Dirigent Donald Runnicles

Jeden Abend ein neues Gesamtkunstwerk

36:20 Minuten
Der Dirigent Donald Runnicles sitzt hinter seinem Piano vor einem Fenster, durch das eine winterliche Landschaft zu sehen ist.
Wohlgestimmt: Donald Runnicles begann als Pianist. © Florence McCall
Moderation: Susanne Führer · 17.01.2020
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Angefangen hat Donald Runnicles als Pianist, doch das war ihm auf Dauer zu einsam. Als er das erste Mal am Dirigentenpult stand, war das für ihn eine Offenbarung. Seit 2011 ist der Schotte Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin.
Sein Kontakt mit Popmusik beschränke sich mehr oder weniger auf das, was Donald Runnicles aus den Zimmern seiner Schwestern zu Ohren bekam. "Ich war wirklich nie ein Fan davon. Vielleicht lag es teilweise daran, dass meine ersten musikalischen Erfahrungen sehr von Gottesdiensten geprägt waren. Ich war Sängerknabe im Chor meines Vaters und ich habe die Chormusik, die British Choral Tradition, kennenlernen dürfen."
Runnicles lernt Klavier und Orgel, wird immer besser und denkt bald an ein Klavierstudium. Doch dann steht er durch Zufall zum ersten Mal am Dirigentenpult. Als Schüler darf er in Edinburgh ein kleines Wohltätigkeitskonzert dirigieren und ist sofort begeistert: "Das Gefühl war wirklich was Wunderbares." Nach diesem Auftritt bleibt das kleine Orchester mit ihm als Dirigenten zusammen und wächst – jedes Jahr kommen neue Musiker hinzu. "Auf einmal stand ich vor 70 Musikern und Musikerinnen. So fing es an mit dem Dirigieren."

Dirigieren macht mehr Spaß als Klavier üben

Der Abschied von der geplanten Karriere als Konzertpianist fällt ihm leicht: "Erstens denke ich, ich war nicht gut genug. Zweitens war ich nicht leidenschaftlich genug. Und drittens war es mir viel zu einsam, stundenlang da in einem Studio zu üben. Beim Orchester, dieses Soziale, etwas mit Menschen zu gestalten, ach, das war so viel cooler."
Mit Menschen zusammenarbeiten zu können ist an der Oper natürlich besonders wichtig. Er lerne da täglich vom Orchester, vom Regisseur oder der Regisseurin, lasse sich inspirieren. Seiner Ansicht nach sollte jeder Dirigent an der Oper anfangen, dann gewöhne man sich gleich an die vielen verschiedenen Dimensionen: Orchester, Sänger, Chor, Bühne, Beleuchtung, Dramaturgie, die Bestandteile des Gesamtkunstwerks Oper. "Diese Koordinationsarbeit ist das A und O." Mit der Regie gibt es schon vor den Proben regelmäßige konzeptionelle Absprachen. So auch jetzt mit Stefan Herheim, mit dem Runnicles 2020 zusammen Wagners "Ring" auf die Bühne bringt.

Die Welt als musikalische Heimat

Bevor er 2009 zur Deutschen Oper Berlin kam, durchlief Runnicles‘ Karriere zahllose Stationen, darunter New York, Wien, San Francisco – und Wyoming: In diesem amerikanischen Bundesstaat leitet er jedes Jahr für mehrere Wochen das Grand Teton Music Festival. Als erster Gastdirigent ist er außerdem immer wieder in Atlanta anzutreffen. Aber auch Sydney und San Francisco sind ebenso wie seine Heimatstadt Edinburgh Orte, an denen er gern und oft ans Dirigentenpult zurückkehrt.
Als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin möchte Runnicles "das musikalische Niveau, die musikalische Ästhetik prägen." Der Wortteil "General" klinge ihm da fast ein wenig zu militärisch, zumal die meisten Entscheidungen in Absprache mit den Kollegen erfolgten. Einen eigenen Schwerpunkt hat Runnicles hier mit den Opern von Benjamin Britten gesetzt. Dessen Kompositionen schätzt er ebenso wie das Werk Richard Wagners.
Die erste Wagner-Oper, die Runnicles live erlebte, war für ihn eine Offenbarung, so wie der erste Tag am Dirigentenpult: "1971 hat mein wirklich visionärer Musiklehrer die Schulklasse mit nach Glasgow genommen und wir gingen in "Das Rheingold", also der Auftakt zum "Ring". Wir hatten uns natürlich vor dem Opernbesuch darauf vorbereitet. Aber worauf ich mich überhaupt nicht vorbereitet hatte, war, in dieser Klangwelt buchstäblich zu sitzen. Es ist wirklich wie eine Hand, die aus dem Graben kam und mich am Hals gepackt hat – so, jetzt gehörst du uns! Diese Hand hat mich eigentlich nie wieder losgelassen."
(mah)


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