nayelah

Hannah Meyer, Sopran
Jan-Philip Schulze, Klavier (Eigenproduktion, 08.12.2020)

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